Schumanns dramatisches Gedicht „Manfred“ in Düsseldorfer Tonhalle

Johannes Deutsch inszeniert ein perfektes Gesamtkunstwerk

von Peter Bilsing
„Manfred“ - Schweizer Alpen in Düsseldorfer Tonhalle
 
Schumanns dramatisches Gedicht als perfektes Gesamtkunstwerk
 Überwältigend inszeniert von Johannes Deutsch
 
UA 26.11.2010
 
Worum geht es in „Manfred“, und warum sollte uns solch (auch wegen des enormen Aufwandes) öfter als „unspielbar“ diffamiertes Stück Musiktheater heute noch irgendwie berühren oder gar interessieren? Bisher reichte uns doch die Manfred-Ouvertüre. Oder Tschaikowskys Manfred-Sinfonie. Wirklich? Lassen wir den Regisseur selber zu Worte kommen:
„Von der Thematik des „Manfred“ kann man viele Vergleiche zum Leben der Menschen heute ziehen. Die Zuschauer können Ideen und Erfahrungen daraus gewinnen. Die Episoden des Dramas müssen nur entsprechend übertragen werden … wir werden Zeugen, wie ein Mensch sein Leben zu Ende denkt und darüber aus Kummer stirbt. Das erinnert mich an die außerliterarischen Dramen der TV-Shows, in denen Menschen im Augenblick ihrer Krisen und Schicksalsschläge auf eine Bühne gehoben werden. Und alles öffentlich erleben müssen und lösen wollen. Der Weg durch die persönliche Tragödie wird extemporiert, und während der dramatischen Performance tauchen alle guten und bösen Geister auf, als handele es sich um Theaterzauber: Zwischen Beratern, Quacksalbern, Befürwortern, Gegnern, Tätern und Opfern soll das Einvernehmen erzielt werden.“ (Prof. Johannes Deutsch)
 
Es gab in den letzten hundert Jahren nur ganz wenige, praktisch an einer Hand aufzählbare Projekte. 2006 war es „Manfred“ in der Berliner Philharmonie unter Abbado, als quasi semikonzertante Oper. Es ging grandios daneben, denn weder konnte man sich mit den Realfiguren, die allzu opernmäßig ausstaffiert waren identifizieren, noch entsprach der pompöse Aufwand dem Ergebnis, denn visuell blieb wenig hängen. Ist es doch häufig gerade das Bühnenbild, welches uns auch nach Jahrzehnten noch im Gedächtnis bleibt, wenn alles andere fast vergessen ist.
 
Ganz anders nun bei diesem Weltkulturereignis in Düsseldorfs traditioneller Tonhalle, dem wahrscheinlich schönsten tonalen Erlebnisdom dieser Republik. Daß wir diese Philharmonie erstmals als quasi magischen Klangraum empfinden durften, liegt an der grandiosen Installation der Einrichtung von Prof. Johannes Deutsch aus Wien (Regie und künstlerische Visualisierung) in Zusammenarbeit mit Philipp Krebs (Technische Realisierung des Live-Konzepts). Nach gut zweijähriger Vorbereitungsarbeit präsentierte Deutsch nun sein Konzept, eine Vorstellung, die den glücklich Anwesenden förmlich die Sprache verschlug. Seine sensationellen Szenenbilder (aus sagenhaften 1400 Bildsequenzen live abgemischt) betörten das Publikum und fesselten die Konzentration der gut 1.500 Besucher (große Teile der Ränge waren mit dem Chor belegt), wie ich es selten erlebt habe. Kein Hüsteln, kein Papierknistern, kein Flüstern – atemberaubende Konzentration über unerhörte 75 Minuten und Spannung, daß man die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können. Einzig das leise Summen und Rauschen der Kühlventillatoren der gigantischen Beamer und Belichtungsprojektoren durchzog den Raum, doch konnte man das mit etwas Phantasie auch als leichte Brise oder Meeresrauschen empfinden – noch stimmig und keinesfalls störend - und das im Hustentempel des Ruhrgebiets, wo sich normalerweise Klaviervirtuosen in Winterzeiten nur höchst ungern präsentieren. Großes Lob also erstmal an das Auditorium.
 
Es gehört schon ein gerüttelt Maß an Mut und Empathie dazu, sich allein den Texten von 1848, die ja durchaus in der Urfassung von Byron als eine Art Anti-Faust geprägt wurden, hinzugeben. Wer es schafft, wird feststellen, daß diese – fälschlicherweise oft als schwülstig und allzu verquast kritisierten Passagen – durchaus heute noch, oder wieder brandaktuell sind. Der Regisseur läßt sie in der ursprünglichen Übersetzung (op.115) und verweigert sich textlichen Modernisierungs-Versuchen. Und das ist gut so. Durch eben diese konsequent klare Linie und Kompromißlosigkeit des Medienkünstlers Johannes Deutsch entsteht dies wunderbare transpikturale Gesamtkunstwerk.
 
