Poet und Menschenfreund

Ein Porträt des Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch

von Frank Becker

Foto © Paul Maaßen
Hanns Dieter Hüsch

Poet und Menschenfreund

 
Er beschreibt sein neues Programm selbst als leicht und etwas populistisch, aber man sollte sich nicht versteigen, weniger Inhalte darin zu argwöhnen. Hanns Dieter Hüsch hat den Menschen im Blick wie eh und je, er deutet auf ihn, sagen wir es konkret: auf Sie und auf Sie und auf mich. Und wer ihm zuhört, findet sich in den Alltagserzählungen, den Momentaufnahmen wieder, die er „Meine Geschichten“ nennt.
Die Siebzig hat Hanns Dieter Hüsch mittlerweile überschritten, wird noch in diesem Jahr zweiundsiebzig. An seinem Elan, seiner nervösen Kreativität hat das nichts geändert. Man darf ihn getrost als kabarettistisches Urgestein bezeichnen, er selbst sieht sich als Bühnentriebtäter. Ob er bestätigen könne, was mir neulich ein kluger Mensch sagte: „Die Erziehung wirkt sich erst mit siebzig aus“? „Wissen Sie, ich bin nicht erzogen worden, ich wurde geliebt. Und nach der Kindheit ändert sich der Mensch kaum noch.“ Sicher hat er die Liebe, die er in seiner Jugend in Moers empfangen durfte, bis heute bewahrt, und sie ist es, die seine Arbeit stets begleitet hat.
Seit 1947 macht er Kabarett und seit 1949 tritt er in Solo-Programmen auf. Große Partnerschaften, wie z.B. 1983 und im vergangenen Jahr mit Franz Hohler sind reizvoll und sollen auch nicht aus den Augen verloren werden; das Solo bleibt aber sein bevorzugtes Genre des Fachs. Und er beherrscht es wie kein zweiter. Das weiß auch sein treues Publikum, das die Säle bis auf den letzten Platz, ja sogar die Treppenstufen füllt, an seinen Lippen hängt, sich herzlich amüsiert und Hüschs Heiterkeit und Wärme genießt.
 
Die Frage, ob er wisse, daß er Menschen mit seinen Texten glücklich zu machen verstehe, bejaht er bescheiden und fügt hinzu: „Genau das ist mein Ziel.“ Kunst muß helfen, sagt Hanns Dieter Hüsch - ein Erkennen und Lachen sei schon Hilfe. In einer Zeit, laut und hektisch wie die unsere, in der Egoismus und Aggression immer mehr Raum gewinnen, komme es darauf an, daß der Starke den Schwachen mitnehme, einer nicht dem anderen davonrenne. „Wir müssen einander genau ansehen, uns um Freundlichkeit bemühen.“
So gestaltet er auch sein Programm, in dem er voller Zuneigung von Begebenheiten und Dingen erzählt, die so alltäglich sind, daß wir sie nicht nur täglich erleben, sondern kaum noch beachten. Wenn wir aber hinschauen er macht das vor - erkennen wir die Heiterkeit darin. Hüsch schaltet sozusagen die Zeitlupe ein und legt das Vergrößerungsglas an, zeigt Kleinigkeiten wie den verlorenen Mantelknopf (ohne die Scherenbewegung von der Gattin Finger zu vergessen) oder den Fleck am dreisilbigen Re-Ve-hers groß und deutlich und wird verstanden. Das Publikum jauchzt vor purer Freude, Ehepaare stoßen sich vergnügt in die Rippen, ein jeder findet sich wieder und niemand wird ausgegrenzt.
 
