Das Waisenkind
Ost trifft West
Samuel Bächli (Musikalische Leitung) - Jakob Peters-Messer (Inszenierung) - Pascale-Sabine Chevroton (Choreographie) - Markus Meyer (Bühnenbild) - Sven Bindseil (Kostüme) - Andreas Ketelhut (Chor) - Dr. Arne Langer (Dramaturgie)
Besetzung: Andión Fernández (Das Waisenkind) - Marisca Mulder (Arfisa) - Denis Lakey (Osmingti) - Marwan Shamiyeh (Alsingo) - Máté Sólyom-Nagy (Étan) - Sebastian Pilgrim (Dag-Ngans-Kagh) - Peter Umstadt (Cheng Ying 1) - Julien Feuillet-Dolet (Cheng Ying 2)
Der Stoff ist mehr als zweieinhalbtausend Jahre alt und wurde schon mehrfach bearbeitet. Die bekannteste Bearbeitung ist die von Metatasio „L’eroe cinese“, erstmals vertont von Giuseppe Bonna für Wien 1752. Drei Jahre später schrieb Voltaire sein „L’orphelin de la Chine“ für Paris. 1781 vollendete Goethe sein Schauspiel „Elpuar“, das die gleiche Vorlage hat. Mord und Totschlag - Ein chinesischer Herodes
Aber worum geht es? Dag Ngang Kagh läßt seinen Gegner Osmingiti wegen angeblichen Verrats
15 Jahre später. Der kinderlose Dag Ngan Kagh, der von Chen Yings Loyalität überzeugt ist, hat dessen „Sohn“, das Waisenkind, als seinen Erben adoptiert. Chen Ying offenbart dem Waisenkind in dieser Situation seine Herkunft und das Schicksal seiner Familie. Auf der Höhe seiner Macht empfängt Dag Ngan Kagh ausländische Würdenträger. Das Waisenkind konfrontiert ihn mit seinem Verbrechen und will ihn zunächst selbst töten, übergibt ihn aber dann der staatlichen Autorität. Deren Urteil: ein qualvoller Tod.
Oper als Weltmusik
Der Harvard-Absolvent Jeffrey Ching, 1965 in Manila geboren, lebt seit seiner Londoner Lehrtätigkeit 1987-1991 als Komponist in Berlin. In seiner Musik kombiniert und konfrontiert er traditionelle wie künstlerische asiatische Musik mit spanischer Renaissancemusik und europäischer Barockmusik. Für seine Oper nimmt Ching Bezug auf die verschiedensten Quellen. Sein Text, etwas 5 Prozent der Version von Ji Junxiang, wird in Altchinesischer, italienischer, französischer, spanischer, englischer und deutscher Sprache gesungen. Seine Musik orientiert sich an der Rhythmik Rameaus, Purcells und Sacchinis, ebenso zitiert er öfters C. Ph. E. Bach.
Die musikalische Leistung der Erfurter Oper ist überragend. Einen für die meisten Opernbesucher sperrigen Stoff so stimmig „rüberzubringen“, so daß keinerlei Langeweile aufkommen kann, ist für ein Haus dieser Größe mehr als bemerkenswert. Samuel Bächli hat seine „geteilten“ Philharmoniker - die Schlagwerke stehen auf einer Brücke über der Bühne - fest im Griff. Keinerlei Dissonanzen aus dem Graben.
Hohes gesangliches Niveau Auf der Bühne agieren die Sängerinnen und Sänger auf gewohnt hohem Niveau. Allen voran soll Peter Umstadt erwähnt sein. Während Julien Feukket-Dolet die Rolle tänzerisch interpretiert, spricht der Tenor den Chen Ying. Aber nicht nur die Rolle des Chen Ying wird von ihm gegeben, seine Stimme und seine Stimmkunst dienen auch dazu, die altchinesischen Texte quasi simultan zu übersetzen. Sebastian Pilgrim gibt den üblen Dag Ngan Kagh, sein seriöser Baß unterstreicht seine imposante gebieterische Erscheinung. Der Countertenor Denis Laky, in Erfurt ein beliebter Gast, brilliert in seiner viel zu kurzen Rolle des Osminginti. Ihm zur Seite die bezaubernde Marisca Mulder als seine Gattin Arfisa. Der junge Bariton Matè Sólyan-Nagy leiht sein wohlklingendes Organ General Etan. Marwan Shaminyeh gibt dem alternden Alsingo Würde und Überzeugung. Andión Fernandez lebt das Waisenkind. Ihr Sopran überzeugt in jeder Linie ihres Gesanges.
Jakob Peters-Messer läßt im Bühnenbild von Markus Meyer und den Kostümen von Sven Bindseil ein kunstvolles „China“ entstehen. Eine sich perspektivisch verengende schwarze Bühne, ein paar wenige Bühnenelemente genügen, um ein Rokoko-China entstehen zu lassen. Sven Bindseils Kostüme, höfische Pracht des französischen Spätbarock und Rokoko konkurrieren mit asiatisch anmutender Kleidung.
Gelungene Inszenierung
Jakob Peters-Messer gelingt eine stimmige Inszenierung, die es ermöglicht, der Handlung auch ohne die hilfreichen Übertitel zu folgen. Der Premierenabend endete mit überdurchschnittlich langem Applaus. Ein begeistertes Publikum fand sich zur Premierenfeier ein. Bleibt zu hoffen, daß sich weitere Opernhäuser finden, die dieses Werk nachspielen und daß sich ein Verleger findet, der dieses überragende Werk des modernen Musiktheaters auf CD oder DVD bannt.
Fotos von Lutz Edelhoff
Weitere Informationen unter: www.theater-erfurt.de
Redaktion: Frank Becker
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