In der Hängematte

Aus dem Weltlexikon

von Erwin Grosche

Foto © Harald Morsch
In der Hängematte
 
(Über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft)
 
Meine Frau hat mich jetzt um 4 Uhr geweckt. Das fand ich ungerecht. 4 Uhr! Ich wußte gar nicht mehr, daß es diese Uhrzeit überhaupt noch gibt. 4 Uhr! Da hat sie zu mir gesagt „Schatz, Schatz, Schatz, Schatz“, also viermal „Schatz“, da wurde ich schon mißtrauisch. Wissen sie, meistens muß ich nach zweimal „Schatz“ schon aufstehen. Und sie sagte also: „Schatz, Schatz, Schatz, Schatz, stell dir vor, ich habe Kontakte zum Jenseits.“ Ich habe nur gedacht, Kontakte zum Jenseits, jetzt schon Kontakte zum Jenseits, auch ein wenig früh. Unterhält sich mit ihrem Bruder seit drei Jahren nicht, aber Kontakte zum Jenseits. Ich mache das schon mal am Wochenende, dann hole ich mir die neue „Hör Zu“, die Fernsehzeitung für die kommende Woche und blättere die mal so durch, um zu sehen, was das Jenseits eigentlich für großartige Sachen für uns aufgefahren hat. Was soll ich ihnen sagen. Das habe ich alles schon gesehen. Ich will damit nur sagen, in dem Sinne hat mir das Jenseits gar nichts mehr zu bieten. Ich mache das auch schon mal gerne, ich will jetzt nicht von Gewissenserforschung sprechen, da hole ich mir aus der Altpapiertonne die „Hör Zu“ der vergangenen Woche und schaue die so durch, was ich eigentlich die ganze Zeit über so gemacht habe. Und was soll ich sagen, da weiß ich nichts mehr von. Da habe ich gedacht: Das Jenseits hat mir nichts mehr zu bieten, die Vergangenheit habe ich vergessen, dann kann man sich auch auf das Hier und Jetzt konzentrieren und überlegen, wie man aus dem Tag noch einen guten Tag machen kann. Und nun liege ich in meiner Hängematte und schaukle hin und schaukle her und schaukle hin und schaukle her und überlege, wie ich aus dem Tag noch einen guten Tag machen kann. Und im Hintergrund in der Küche höre ich meine Frau spülen, und dann denke ich, wie gemütlich ist das denn? Und manchmal kommt sie dazu und hat `nen Teller in der Hand und ein Handtuch und trocknet ihn damit ab und ich denke, wie ist das anmutig. Und wenn sie fragt: „Na Schatz, hast Du schon Ideen für eine bessere Welt?“, dann sage ich immer: „Keinen Stress. Das muß ganz von selbst kommen. Sonst stimmt das nicht. Wenn du meine Arbeit unterstützen willst, dann mach mir lieber ein Bütterken mit Leberwurst.“ Und dann schaukle ich hin und schaukle her und denke: „Unterschätz` nicht den Träumer in seiner Hängematte. Er wird es sein, der dem Tiger die Stirn bietet.“

 
© Erwin Grosche