Ihn einen Kabarettisten zu nennen, wäre viel zu wenig, er ist mehr: Hanns Dieter Hüsch ist ein Poet, und er ist ein Menschenfreund, einer, der sich vor keinerlei Karren spannen läßt, der nur sich selbst und vielleicht noch dem lieben Gott, den er ab und zu in Dinslaken trifft, Rechenschaft schuldet und pardon! natürlich seiner Frau. Ein Mann von beispielhafter Redlichkeit. Seit damals amüsiert, daß er vor etlichen Jahren dem Fernsehmenschen Rosenbauer auf eine entsprechende inquisitorische Frage nach seiner politischen Richtung antwortete: „Ich bin Privat-Sozialist“ - und es beruhigte, daß er es immer noch ist.
Wer im neuen Programm Namen vermißt, die die früheren Jahre geprägt haben wer erinnert sich nicht an die Frieda („Jetzt bindet er sein Pferd fest“, sagte die Frieda und wirklich, er band sein Pferd fest) an Hagenbuch (Hagenbuch habe - so Wiesendanger an Fugger - seinen Kopf neulich - unter dem Himmel von Stuttgart - völlig neu zusammengesetzt...) oder an Ditz Atrops („Ich hab' ja damals schon immer gesagt, der kommt wieder, alle vom Niederrhein kommen eines Tages wieder...) - muß sich damit abfinden, daß diese Kapitel abgeschlossen sind. Die Frieda ist gestorben - Hüsch hatte sie seiner ersten Frau Marianne gewidmet -, Hagenbruch hat sich - literarisch sehr passend - umgebracht, und Ditz Atrops ist tot - er wurde an einem Aschermittwochmorgen gefunden, rücklings mit ausgebreiteten Armen in einem Kahn auf dem Rhein treibend, die Augen dem Himmel zugewandt.
 
Ob Hüsch eines schönen Tages von seinem jetzigen Wohnort Köln wie Ditz Atrops zurück an den Niederrhein kehren werde, ob die Heimat rufe, wollte ich wissen. „Meine Heimat ist meine Kindheit“, gibt er zur Antwort, dorthin kehrt er in seinen Erinnerungen und Geschichten oft zurück. Städte und Gegenden sind nicht mehr die der Jugend, die Zeit ist über vieles hinweggegangen, hat verändert, was vertraut war, die Liebe zum Niederrhein und seinen Menschen aber bleibt. Für das Naturschutzgebiet Hetter zwischen Emmerich und Rees setzt sich Hüsch ein, auch finanziell - „Ich habe eine Schnepfe glücklich gemacht“, sagt er stolz, und man darf es ihm nachtun.
 
In einem Gespräch mit Bernd Schroeder hat Hanns Dieter Hüsch etwas über sich selbst gesagt: „Ich möchte mir den Klang, den ich von klein auf in mir habe, bis an mein Lebensende bewahren. Er ist der Kern, aus dem ich lebe, mit dem ich das grausame praktische Leben bewältige. Er hat mich vor exzessiver Selbstzerstörung bewahrt, mich diszipliniert, aber nicht spießbürgerlich gemacht. Er ist von allem etwas, er ist, was ich zum Leben brauche. Und das lasse ich mir nicht nehmen. Von keinem Kommunismus und keinem Kapitalismus, von keinem Liberalismus und keinem Pragmatismus - und vom Christentum auch nicht. Das ist der Hüsch. Der Hüsch ist das.“ (Bernd Schröder, „Hanns Dieter Hüsch hat jetzt zugegeben“, Arche Verlag 1985)
 
Als er nach etlichen Zugaben einen Auftritt mit seinem Programm „Meine Geschichten“ im Wuppertaler Schauspielhaus (in dem sein Freund Holk Freytag Intendant ist) mit dem ernsten Text „Das Phänomen“, einer Warnung vor dem neuen Radikalismus abschließt, wird Hanns Dieter Hüsch mit minutenlangem stehendem Applaus gefeiert.
Die Hoffnung, noch Neues an dieser Welt zu entdecken, sich selbst weiter zu entwickeln, treibt ihn voran. Was für ein Mensch!

 
Das Foto stellte freundlicherweise Paul Maaßen zur Verfügung.