„Es gibt durchaus zeitgenössische Literatur, welche die Themen des „Manfred“ gestaltet und weiter entwickelt. Aber ich bin der Meinung, dass der Text in seinem historischen Kleid, gerade durch die Notwendigkeit einer Transformation ins heutige Verständnis, unseren Assoziationen auf die Sprünge hilft … Jedes textliche Aufschnüren hat unmittelbare Folgen auf die Musik. Es gibt Beispiele, wo man deutlich hört, daß die Übereinstimmung des Textklanges und der Musik verloren ging. Genau hier entdeck man, wie groß die Übereinstimmung von Schumanns Musik mit der Textfassung von Karl Adolf Suckow ist. Schumann muß den Wortklang und Sprachrhythmus des Textes förmlich als seinen eigenen Pulsschlag und Atemrhythmus verinnerlicht haben, sonst könnte er nicht so eine Ideallinie zwischen Textwiedergabe und Musik gefunden haben.“ (Johannes Deutsch, Düsseldorf 2010)
 
Und da ist es besonders ein Künstler, der diesem Abend sein Profil aufdrückt: Der Schauspieler Johann von Bülow. Ein wahrer Magier der Sprache, Tonevokation und Sprechgestaltung – was für eine Stimme! Was für ein Charakter! Und selbst wenn er zu uns aus den Höhen der Tonhallenkuppel spricht, verborgen in einer Kugel, die sowohl Mikrokosmos, als auch Sinnbild für unseren Planeten sein könnte (vor allem durch die tollen Projektionsbilder auf eben diese), so ist er doch durch die stete Übertragung seines Konterfeis auf eine Riesenleinwand omnipräsent. Daß dies nicht fotorealistisch, sondern künstlerisch und je nach Situation elektronisch verfremdet erfolgt, erfordert große und ständige Konzentration der aus dem Off des Ton- und Bildstudios agierenden Künstler Deutsch und Krebs. Der Regisseur präsentierte keine Aufzeichnung, wie allgemein üblich, sondern agierte an jedem der drei Abende live mit allen Konsequenzen solcher Live-Aufführungen. Insoweit ist jeder Abend wirklich einmalig. - In gewisser Weise dennoch demnächst reproduzierbar, da es sowohl eine ZDF-Aufzeichnung geben wird, als auch dankenswerterweise eine DVD von ARTHAUS.
 
Einmalig war auch die ungeheuer konzentrierte Leistung der Düsseldorfer Symphoniker, die ich jahrelang nicht in dieser Qualität gehört habe; gleiches gilt für die Hundertschaft der Damen und Herren vom Städtischen Musikverein zu Düsseldorf e.V. Man wächst anscheinend mit der Schwierigkeit der Aufgabe. GMD Andrey Boreyko spielte einen Schumann von erfreulicher Frische und eloquentem, zeitgemäßem Tempo. Selten hat man diesen Komponisten so grandios interpretiert, eben nicht als reine Bühnenmusik. Und es zeigte sich nachhaltig, wie wichtig uns diese damals wirklich revolutionäre Musik, die in vielen Punkten ihrer Zeit voraus war, noch heute sein kann, wenn man sich auf sie einläßt. Sie wurde bisher sehr zu Unrecht als reine Schauspielmusik mißachtet. Das ist der Schumann, der zum Düsseldorfer Schumann-Jahr und Jubiläum in idealer Weise paßt. Eine Ausgrabung von Format! Schöner wurde Schumann selten musiziert, gesprochen und gesungen.
 
Die ständig wechselnden Projektionen von Alpenlandschaften in teils surrealer Verfremdung lenken immer wieder den Blick nach oben auf die Leinwand und die Weltenkapsel, so daß die Sänger und Musiker in ihrer schwarzen Kleidung auf dem Orchesterpodest fast wie aus dem Nichts ertönen. Wohltuend akzentuiert Stefan Wilkening als Gemsenjäger und Geist, Tina Amon Amonsen war eine aparte Alpenfee bzw. Astarte, und großartig Vera Bauer (Nemesis), auch die Düsseldorfer Schauspielgröße Dieter Prochnow als Abt glänzte, alle paßten sich perfekt ins Regiekonzept ein. Große Stimmen in der Sängergarde von Mechthild Bach, Elisabeth Popien über Hans-Jörg Mammel, Manfred Bittner, Markus Flaig bis zu Ekkehard Abele und Tobias Berndt. Ein prächtiges Team, eine engagiert tolle Besetzung!
 
Daß gerade die Düsseldorfer Symphoniker, deren Historie doch so eng mit Robert Schumann verbunden war, so einen phantastischen Abend zaubern, würdigt den 200.Geburtstag des Komponisten aufs besondere. Die einmalige und wirklich phänomenale Einrichtung und Realisierung durch Prof. Johannes Deutsch ist ein Meilenstein in der Rezeptionsgeschichte. Vielleicht sieht so sogar die Zukunft der Gattung Musiktheater aus, wenn man einmal die klassische Oper überwunden hat? Als Opernliebhaber wünsche ich mir, daß Prof. Deutsch endlich die Chance bekommt, seine genialen Künste am größten Projekt der Musikgeschichte zu beweisen, nämlich Richard Wagners „Ring des Nibelungen“...
 
 
 
Dieser Beitrag erschien zuerst vor einigen Tagen in „Der Opernfreund“ –
die aktualisierte Fassung für die Musenblätter besorgte Frank Becker