Geschlossene Gesellschaft

Purcells "Dido and Aeneas" und Schönbergs "Erwartung" in Krefeld

von Stefan Schmöe
Geschlossene Gesellschaft

Dido and Aeneas

Oper in drei Akten
Libretto von Nahum Tate
Musik von Henry Purcell
Erwartung
Monodram in einem Akt, op. 17
Dichtung von Marie Pappenheim
Musik von Arnold Schönberg
in englischer und deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 1h 40' (eine Pause)
Premiere im Theater Krefeld am 20. Mai 2007
Musikalische Leitung: Graham Jackson - Inszenierung: Christian Tombeil - Bühne: Andreas Jander - Kostüme: Gabriele Wasmuth - Choreinstudierung: Heinz Klaus - Dramaturgie: Ulrike Aistleitner
Chor der Vereinigten Städtischen Bühnen Krefeld und Mönchengladbach - Die Niederrheinischen Sinfoniker
Fotografie: Matthias Stutte

Solisten:
Dido and Aeneas
Dido: Uta Christina Georg - Aeneas: Hans-Jürgen Schöpflin - Belinda: Debra Hays - 2. Frau: Ursula Hennig - Zauberin: Janet Bartolova - 1. Hexe: Marianne Thijssens - 2. Hexe: Nele van Deyk - Geist: Kerstin Brix - 1. Matrose: Walter Planté

Erwartung
Die Frau: Kerstin Brix
Für Dido an Aeneas hat Henry Purcell wunderbare Musik komponiert, die leider mit knapp 50 Minuten Spielzeit allzu kurz für einen kompletten Opernabend geraten. Fehlt also ein passender Partner. Die Entscheidung, das barocke Schmuckstück ausgerechnet mit Arnold Schönbergs hochexpressiver Ein-Personen-Oper Erwartung zu koppeln – und noch mehr: beide Werke ineinander zu verschränken - klingt zunächst geradezu absurd. Hier ein schlankes barockes Klanggewand (möglichst in historischer Aufführungspraxis zu spielen), dort ein üppiges Symphonieorchester am Rande der Auflösung der Tonalität. Die thematische Verknüpfung – eine leidende Frauengestalt in beiden Werken – liest sich noch dazu im Programmheft papiertrocken theoretisch hingebogen. Und trotzdem geht die aberwitzige Konstruktion in Krefeld auf und beschert einen ausgesprochen spannenden Theaterabend.

Spiel im Spiel: Dido (Uta Christina Georg) im barocken Gewand

Die Klammer zwischen den beiden so unterschiedlichen Werken bildet die Inszenierung von Christian Tombeil. Er verlegt die Handlung in einen hermetisch abgeriegelten, in die Jahre gekommenen Raum, der das Innere einer Nervenheilanstalt sein könnte, geschlossene Abteilung. Didos Gefolgsfrau Belinda wird zwischendurch sogar eine Zwangsjacke übergezogen und verschnürt. Trotzdem verweigert die Regie eine allzu große Eindeutigkeit und beschränkt sich auf Andeutungen, ohne die abstrakte Sphäre aufzugeben. Die zunächst weiß gekleideten Menschen ziehen sich Kleidungsstücke der Purcell-Zeit über, sodass Dido and Aeneas zum Spiel im Spiel wird (mit dem Pflegepersonal als Hexen). Der Karthagerkönigin Dido stellt Tombeil eine zweite Frau an die Seite, die später die namenlose Protagonistin in Erwartung sein wird. Zwei Seiten einer Person werden damit ins Zentrum der Inszenierung gestellt: Verkörpert Dido die auf Repräsentation und Öffentlichkeit bedachte Außenhaut der Figur, so ist die „Frau“ Trägerin der nach innen gerichteten Gefühle, wohl auch der verdrängten und unbewussten Triebkräfte und Emotionen.

