Oldenburger Sozialisation 1

(Ankunft und Rückzug)

von Erwin Grosche

Foto © Harald Morsch
Oldenburger Ankunft
(Spezielle Gastfreundschaften)
 
Seine Ankunft ist Oldenburg war damals begeistert aufgenommen worden. Alle umarmten ihn und schnell war man beim „Du“. „Erwin ist da“, riefen alle. „Endlich ist Erwin da.“ Tauschten sie nicht ohne zu zögern Vertraulichkeiten aus? Erzählte er nicht sogar von seinem Fußpilz? Jemand machte sogar Fotos und stellte sie auf eine Seite ins Internet. Später war das nicht mehr so. „Erwin ist böse“, riefen einige. Er versuchte sich oft zu erklären, was ihn verraten hatte. Haben sie gespürt, daß er manchmal lieber zu Hause gewesen wäre? Hatte er sich wieder so peinlich verhalten, so kindlich daneben benommen? „Kennen Sie das“, fragte er später wildfremde Männer auf Motorrädern, „wenn Sie nichts gemacht haben und trotzdem dafür bestraft werden?“ Am meisten wurmte ihn, daß sich die Oldenburger erst mit ihm angefreundet hatten, bevor sie ihn dann fallen ließen. „Ich habe sie immer noch gern“, flüsterte er manchmal vor sich hin. Das machte seine Bestrafung natürlich perfekt. So bezeichnet man oft eine trügerische Gastfreundschaft als Oldenburger Ankunft.
 
 

Oldenburger Zurückziehen
(Aus dem Brief eines Betroffenen)
 
Ist man einmal mit dem Oldenburger Fluch belastet, darf man sich nicht wundern, wenn er sich auf andere Bereiche ausweitet. Alles wendet sich gegen einen, und das Zurückziehen nimmt seinen Lauf. Kann sein, daß sogar das Meer sich zurückzieht und einen im Urlaubsglück allein läßt. Ich kenne Männer, deren Zahnfleisch sich vor ihnen zurückzog. Gestern zog mein Kochkäse sich vor mir zurück. Ich dachte, ich esse mal zum Frühstück Kochkäse, den mag auch keiner. „Wir müssen zusammen halten“, habe ich gesagt, dann zog er sich zurück. Meine Oma behauptet noch heute, daß Horst Köhler sich wegen mir aus der Politik zurückgezogen hat. Ich wäre, meinte sie, der wahre Grund für seinen Rücktritt gewesen und dabei habe ich nur gesagt, Bundespräsident zu sein ist wie in Oldenburg sich auf seine Freunde zu verlassen. Ich kenne einen Hund, von dem sich alles zurückzog, nur weil die großen Ferien begannen. Nun lebt er freiwillig auf einer Araltankstelle und hält die Toiletten sauber. „Jetzt hat sich auch noch meine morgendliche Erektion zurückgezogen“, vertraute mir mein Nachbar an. Ich kenne das. Nur mein Bauch, mein armer dicker Bauch steht mir bei. Natürlich trete ich im Freibad noch ohne ihn aus der Umkleidekabine und stehe gertenschlank in der Sonne. Doch spüre ich, daß ich ihn bald outen muß. „Liebe Sonne, ich muß dir jemanden vorstellen, der zu meinem Leben gehört. Das ist Bauch. Bauch, sag „Hallo“ zur Sonne, damit du überall braun wirst.“ Natürlich wird sich dann sofort die Sonne zurückziehen und es fängt sicherlich an zu regnen, um meine albernen Kullertränen zu kaschieren. Gott wurde mal gefragt, warum es die Kälte gibt, und er antwortete sinngemäß, damit man sich ein Leben ohne ihn vorstellen könnte. Das ist kein Trost für mein Winterherz.“ Das Oldenburger Zurückziehen ist ein Drama, das man selbst seinen Feinden nicht wünscht, das aber innerhalb einer Lebensspanne nicht zu vermeiden ist. Alles zieht sich mal zurück - bis auf das Oldenburger Zurückziehen. 
 
 
© Erwin Grosche