"Rotter, zeig uns den Weg ins Leere!"

Sottise über eine unnötige Oper

von Peter Bilsing

Peter Bilsing

Überflüssig wie ein Kropf: „Rotter“

Angebliche „Oper“ von Torsten Rasch
nach dem Buch von Thomas Brasch

Keine Kritik, sondern ein persönlicher Diskurs nach der UA!

Nach dem 15. Whisky gestern Abend zurück in meinem niederrheinischen Castle fragte mich meine holde Gattin: Kritiker Bilsing! Was tust Du… Was tatest Du…? - Meine Antwort: ROTTER sah ich!

Das Grauen in meinen Augen wirkte nach und ich diskutierte mit mir die Frage: Warum mache ich das? Auch noch ohne Lohn? Kommt das Wort Opernfan tatsächlich von Fanatismus? Warum hörte ich nicht auf meine innere Stimme, den kleinen Mann im Ohr, mein Gewissenskerlchen, das eigentlich immer nur Schaden von mir abwenden möchte und das mir seit einer Woche gnadenlos in mein Trommelfell hämmert: „Meiden! Meiden! Meiden! Fahr nicht nach Köln! Bitte tu´s nicht!“

Dabei stand die Warnung schon im Magazin O-Ton der Kölner Oper und auf deren Homepage:

„Rotter ist ein Stück über einen, der sich an die Stromquelle der Geschichte anschließt, zum Schluß abgeschaltet wird und neben einer Stehlampe sitzt und ins Dunkle sieht.“ (O-Ton des Autors T. Brasch)

„Rotter, ein Mann aus Deutschland, geht seinen Weg: als Metzgerlehrling, als Hitlers Soldat, beim Aufbau der DDR. Er will immer weitermachen, auch wenn das außer ihm keiner mehr will. Diese sich über ein halbes Jahrhundert erstreckende Geschichte erzählt das Theaterstück „Rotter“, aus dem Katharina Thalbach und Christoph Schwandt einen Operntext entwickelt haben.“

WER WILL DAS SEHEN? Geschweige denn hören? Das hätte reichen müssen! Nein, ich Operntrottel fahre hin. Schwafele gegenüber der Familie noch etwas von Verantwortung gegenüber zeitgenössischer Musik, Achtung des Kulturauftrags subventionierter Bühnen, Chronistenpflicht, Publikumserziehung…etc. blabla. Außerdem bin ich Ossi – und wir Ossis müssen immer zusammenhalten!

„Und wenn es wieder schief geht? Wie bei den anderen 15 Uraufführungen, die wir im letzten Jahrzehnt zusammen gesehen und gehört haben?“, flüstert der Kleine Ohrling wieder: „Denk an letzte Woche >Fashion< in Düsseldorf !“ – „Jeder kriegt seine Chance! Ruhe jetzt – ich fahre!!“

Dabei bot sich noch eine finale Chance, nachdem ich in meinen Dienstwagen stieg, sozusagen Gottes allerletzte Warnung, war der Tank unerwartet leer und meine Stammtankstelle in Meerbusch (60 km vor Köln) hatte geschlossen.

Warum habe ich diesen letzten Fingerzeig aus dem Jenseits nicht erkannt? Was hätte ich für Geld gespart? Und Lebenszeit!

Köln: Erster Schock im Bühnenraum: Da steht auf dem natürlich komplett heruntergelassenen Eisernen dick mit Kreide ROTTER und dessen Geburtsdaten. Wahrscheinlich eine Hommage an den Ruinator und Exintendanten der Kölner Oper, „Günter Reklamheft-Krämer“, zu dessen später gähnenden Inszenierungsmanierismen selbiges stets gehörte.

Jetzt hätte ich noch gehen können – Nein! Ich tu´s nicht. Ist ja schnell zu Ende (so mein letzter Gedanke), denn auf der Kölner Opernpage stand Ende: 22 h. Ich nehme in der Mitte der 12. Reihe Platz. „Na, die 2 Stunden kriegen wir doch locker hinter uns, falls es nichts wird“, begrüße ich einen Kritiker-Kollegen. Sein spontan mitleidvoller und bedauernder Blick geriert in mir eine Gänsehaut und spontanes Herzrasen: „Die haben doch nicht etwa…schon wieder?“ Doch! „Das Werk ist fast doppelt so lang, wie angegeben!“ – Meine Beine werden schwach, gut daß ich sitze. Doch jetzt ist es zu spät. Ich komm nicht mehr raus, auch weil man ultrapünktlich anfängt. Vielleicht sollte ich doch noch? „Bleibst Du wohl!“ so der Kleine in meinem Ohr, „Mitgegangen, mitgehangen!“

Schockschwerenot: Eine zeitgenössische Oper mit über 3 Stunden Spieldauer! Das hat in den letzten 50 Jahren nur einer erfolgreich geschafft, Reimann mit seinem „Lear“. Wie halte ich das aus? Insbesondere als jemand, der nun nach 40 Jahren Wagnerfanatismus auch (unter den höhnischen Blicken mancher Kollegen) mittlerweile fordert, den Ring um gut die Hälfte zu kürzen.

