Neues aus Hanebüchen

Sven Amtsberg „Die Wahrheit über Deutschland“

von Andreas Greve
„Die Wahrheit
über Deutschland“

oder

Neues aus Hanebüchen
 
Ein Satz vorab: Wie schön, daß mir durch das Wahrheits-Buch von Sven Amtsberg der lustige Begriff „hanebüchen“ mal wieder in die Tasten geriet - wem das zu altfränksch sein sollte, der wähle einfach aus Wikipedia eines der Synonyme: skandalös, unglaublich, ungeheuerlich, absonderlich, bodenlos oder schlage mit einem Wortbild zurück: haarsträubend!

Sven Amtsberg ist in Hamburg berühmt-berüchtigt dafür, Leuten bei seinen Stadtführungen „einen Bären aufzubinden“ oder gar zu behaupten, er stamme aus einer Dynastie, die durch das Aufbinden von Bären bereits im ausgehenden 15. Jahrhundert zu Vermögen und Anerkennung gekommen sei. Letzteres ist zwar von mir erlogen, es würde mich aber nicht wundern, wenn es der Phantasie des Autors entsprungen wäre: Schauen wir einfach ins Kapitel Köln und den Abschnitt 8.7. KOLUMBA / Kolumbastraße / mit Foto S.160, 161:
„Heute kennt die ganze Welt Christoph Kolumbus, aber an Gabriele Kolumba erinnert sich niemand mehr. Wie Kolumbus war auch Kolumba ein Künstlername, den sich beide – witzigerweise – unabhängig voneinander gaben. … Gabriele Kolumba war die erste Seefahrerin der Welt. Geboren wurde sie in Köln Deutz, von wo sie sich aufmachte, die Welt zu entdecken.“ usw. Das Foto zeigt den Schriftzug Kolumba an einer modernen Fassade und nicht nur Kölner wissen, daß sich dahinter das Kunstmuseum des Erzbistums Köln verbirgt. Sie können schon einmal topographisch vorlachen, während wir anderen bei der Behauptung der weiblichen Gegen-Entdeckerin erst mal leicht die Miene verziehen und spätestens bei Köln-Deutz lachen. Und ums Lachen geht es ja, denn gerade die scheinbare Nutzanwendbarkeit als Reiseführer ist die Spiel- und Spiegelfläche des hier angewandten Lachmusters.

Nach meiner Meinung braucht es keiner besonderen Vorkenntnisse, wie ich bei der Präsentation des Werkes* in der Buchhandlung Cohen und Dobernigg im Hamburger Schanzenviertel feststellte, wo während der Lesung des Lokalmatadors viel und ausgiebig gekichert wurde. Ich kannte jedenfalls nicht diese irgendwo weit hinten im Industrie- und Gewerbequartier versteckte Sackgasse namens Joana Rodrigues. Benannt nach der großen und berühmten portugiesischen Fado-Sängerin, die von einem gewissen (oder gewissenslosen) Hans Zumaller hierher, an diese Wendeschleife, in deren Mitte er ein recht erbärmliches Dasein fristete, gelockt worden war. (Unterstützend dazu das an die Wand geworfene Foto des öden Ortes.) Andere im Publikum kannten diesen Namen oder sogar ein eine Hinweistafel in der Nähe, und genossen es, da zu endlich einmal eine erschöpfende Erklärung zu bekommen. Und wenn man sich erst mal darauf einläßt, ist es eine wunderbare Pointe, daß Joana Rodrigues in dieser tieftraurigen Zeit ihre besten Fado-Texte geschrieben habe.

Und wenn dem so ist, wird man wohl auch ohne Murren hinnehmen können, daß ausgerechnet diese beinahe halbwahre Geschichte dann aus technischen und kompositorischen Gründen im Buch selbst nach Leipzig verlegt wurde - denn sonst könnte Amtsberg der böse Vorwurf, die Wahrheit gesagt zu haben, gemacht werden. In Zeiten rasant schwindender Gradlinigkeit und Lügenmärchen von neurotischen Fake-Politikern, die die Werke Münchhausens in den Schatten zu stellen versuchen, ist die offene Einnahme der Position totaler Unwirklichkeit und Unwahrheit immer noch die reellere.
Als ich das Buch einer Probeleserin überließ, bekam ich es allerdings schnell und mit einem Ausdruck tiefster Indignation zurück. Was ich für ein pfiffiges, ins Unendlich perpetuierendes Konzept hielt, rief in C. nur ausufernde Ödnis hervor. Tja, man steckt eben nicht drinne in den Lesern.
 
Sven Amtsberg - „Die Wahrheit über Deutschland“
© 2011 Rowohlt Taschenbuch Verlag , 257 Seiten, Broschur, zahlreiche s/w-Abbildungen,
ISBN-13: 9783499627767
11,99 €
 
Weitere Informationen: www.rowohlt.de
 
Redaktion: Frank Becker