Kitschig und künstlich

Gärtnerplatztheater München: Ralph Benatzys "Im Weißen Rössl"

von Ludwig Steinbach
Kitschig und künstlich
 
Im Weißen Rössl
 
Besuchte Aufführung: Premiere am 11. 10. 2012
 
Sie hinterließ schon einen reichlich zwiespältigen Eindruck, die Neuproduktion von Ralph Benatzkys „Im Weißen Rössl“. Das Staatstheater am Gärtnerplatz zeigte sie als erste Eröffnungspremiere des neuen Staatsintendanten Josef E. Köpplinger, der auch für die Regie verantwortlich war, in seinem Ausweichquartier im Deutschen Theater, das z.Zt. in einem Zelt in Fröttmaning untergebracht ist. Eigentlich kann man sich einen belangloseren Einstieg in die neue Ära und die neue Saison als mit diesem Singspiel Benatzkys gar nicht vorstellen. Eine gewisse Legitimation für diese Wahl ergab sich indes aus der Tatsache, daß im Jahre 2008 in Zagreb das Orchestermaterial der Uraufführung wiederentdeckt wurde, was das Gärtnerplatztheater in die Lage versetzte, jetzt wieder zum ersten Mal seit langer Zeit die Urfassung des Werkes zu präsentieren. Wenn man die späteren Bearbeitungen des Stückes im Kopf hat, mußte einem an diesem Abend das Klangbild sehr ungewohnt erscheinen. Hier konnte von einem romantisch anmutenden Operetten- oder Spielopergestus überhaupt keine Rede mehr sein. Vielmehr wurden mannigfaltige Jazz-Einflüsse merkbar. Neben dem traditionellen Symphonieorchester wurden eine Jazz-Band und ein aus Gitarre, Zither und Violine bestehendes Trio aufgeboten. Diese Mischung aus klassischer Tonsprache, Schlager und Jazz-Elementen ergab einen recht eigenwillig wirkenden Klangteppich, der etwas gewöhnungsbedürftig war, indes von Michael Brandstätter und dem Orchester mit großer Verve, flüssig und mitreißend ausgedeutet wurde.
 
Gesanglich sah die Sache nicht gerade rosig aus. Daniel Prohaska war ein darstellerisch ungemein glaubhafter Leopold, konnte aber gesanglich mit seinem stark in der Maske geführten Tenor nicht überzeugen. Sehr resolut gab sich Sigrid Hauser als Josepha, die indes mit ihrem nur halb ausgebildeten Musical-Sopran alles andere als gefällig war. Stark an der erforderlichen Körperstütze fehlte es auch der Ottilie von Iva Milhanovic und Bettina Mönchs Klärchen. Beider Spiel war indes nicht zu beanstanden. Reinen Schauspielgesang pflegte Michael von Au in der Rolle des schönen Sigismund. Einfach köstlich war der Gisecke von Hans Teuscher. Solide gab Wolfgang Kraßnitzer den Prof. Dr. Hinzelmann. Susanne Heyng, früher u. a. am Gärtnerplatz eine gute Agathe, mußte sich der mit kleinen Sprechrolle der Reiseleiterin zufrieden geben, die sich mit ihrem katastrophalen Englisch als Verwandte des ehemaligen Bundespräsidenten Lübke empfahl. Die Briefträgerin Kathi gab Sophie Aujesky. Recht vergnügliche Momente lieferten auch Michael Glantschnig und Jan Nikolaus Cerha in den Sprechpartien von Kellner und Piccolo. Zwei der Mitwirkenden bedürfen besonderer Erwähnung: Die vokal absolut beste Leistung des Abends erbrachte Tilmann Unger, der als Dr. Siedler mit seinem hervorragend italienisch geführten, farb- und substanzreichen und bereits deutlich in Richtung Heldentenor weisenden Tenor alle seine singenden Kollegen weit hinter sich zurückließ. Und dem gleichsam als Deus ex Machina auftretenden Kaiser gab ein Urgestein hervorragender Schauspielkunst große Würde und Autorität: Maximilian Schell.
 
Bleibt die Inszenierung. Vom Publikum mit rauschendem Beifall bedacht, vermochte sie mir insgesamt nicht sonderlich zu behagen. Dem regieführenden Intendanten Köpplinger ist allerdings eine stilistisch vielseitige Inszenierung gelungen, die sich durch großen Esprit und Lebendigkeit auszeichnete, wozu auch Karl Alfred Schreiners muntere Choreographie ihren Teil beitrug. Rein technisch ist Herrn Köpplinger nichts anzulasten. Er vermochte die Handlungsträger stringent zu führen und konnte auch mit dem Chor trefflich umgehen. Indes behagte mir seine grundsätzliche Herangehensweise an das Stück nicht. Zusammen mit seinem Ausstatter Rainer Sinell setzte er den Focus zu stark auf reine Künstlichkeit. Die Postkartenidylle des Bühnenbildes und der Requisiten wurde stilistisch überzeichnet und machte in dieser Form einen sehr kitschigen Eindruck. Allzu brav und bieder wirkte das Ganze und blieb dementsprechend rein äußerlich betrachtet ziemlich an der Oberfläche. Wenn das der Inszenierungsstil des Staatstheaters am Gärtnerplatz in den nächsten Jahren sein sollte, wäre ein Absacken dieses in den vergangenen Spielzeiten unter dem alten Staatsintendanten Dr. Ulrich Peters so hochkarätig an die Spitze der Musiktheaterlandschaft gebrachten Hauses in pure Provinzialität nicht zu vermeiden.
 
 
Übernahme der Kritik von Ludwig Steinbach
mit freundlicher Genehmigung von "Der Opernfreund"