Dont´ t dream it – Be it!

Die Rocky Horror Picture Show in Krefeld

von Peter Bilsing

Felicitas Breest - Foto ©  Matthias Stutte
Dont´ t dream it – Be it!
 
Die Rocky Horror Picture Show -
40 Jahre und kein bißchen leise
 
Musical-Weltklasse im Krefelder Theater
 

 
It’s just a jump to the left,
and then a step to the right,
put your hands on your hips,
and bring your knees in tight!
But it's the pelvic thrust
that really drives you insane!
Let's do the time warp again! (Text: The Time-Warp)
 
Liebe Theaterfreunde! (Rocky Horror Fans bitte zum nächsten Abschnitt springen!) Es gibt Stücke, da ist alles anders. Aber auch wirklich alles! Hier gilt es, selber aktiv zu werden. Hier gilt der Rocky-Horror-Ausnahme-Knigge –  vom Theater Krefeld sinnvoll, wenn auch stark verkürzt, veröffentlicht:
 
 
Da schreit das Publikum, singt mit, kommentiert, tanzt, unterstützt die Handlung durch mitgebrachte Requisiten (bzw. das Werfen selbiger wie bei einem Karnevalszug), die da wären: Reis, Konfetti und Klopapier (bevorzugt von den Rängen!). Die im Kino noch üblichen Wasserpistolen (für die Regenszene), Toastbrotscheiben und Wunderkerzen sind in Krefeld wenn auch leider, so doch auch mit Berechtigung verboten! Unabdingbar allerdings sind eine Taschenlampe, ein Leuchtstab oder andere Lichtspiele, ein Gummihandschuh, Zeitung und breitkrempige Hüte für die Parkettbewohner. Über weitere Dinge, wie das begleitende „Uuh!“ beim Erwähnen des Namens Dr. Scott und „Pscht!“ bei Eddie werden Sie vor Ort informiert. Ebenso sollten Sie sich im oberen Foyer 20 Minuten vor Vorstellungsbeginn der Kurzeinführung in den „Time-Warp“ widmen.
 
Verkleiden, bitte verkleiden!

Und nun das Wichtigste: die Verkleidung. Alltagskleidung ist absolut verpönt. Freaks und Fans kommen natürlich in akribisch nachgearbeiteten Kostümen der Protagonisten, wobei der grüne OP-Kettel von Frank´N Furter noch am ehesten zu beschaffen ist. Für alle anderen gilt: Ziehen Sie an, was Spaß macht, was besonders sexy aussieht bei den Damen oder cool wirkt bei den Männern. Dinge, die wenig zusammenpassen oder auch doch. Alles ist erlaubt, außer miefiger, spießig bürgerlicher Alltagskleidung. O.k. – Sie haben nichts anderes, dann kaufen Sie sich wenigstens ein kleines Karnevalshütchen – ist ja gerade Saison. Bitte keine roten Nasen! Sollten sich ihre Kinder, Freunde und Angehörigen verweigern bzw. sich schämen (wie zuerst die Meinigen), dann zwingen Sie sie oder kündigen die Freundschaft auf. Man wird es Ihnen hinterher tausendfach danken, denn nichts ist peinlicher als im grauen Alltags-Sakko zwei Stunden lang miesepetrig unter lauter bunt maskierten tanzenden Außerirdischen zu sitzen. Die genaue Handlungsanweisung, wer wie was, wann und wo zu tun hat, finden Sie auch bei Wikipedia: > Kult


Adrian Linke - Foto ©  Matthias Stutte
 
 
Die Vorgeschichte

Richard O´Briens Musical ist eigentlich die moderne Veroperung einer Gothic Novel. Gorthic Novel Rock. Ausgiebig wird der Frankenstein-Mythos zelebriert, eingepackt in Szenen und diverse Zitate aus unzähligen B-Picture Filmen. Interessant ist die Geschichte: Ausgehend von einem Theaterstück des Jahres 1974, welches nicht gerade überragend erfolgreich täglich in einem kleinen Privattheater vor 50 Zuschauern lief, machte das Stück (auch durch die grandiose Verfilmung von Richard O´Brien und Jim Sharman) einen Marathon-Parcours hin zum Kultstück der 70-er und 80-er Jahre. Da das Mini-Budget von 1,2 Millionen Dollar keine großen Werbekampagnen zuließ, startete man über die kleinen Privat- und Programmkinos. Den großen Kinos war ein Film, in dem ein außergewöhnlich attraktiver außerirdischer Transvestit die Hauptrolle spiele, allzu suspekt. Daß die Rocky-Horror-Picture-Show auch nach der 100. Vorstellung noch immer überall ausverkauft war, verdankte sie alleine der Mund-Propaganda und ihren treuen Fans, die spätestens nach 10 Vorstellungen zu ihren Filmidolen metamorphierten. Man traf sich allabendlich, bevorzugt am Wochenende, in den bunten, skurrilen Phantasiekostümen der Hauptdarsteller und rezipierte nicht, sondern zelebrierte den Film, so daß jedes Kino hinterher wirklich wie ein Saustall aussah; siehe auch erster Abschnitt. In den leicht erhöhten Eintrittpreisen war die Reinigungs-Mark schon enthalten. Nicht wenige Programmkinos überlebten durch diesen Film.
 
