Y

von Erwin Grosche

Foto © Harald Morsch
Y
 
Oh nein, wir haben das Y vergessen“, sagte Lydia. „Wie kann denn so was vorkommen? Da gucken sich tausend Leute einen Text an, suchen nach Fehlern, korrigieren sie und dann fällt keinem auf, daß im Lexikon das Y fehlt. Na ja, es ist nicht so schlimm. Das wird manchem gar nicht auffallen. Es wäre schlimmer gewesen, wenn uns alle Begriffe mit einem A durch die Lappen gegangen wären. Das wär aufgefallen. Wenn ein Y fehlt, fällt das wahrscheinlich keinem auf. Yvonne Catterfeld wird es auffallen, vielleicht noch Yves Klein, aber sonst? Ich meine nichts gegen Yvonne Catterfeld und Yves Klein, aber die Welt würde es verschmerzen nichts Neues über diese beiden zu erfahren.“ Den schrillen Laut des Pfaus nennt man auch ein Y. Ein Y sieht aus wie ein Pfau, der ein Rad schlägt. Den Flugzeugparkplatzeinweiser stellt man auch, abgekürzt, mit einem Y dar. Den Gottpreiser kann man auch mit einem Y präsentieren, aber man kann ihn auch weiterhin „Gottpreiser“ nennen, aber wer preist heute noch Gott mit erhobenen Armen? „Wir haben aber Glück, daß nur das Y im Buch fehlt. Irgendwas ist ja immer, da haben wir Glück, daß nur das Y fehlt“, sagte Lydia dauernd, als wollte sie sich selbst Mut machen.
 
 
Y-Faktor
 
Doktor Staub seufzte: „Es gibt wohl klingende Sätze, die lassen einem das Herz bis zum Himmel hüpfen. Man nennt dies den Y-Faktor.“ Er holte sein Taschentuch heraus und putzte sich zu laut die Nase. „Kürzlich hörte ich etwas, das war so schön, daß mir spontan Tränen in die Augen traten.“ „Was war das denn für ein Satz?“, fragte Lydia. Doktor Staub schaute sich um, als wollte er sich sicher sein, daß niemand zuhörte. „Ich traf mal einen Häusermakler“, sagte er dann, „der mir auf dem Weg zur Toilette zuflüsterte: „Eine gute Wasserspülung ist schon die halbe Miete.“ Da hab´ ich echt dran zu kauen gehabt.“ „Da hab ich echt dran zu kauen gehabt, ist auch ein schöner Satz“, sagte Lydia und zog lächelnd die Strümpfe hoch.
 

© Erwin Grosche