Vergrößerung in neuem Fenster Dido (Uta Christina Georg) und Aeneas (Hans-Jürgen Schöpflin) sind auf den Sockel gehoben, doch Hexen und Zauberin (Janet Bartolova, mitte) intrigieren erfolgreich

Plaziert ist Erwartung in der Schlußszene von Dido and Aeneas unmittelbar vor Didos großer Arie „When I am laid in earth", die zum Abschluss beide Sphären versöhnt. Ein wenig gemildert wird der musikalische Bruch durch die Pause vor Erwartung, die wegen der erforderlichen Umbauten im Orchestergraben wohl unvermeidlich ist. Abweichend vom originalen Libretto hat Dido ihren Liebhaber Aeneas zuvor erstochen (wobei viel Theaterblut fließt), als dieser auf vermeintlich göttlichen Auftrag Karthago verlassen will. Das höhlt die Aeneas-Handlung zwar gewaltig aus (schließlich müsste Aeneas, so der zentrale Aspekt des Mythos', erst noch Rom gründen) und nicht jedes Detail fügt sich schlüssig ein. Der Ebenenwechsel zwischen Purcell und Schönberg wird dadurch aber plausibel: Erwartung ist im Original der Monolog einer im Wald irrenden Frau, die sich schließlich am Leichnam ihres Geliebten wiederfindet (ob sie selbst die Mörderin ist, bleibt unsicher). Hier wird das Stück zum gewaltigen inneren Monolog der Frau, die zuvor als Dido in der Öffentlichkeit auf eine feste, repräsentativ ausgerichtete Rolle festgelegt war und hier psychomusikalisch seziert wird. So dreht sich der Blickwinkel von der „äußeren“ Sicht auf die pathologische Innensicht der Täterin. Die Rolle der Dido wird dabei wie das Kostüm abgelegt.

"Die Frau" (Kirsten Brix) an Aeneas' Leiche; Dido (Uta Christina Georg) schaut zu

Das Konzept geht auch deshalb auf, weil mit der famosen Kerstin Brix als „Die Frau“ in Erwartung eine Sängerpersönlichkeit auf der Bühne agiert, die den halbstündigen Monolog (der ohne äußere Handlung auskommt) mit großer Bühnenpräsenz fesselnd gestaltet. Die Stimme ist zwar nicht gerade groß und dramatisch, bewältigt die vertrackte Partie aber mühelos und höhensicher. Die Figur erhält darstellerisch wie musikalisch mädchenhaft kokette Züge, ist aber auch sehr nuanciert und wandlungsfähig angelegt. Dagegen fällt die von Uta Christina Georg mit schöner und tragfähiger Stimme, aber recht pauschalem Vibrato allzu neutral gesungene Dido etwas ab.

Vergrößerung in neuem Fenster Erwartung: Die Frau (Kerstin Brix)

Insgesamt ist die musikalische Seite von Dido and Aeneas durchweg schön und sehr sauber, mitunter aber gerade dadurch ein wenig zu glatt geraten. Dirigent Graham Jackson fordert der stark reduzierten Besetzung der Niederrheinischen Sinfoniker eine sehr disziplinierte Interpretation ab, die aber die Schärfe und Prägnanz, die man von Spezialensembles für alte Musik kennt, nicht erreicht. Auch Hans-Jürgen Schöpflin mit markantem und männlichem Tenor als Aeneas und Debra Hays als tonschöne Belinda gewinnen, bei allem Wohlklang, als Figuren wenig Individualität. Konturierter ist die Zauberin von Janet Bartolova, mit dramatischerer, aber dennoch barock-kontrollierter Stimmgebung. Brillant ist der kurze, aber wirkungsvolle Auftritt von Walter Planté als Matrose, der bewusst rau und „unschön“ singt, aber genau damit die edle Oberfläche durchstößt. Wunderschön allerdings sind die sehr homogenen und nuanciert gesungenen Chorsätze (Einstudierung: Heinz Klaus).
In Erwartung gelingt dem auf große Besetzung erweitertem Orchester eine sehr transparente, farbige Interpretation, die kammermusikalische Durchhörbarkeit und symphonischen Tonfall gut ausbalanciert. Auch dadurch wird dieser Teil des Abends der musikalisch stärkere. Am Ende gab es vom Premierenpublikum viel Beifall für ein mutiges und engagiertes, künstlerisch überzeugendes Projekt.

FAZIT
Gelungenes Experiment über die Jahrhunderte hinweg: Eine ungewöhnliche und ausgesprochen spannende Aufführung, musikalisch vor allem bei Schönberg überzeugend.
Weitere Informationen unter: www.theater-krefeld-moenchengladbach.de