Da mein neuestes „Textkürzungsprogramm für schwafelnde Kritiker“ anzeigt: Du hast nur noch 20 Zeilen, springe ich gleich zum Finale des ersten Teils und lasse Sie, meine verehrten Leser, live am Originaltextteilhaben:

K: Hau ab in Deinen Frieden! Kinder: Rotter, zeig uns den Weg ins Leere. Was dort im Dunkel gähnt wie ein blutiges gelangweiltes Maul, aus dem du schreiend gekrochen bist. Laß Dich fallen!...Laß Deine Arbeit liegen Rotter, oder mach weiter. Hör nicht auf die Stimmen, die sagen, daß Du eine Aufgabe hast. DU BIST DIE AUFGABE! DU BIST DIE LÖSUNG! (Vorhang)

Zur Szene, ein Bahnhof mit ständig einfahrenden Zügen, die vom Regieteam (Inszenierung: Katharina Thalbach / Bühne: Momme Röhrbein / Kostüme Angelika Rieck) handwerklich sehr gut gemacht ist, fällt mir nur das Wagnerzitat „Sinnlose Plage, müh ohne Zweck“ ein.

Über das in realistischen Details blutig, langwierig und langweilig ausgenommene Schwein, welches hinterher noch mit seinen Därmen ausgepeitscht wird und den seinen Penis (handwerklich immerhin überzeugend echt nachgebaut!) auf einem Wagondach schwenkenden Darsteller des Lackner schweigt des Vaters Höflichkeit – vielleicht lesen ja auch Minderjährige den Text.

Den zweiten Teil, in dem es um des „Helden“ Aufstieg in der DDR geht, verschlief ich leider ungeniert und erwachte erst zum großen Finale auf, welches ich wiederum wegen des Kunstgenusses wörtlich wiedergeben möchte:

Rotter: Scheiter, Ergeisterung, Sionmiskom, Chungsuterum. Ich weiß nicht was ich rede. Ich weiß nicht was ich sehe. reW dies rhi, negeloK. Rotter: Mein Leben ist ein dunkler Sack! Kinder: Ein Held wenn er gebraucht wird. Rotter: In dem ich hocke und zittre wie im Keller, wo die Ratten wohnen. Kinder: Der neue Mensch. Rotter: Seht ich stell mich auf den Kopf, wer bin ich? Kinder: Ein leeres Blatt, auf dem ein Lebenslauf geschrieben wird von der jeweils führenden Klasse. Rotter: Bin ich einer oder träum da was von mir? Bin ich die Ratte, die ins Kanalloch springt und singt: Mein Name ist Rotter. Ich bin ein Mensch! Ich kann nicht raus aus meiner Rolle. Mein Name ist Rotter. Kommt! Wir fangen neu an. Reißt alles ein! Es muß ein Anfang her. (schreit) Von vorn! Unten nach oben rückwärts! (Ende der Oper)

Musik: Klang irgendwie nach Berg´s Wozzeck unter Weglassung der besten Noten.
Gesang: Punkt – Kontrapunkt – Punktum! Unverständlich praktisch jede Silbe – arme Sänger!

Na vielleicht entwickelt sich das Machwerk in den folgenden 9 (!) Vorstellungen doch zum Publikumsreißer. Wem´s gefällt. Dem ungeheuren szenischen Aufwand wäre es gegönnt.

Nachtrag: Was hätte ich an dem gestrigen Abend alles Schönes machen können?

Inzwischen habe ich eine letzte Patientenverfügung an meine engsten Kritikerkollegen und persönlichen Freunde verteilt mit dem Text: Mein Lieben, ich bitte Euch um einen letzten Freundschaftsdienst! Sollte ich noch irgendwann mal andeuten, die Uraufführung einer modernen Oper besuchen zu wollen, dann schlagt mich bitte ohne Vorwarnung nieder! Würgt, fesselt mich unter Zuhilfenahme von Pfefferspray. Und schließt mich irgendwo in einen alten Schuppen oder Keller solange ein, bis die ins Auge gefasste UA vorbei ist.

In diesem Sinne - nicht für die Öffentlichkeit bestimmt! Aber wenn doch, dann bleibt das unter uns.


Peter Bilsing