Qualität³

Von dem mittlerweile weltweit bekannten Kultfilm (viele Hauptdarsteller, so nicht schon verstorben, leben von den Tantiemen heute besser als vor 40 Jahren) nun wieder – back to the roots – eine

Helen Wendt, Felix Banholzer - Foto ©  Matthias Stutte
Bühnenadaption zu fertigen, ist nicht einfach, denn a) hat das Fan-Publikum fast jede Kinoszene zigmal gesehen b) braucht es exzellente Musiker, also eine fetzige Rockband und c) Sängerdarsteller, die tanzen können, freizügige Kostüme immer noch überzeugend präsentieren und in teilweise vertrackten Stimmlagen singen müssen. Darüber braucht das Stück eine aufwendige Bühnen-Szenerie und bindet so gut wie alles technische Personal eines Hauses. Schminke und Maske liegen dabei arbeitsmäßig kurz vor dem Herzinfark. Da alles ständig in (Tanz-)Bewegung ist, müssen die Microports extrem gut sitzen und klingen. Und wie nimmt es ein konservatives Publikum auf? Wenn das Publikum nicht mitzieht, kann man eigentlich das Stück vergessen. Es darf nur heißen: Qualität, Qualität, Qualität – ohne Kompromisse. Wie kann ein Haus mit dem vielleicht geringsten Etat aller deutschen Zwei-Städte-Theater das schaffen? Große Bedenken, ich gebe es zu, hatte der Kritiker und erklärter RHP-Fan im Vorfeld.
 
Doch schon mit den ersten Takten und Tönen:
 
“Science fiction Double feature. Frank has built and lost his creature.
Darkness has conquered Brad and Janet. The servents gone to a distant planet.
Wuh,oh,oh,oh. At the late night, double feature picture show.
I want to go,oh,oh.,oh. To the late night double feature picture show. “
 
gesungen von der grandiosen Esther Keil (Magenta) fast in der originalen Tonlage der Film-Stimme sind wir sind überrumpelt. Es brandet ein Jubel auf, der signalisiert: Genau das ist es!! Das ist der Ton. So oder gar nicht funktioniert dieses Musical – das ist die Stimmung der Rocky Horror Picture Show. Wobei ich im Laufe des Abends meiner uneingeschränkten Begeisterung dahingehend Luft mache, daß ich kühn zu behaupten wage:
 
Vieles ist besser als der Film...
 
Und ich kenne diesen Kultfilm in- und auswendig. Als der erste Reis fliegt, ist der Bann gebrochen und wenn zu „There is a light...“ im großen Rund des Theaters die Taschenlampen, Leuchtstäbe und Irrlichter angehen, dann haben wir alle nostalgische Tränen in den Augen und nur zehn Minuten später beim legendären „Time-Warp“ sind immerhin zwei Drittel von den Theaterstühlen aufgestanden und tanzen mit, was der großartige Erzähler Matthias Oelrich vorgibt: „Just a Jump to the left…“ Hier kommen wir alle zusammen, die mittlerweile übergewichtigen Old-68-er. Da treffen sich jene Mamas und Papas im Einklang mit ihren Kindern und vielleicht auch schon Enkeln (Ich gebe das Stück trotz aller herrlichen Ferkeleien ab 8 Jahre frei!) im Rhythmus dieser tollen, dieser mitreißenden Musik.

...auch Felicitas Breest als Janet
 
Leider hatte sich der ursprüngliche Riff-Raff Darsteller Paul Steinbach verletzt; ein Desaster, denn das ist eigentlich neben Frank´N die Kernrolle im Stück – selbst im Film hatte sie Drehbuchautor und Regisseur Richard O´Brien selber übernommen. Doch glücklicherweise konnte mit Michael Kargus ein Idealinterpret, der die Rolle drauf hatte, kurzfristig eingeflogen werden. Seine grandiose Leistung unter diesen Bedingungen verdient Sonderbeifall. Mehr als trefflich und mit großer Selbstironie waren Janet und Brad besetzt. Ronny Tomiska übertraf sich selbst und die fabelhafte Felicitas Breest toppte nicht nur mit dem schönsten und sexiest in strahlend weißen BH eingepackten Busen noch unser aller unvergessenes Idealmodell von 1974, Susan Sarandon. Uns Männern stockt also nicht nur bei ihren Gesang- und Tanzqualitäten der Atem. Darf man das so sagen? Doch, da es ja nicht anzüglich gemeint ist, sondern es im Stück ja auch um erotische Spielchen geht, muß ich sagen: Toll! Bezaubernd. Eine Traumbesetzung für diese Dessous-Rolle. Genial konterkariert mit dem 60-er Jahre Schießer - Look von Brad.


