Martern aller Arten

Eine Bonner Entführung zum Haareraufen

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Martern aller Arten
 
Am einem Sonntag, es ist schon ein paar Jahre her, war ich in der ‚Entführung’. Ich hatte mich darauf aus mehrerlei Gründen gefreut: dieses schönste aller deutschen Singspiele hat knapp ein Jahr nach der Uraufführung in Wien in Bonn seine deutsche Erstaufführung erfahren, wir hatten seinerzeit hier ein Orchester, dem man die doppelbödige Leichtigkeit dieser Musik, die so schwer umzusetzen ist, bedenkenlos anvertrauen konnte und wir hatten Sängerinnen und Sänger, denen wir diese Ungeheuerlichkeiten zumuten konnten (stellt doch die Entführung – was man bei dem fast volksliedhaften Charakter mancher Arien gar nicht vermuten würde - allerhöchste Ansprüche an Stimme und Gesangstechnik).

Bester Dinge also sitze ich da, genieße die klare Transparenz des Orchesters, die seit Krips Pflicht gewordene Schärfe der Streicher und die feine Brillanz des Holzes wie überhaupt der Bläser, kurz: schön. Auch die Stimmen überzeugen mich und es wird mir immer behaglicher (Sie wissen: ich lasse mich von der Inszenierung nicht so leicht von der Musik ablenken). Bis, ja bis Konstanzes erste große Arie kam: „Ach ich liebte, war so glücklich!“. Ich erschrecke schon im ersten Takt: wie will die Palmadottir, wenn der Wolfgang Lischke so kräftig in die Eisen steigt, sprich: ein Tempo vorlegt als gelte es das Leben, die Koloraturen hinkriegen, Sechzehntel-Läufe zum hohen C (und das ist höher als der Petersberg) und zurück? Und tatsächlich: sie scheitert, Noten liegen überall auf der Bühne herum, es geht nicht. Es kann nicht gehen. Es ist nicht möglich, eine Koloratur mozartesk, also feinsinnig, präzise ziseliert und leicht, zu singen, wenn da unten ein Barbar ein Tempo vorlegt, das man in der Discosprache einen 180er Beat nennt. Dasselbe bei der großen Arie „Martern aller Arten“, bei der nur der virtuosen Technik von Sigrun Palmadottir zu verdanken ist, daß die Panik im Auge der Solistin nicht auch von der ‚Gurgel’ Besitz ergreift. Bei diesem Tempo hätte man die Gesangspartie besser der Flöte anvertraut oder, damits auch richtig weh tut, einer Melodica, da wird sich doch einer im Orchester finden lassen, der das dann bläst, auf Teufel komm raus. Nein? Gut so, hab ich mich doch nicht in Euch getäuscht! Und bei den anderen Koloraturarien war es nicht besser: keine Luft für Belmonte, keine Lücke für Blondchen.

Was ich meine, ist: ein Dirigent ist ein Dirigent, ein Operndirigent hat aber ein Operndirigent zu sein. Er muß, ich betone muß auf die Sängerinnen und Sänger Rücksicht nehmen, da hat ein Auge auf der Bühne und ein Auge im Orchestergraben zu sein und die Tempi haben darauf zu achten, daß die Noten singbar bleiben. Sehr geehrter Herr Lischke, warum haben Sie so wunderbare Stimmen Ihren Tempovorstellungen geopfert? Zumindest bei den Arien mit den Koloraturen. Sie haben damit weder den Sängerinnen und Sängern noch dem Publikum einen Gefallen erwiesen. Man führt Solistinnen und Solisten nicht vor. Mozart hätte es nicht getan, Strauss und Rossini waren ebenfalls galant. Warum sind Sie es nicht?
 

Fragt sich auch heute noch enttäuscht
 
Ihr
Konrad Beikircher



©  2009/2013 Konrad Beikircher für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker