Eine Opernreise nach Zürich (2)

Rossini, Verdi, Händel und Strauss in drei Tagen

von Martin Freitag

Eine Opernreise nach Zürich

Rossini, Verdi, Händel und Strauss
in drei Tagen

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Relativ entzaubert hat Jens-Daniel Herzog Händels eigentliche Zauber-Oper "Orlando" nach Ariosts unsterblichem Meisterwerk, indem er das Geschehen um den aus Liebe wahnsinnig gewordenen Ritter Roland in eine Art Sanatorium zu Beginn des letzten Jahrhunderts verlegt. Der Magier Zoroastro geriert zum Klinikchef für psychische Debakel, die Schäferin Dorinda zu einer Krankenschwester, das geht zwar inszenatorisch auf, wirkt aber trotz Händels großartiger Musik auf die Dauer recht trocken, wenn da nicht doch etwas Magie im Spiel wäre. Die Magie geschieht einzig durch Mathis Neidhardts sich immer verwandelndes, stets neue Räume gebärendes Bühnenbild, mit seinen dazu exakt passenden Kostümen.
Die spannenden Impulse kommen allein aus der Musik, selbst in der Wiederaufnahme hat man am Pult des Orchestra "La Scintilla" der Oper Zürich, welches für das Repertoire der Alten Musik bestens präpariert ist, den Leiter der Premiere, William Christie, als spiritus rector, was die Sorgfalt der Zürcher Planung aufs Beste betont. Gerade der "Orlando", in dem Händel mit den Formen der französischen Oper experimentiert, liegt dem Rameau-erfahrenen Christie besonders im Blut, was zu einer lebendigen Aufführung mit starkem Detailreichtum führt. Die Sänger sind überwiegend aus dem Ensemble besetzt, aufgepept durch den Counter-Tenor David DQ Lee in der Titelpartie. Lee ist ein eher lyrischer Sänger, dem für meine Begriffe das nötige Heroische einer Heldenfigur wie Orlando fehlt. In der Wahnsinnsszene macht er aus seiner Not eine Tugend und rettet sich in leicht veristische Ausbrüche. Martina Jankova zeigt sich als Angelica den großen Aufgaben einer Primadonna vollständig gewachsen, ihr wohlklingender Sopran hat mittlerweile mehr Kern zugelegt, als sie in früheren Soubrettenpartien hatte. Diese gab mit süßem Timbre und enormer Spielastik Rebeca Olvera als Dorinda. Katharina Peetz bot mit sinnlichem Mezzo einen verständlichen Liebhaber Medoro. Konstantin Wolffs Zoroastro klang mit relativ hellem Baß prädestiniert für das barocke Fach, wie alle beteiligten Sänger mit hoher Agilität versehen. Eine wirklich runde Vorstellung.

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"Die Frau ohne Schatten" gehört zur echten Königsdisziplin der großen Brocken, wie der "Ring" oder Berlioz "Trojaner", um so erfreulicher die neue "FrOSch" auf so hervorragendem Niveau zu erleben. David Pountney inszeniert das schwierige Werk in seinen ersten beiden Akten gleich einer Nestroy´schen Zauberposse, was ich als Kompliment meine, denn er bietet eine schlüssige Personenregie in den farbenfrohen Bildern Robert Israels, erzählt die verzwickte Handlung gut verständlich und läßt der Zauberoper ihr Recht. Marie-Jeanne Lecca verankert mit ihren geschmackvollen Kostümen und ihren mythischen Bezügen das Werk in seiner Entstehungszeit, den letzten Jahren des Habsburgerreiches. Die zentrale Rolle der Kaiserin wird angenehm nachvollziehbar, wenn sie als Adlige das erste Mal dem arbeitenden Lumpenproletariat in Baraks Färberhütte begegnet. Die knalligen Bonbonsymbole prallen im Versinken der realen Welt Ende des zweiten Aktes in die Realität und deuten den Positionswechsel der Inszenierung an. Der dritte Akt erfährt in einem zersplitterten Raum - gleich dem zweiten Kölner Tristan-Akt desselben Teams - seine psychische Deutung und erfreut in seinen wandelbaren Bildern. Der Coup, den Pountney mit dem schwer verdaulichen, überfrachteten Schlußhymnus Hofmannsthals vornimmt, rettet für mich das Finale: das Ensemble kleidet sich mitsamt Statisterie in Normalkleidung um und setzt sich zur rauschhaften Musik bei einer Art Picknick entspannt in die Kulisse, die Geschehnisse des Spiels überdenkend, bis die Inspizientin den Vorhang fallen läßt. Das fordert provozierend zur Nachdenklichkeit auf, ohne die Botschaft(en) des grandiosen Werkes zu schmälern oder zu verkleinern. Bravo!
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Peter Tilling übernimmt als Assistent gekonnt das Leitungskonzept von Franz Welser-Möst, stets darauf achtend, daß das orchestrale Monster nicht die Logen des Zürcher Hauses sprengt, dabei der Musik den überschwenglichen Fluß lassend, den Sängern für ihre Aufgaben den nötigen, durchhörbaren Teppich für ihre enormen Leistungen ausrollend. Und das Orchester der Zürcher Oper spielt gnadenlos gut, man merkt in jeder Sekunde die Vertrautheit mit Welser-Möst, auch bei Tilling. Ob Soli oder Tutti, ob Barock oder Strauss das Orchester spielt in den drei Tagen mit hoher Konzentration und stilistischem Gespür.
Emily Magee setzt eine hervorragende Kaiserin mit der nötigen filigranen Akuratesse bei ihrem ersten Auftritt, wie mit nimmermüder dramatischer Präsenz durch die Oper hindurch, es fehlt manchmal lediglich noch ein Quentchen Originalität der Stimme oder Darstellung. Mit Janice Baird gelangt endlich einmal ein jugendlich glaubhafte Färberin auf die Bühne, dabei unermüdlich aus stimmlichen Reserven schöpfend und immer zu den nötigen zartenTönen fähig. Birgit Remmerts Amme ist par excellence gesungen, mir fehlen jedoch ein paar dämonische oder geheimnisvoll gestaltende Töne, also eine durchaus noch steigerungsfähige Leistung. Michael Volle ist zur Zeit sicherlich auf dem Zenit seiner Laufbahn, sein Barak klingt menschlich und balsamisch in bester Tradition von Walter Berry, also mehr auf einen lyrisch kantablen Ton hin. Ob Roberto Sacca sich mit dem Wechsel ins dramatische Fach wirklich einen Gefallen tut ? Keine Frage, selten hat man einen so gesunden, runden Kaiser gehört, doch mit zu wenig Schmelz und Lyrik wird die kalte Figur nicht sympathischer, da müßte man für mehr Zwischentöne sorgen, wie ebenfalls bei seinem Düsseldorfer Peter Grimes. Saccas Tenor trägt, hat aber ein recht neutrales Timbre, was mir früher nie so aufgefallen war. Jetzt werde als Kritiker etwas gemein, denn jeder der Künstler der kleineren Partien sollte sein Lob bekommen, doch es wäre eine fade Aneinanderreihung von positiven Beurteilungen, denn das Zürcher Ensemble zeigt in jeder Rolle das hohe Potential und die wunderbare, künstlerische Ernsthaftigkeit. Ihr wart alle toll!
Wie gesagt, drei heftige Tage voller Eindrücke, die ich jedoch im Leben nicht missen möchte!
Weitere Informationen unter: www.opernhaus.ch



Martin Freitag – für Musenblätter (www.musenblaetter.de)
Redaktion: Frank Becker