Felicitas Breest (Mitte) - Foto ©  Matthias Stutte
 
Und gleich noch ein paar Lobgesänge

Lassen wir also gleich an dieser Stelle, eh es vergessen wird, allerhöchste Lobeshymnen für Johanna Maria Burkhart (Maske & Kostüme) ertönen. Zumindest optisch sieht alles so raffiniert aus, als hätte man den ganzen Kostümetat dieser Saison verbraten. Dem im Programmheft leider ungenannten Maskenbildner-Team gebührt hier sicherlich mindestens ein Schmink-Oscar!
Die „goldene Schallplatte“ geben wir der Band unter der engagierten Leitung von Willi Haselbeck & seinen Jungs. Einer Alt 68-er Combo, die allen heutigen Leichtmatrosen der Popmusik und Weicheimusikern noch jedes Schmalz von der sprichwörtlichen Stulle spielte. Danke für die sagenhafte Authenzität, welche die des Films spielend erreicht; alle Gitarrenriffs waren stimmig vorhanden und der Rhythmus fetzig wie vor 40 Jahren. Ein gelungender Time-Warp in die schöne Oldiezeit. Herzlichen Dank!
 
Frank Matthus (Regie) schafft mit der Inszenierung dieses Meisterwerkes praktisch die Quadratur des Kreises, womit ich meine, daß die Theaterversion eines bekannten Films stellenweise besser rüberkommt, als der Ursprungsfilm selber, ohne diesen nun schmähen zu wollen. Zusammen mit Ralph Frey (Choreografie) präsentieren sie uns einen Musical-Abend, wie er in den Staaten am legendären Broadway oder im Londoner West-End kaum besser zu finden sein wird. Nix Provinz: Weltklasse in Krefeld!
 
Wenn der Old-Star des Krefelder Theaters, Joachim Hentschke als Dr. Everet Scott (uhh!), seine netzstrumpfbewehrten hübschen Beine zeigt, steht das Haus Kopf. Und Eddie (pscht!) Felix Banholzer rockt tatsächlich wie der legendäre Meat Loaf. Cornelius Geberts Rocky zeigt prachtvollen Sixpack, während Columbia (Helen Wendt) sowohl tanztechnisch als auch sängerisch brilliert.
 
Adrian Linke Mega-Star

Last but not Least der Star des Abends – die Traumbesetzung, von der nicht wenige Kolleginnen sagten, daß er in dieser Montur mit den Netzstrümpfen und auf High-Heels sogar eine bessere Figur machte als die bis dato ultimative Legende Tim Curry: Adrian Linke. Vielleicht der Mega-Star des Niederrheinischen Schauspiels, letztlich noch als „Amadeus“ in einer Traumrolle zu erleben. Wer Linke in dieser Produktion erlebt hat, könnte Tim Curry vergessen, wobei ich als alter Opernkritiker zugestehe, daß Curry natürlich der bessere Sänger ist, Linke das Manko aber durch raffiniert subtile Darstellungskunst und Theatersprache bzw. schauspielerische Intelligenz wett macht. Er schafft es z.B. grandios, gerade eben die im Original angelegte sarkastische Ironisierung jener gestelzten Sprache der englischen Oberschicht auch im Deutschen hörbar zu machen; darüber hinaus könnte er in diesem Outfit, bei aller Travestie, den Preis für den „Sexiest Man" aller Zeiten auf der Theaterbühne sofort bekommen. Eine nachgerade vorbildliche Darstellung!
 
Wir sprechen jetzt nicht mehr über die sechs Zugaben praktisch aller Hauptsongs, welche den Abend in einer großen fabelhaften Publikumparty ausklingen ließen - was keinen mehr auf den Sitzen hielt, sondern nur noch, darüber wie an Karten zu kommen ist – dabei ist Eile geboten (Verkleidung obligat!): 
 
 
Hinfahren! Hinfahren! Hinfahren! Einer der wunderbarsten Theaterabende, die ich in den letzten 40 Jahren an diesem Haus genießen durfte. Don´t dream it – Be it!
 

Diese Hymne von Peter Bilsing erschien ursprünglich in "Der Opernfreund".
 Erscheint auch im MERKER-online (Wien)