Im Zwielicht

Michael Lange – „fluss“

von Robert Sernatini


Im Zwielicht
 
Die Literatur setzt den Fluß mit seiner Entwicklung von der Quelle bis zur Mündung gerne als Symbol für den Lebenslauf ein, und als pulsierende Lebensadern ziehen sich Flüsse durch die Länder. Die Romantik vor allem zehrte von der Schönheit und der Mythologie der Flüsse, in Deutschland zumal vom Rhein, der in vielen Liedern und Gedichten besungen zu ihrem Inbegriff wurde. Das ist auch Gegenstand der Landschafts-Malerei vor allem des 18. und 19. Jahrhunderts gewesen. Nicht zuletzt die Nibelungensage, darauf fußend Richard Wagners Musikdramen und Heinrich Heines Loreley sorgen für eine mythische Verbrämung. Romanautoren wie Heinrich Spoerl, Bernd Ruhland oder Wilhelm Meyer-Förster haben die heiter-romantische Seite skizziert, Hermann Broch hat im zweiten Teil seiner Trilogie „Die Schlafwandler“ ein realistisches Rheinbild gezeichnet.


Foto © Michael Lange
 
Ganz ohne Wagnersches Blechgetöse und dessen Pathos kommt der Fotograf Michael Lange (*1953 in Heidelberg) dem Mythos und Zauber des Rheins mit seinen stillen Fotografien viel näher, als der Tondichter und mancher Lyriker es gekonnt hätte. Lediglich ein Gedicht von Kirsten Rian begleitet die 39 ganzseitigen Abbildungen im Format 22,4 x 29,8 cm (quer) des durch sein völlig unprätentiöses Auftreten besonders faszinierenden Buches.
Zwischen 2012 und 2014 hat Lange den Oberrhein mit seiner Großformat-Kamera besucht, beobachtet und hochkünstlerisch dokumentiert. Die großen, ungebändigten, schnell fließenden und tosenden Flächen des Hauptstroms sind wie die stillen, geheimnisvollen Altrhein-Arme mit ihren wasserwurzelnden knorrigen Bäumen Thema von Michael Langes brillanter Arbeit. Nebelverhangen, im Dunst des Morgens oder dem Zwielicht der abendlichen Dämmerung zeigt der Rhein facettenreich viele Gesichter – schweigend und dennoch beredt.
Michael Langs Fotografien stehen in der Tradition der ersten Daguerrotypie, die sich in Anlehnung an die Landschaftsmalerei der Schule von Barbizon zunächst mit der Rezeption der Natur befaßte, mit den Mitteln der Photographie die Malerei kopierte. Lang malt mit seiner Kamera und dem ruhigen Auge des aufmerksamen Beobachters in gedeckten Grau- und matten Blautönen, allenfalls hauchfeinen, zarten farblichen Nuancen hinreißend atmosphärische Bilder des Rheins, wie man es höchst selten zu sehen bekommt. Gerade deshalb ist jedes Blatt dieses herrlichen Buches Augenweide und ein wahres Geschenk, pure Kontemplation. Dafür gebührt Michael Lang unser Prädikat: der Musenkuß.

 
Foto © Michael Lange
 
Michael Lange – „fluss“
Hrsg. Nadine Barth, mit einem Gedicht von Kirsten Rian, Gestaltung von Michael Lange und Anke Rabba – Text: Deutsch und Englisch
© 2015 Hatje Cantz, 80 nn. Seiten, gebunden, Fadenheftung, 39 Abbildungen, 22,4 x 29,8 cm - ISBN 978-3-7757-3962-7
39,- €
 
Weitere Informationen:  www.hatjecantz.de
 

Foto © Michael Lange

Ausstellungen: Alfred Ehrhardt Stiftung, Berlin 1.5.–28.6.2015 | Photo Eye Gallery, Santa Fe 28.8.14.10.2015 | Stephen Cohen Gallery, Los Angeles 5.11.–20.12.2015 | Robert Morat Galerie, Hamburg 6.11.2015–10.1.2016 | Lothar Albrecht Galerie, Frankfurt