Die Magie eines Sommers

Hilde Spiel – "Verwirrung am Wolfgangsee"

von Frank Becker
Im Strudel der Gefühle
Die Magie eines Sommers

Sie fliehen, der schäumenden Hitze der Gefühle ihrer Brüsseler Jugend längst nicht gänzlich entwachsen, per Automobil aus ihrer belgischen Heimat und vor den Geliebten Louise und Marie-Laure  - Vincent, der Icherzähler und Pierre, sein Freund. Auf dem Notsitz ihres kleinen Cabriolets nehmen sie den älteren Freund Pourtalès mit. Fort, nur fort! Jetzt gehört die Welt ihnen, glauben sie, alles ist Abenteuer, alles ist Spiel.
Die Reise führt sie schließlich ins Salzkammergut und an den Wolfgangsee, wo sie am Ende der Seeumfahrt in St. Wolfgang zu einer trügerischen Ruhe kommen.
Denn am Wolfgangsee treffen die tief verunsicherten jungen Männer auf eine bunte Gesellschaft von Sommerfrischlern, darunter die gedankenvolle schöne dunkle Therese und die bildhübsche, reizvoll natürliche helle Gundel. Der Charme der beiden Mädel auf der Schwelle zur Frau fängt unsere beiden restlos ein und führt zur hoffnungslosen Verwirrung der Gefühle. Beide verlieben sich in beide. Auch hier scheint wieder nur eine Flucht zu helfen, um der Verwirrung Herr zu werden, den Bruch einer Männerfreundschaft zu vermeiden. Doch die Stimmung am See, die Suche nach Abenteuer und Liebe ziehen den schwadronierenden Pierre und den gehemmten Vincent nach Abstechern nach Wien, Linz und Heiligenstadt zurück zu Therese, zu Gundel und den en passant geschehenden Verführungen durch junge Mädchen und reife Frauen.

Den kleinen, sommerlich leichten, nichtsdestoweniger gedankenschweren Roman hat im Jahr 1935 die Österreicherin Autorin Hilde Spiel (1911-1990)
verfaßt, deren Geburtstag sich heute zum 100. Mal jährt, ihr zweites Buch nach dem erfolgreichen Erstling "Kati auf der Brücke" (1933). Wie die damals erst 23-jährige Autorin in die Haut und Gedanken ihrer männlichen Protagonisten schlüpft, ist verblüffend und berührend. Hilde Spiel öffnet die Herzen zweier junger, selbstbewußter und dennoch völlig unreifer Männer, breitet deren Seelennot vor den Lesern aus und schafft es damit, weit ab vom Klischee des Liebesromans, die Probleme der Adoleszenz fühlbar zu machen. Das Innere der beiden weiblichen Hauptfiguren, gerade erst majorenn, das sie sehr wohl kennen wird, läßt sie weitgehend im Nebel der Gefühle, wodurch gerade die Qualen unserer jungen Männer deutlich werden. Ein genialer literarischer Kunstgriff. Und Hilde Spiel tut ein weiteres, um ihren kleinen Roman besonders zu machen: sie verkneift sich wohltuend ein kitschiges, weil glückliches Ende. Versöhnlich - vielleicht, aber gewiß nicht überzuckert.

Neben trefflichen Landschafts- und Städtebeschreibungen, stimmungsvollen Anspielungen auf das St. Wolfganger Gesellschaftsleben - natürlich sind der See, das berühmte "Weiße Rössl", der heute noch den Wolfgangsee querende Dampfer Kaiserin Elisabeth und die Kirche mit dem berühmten Pacher-Altar  Kulisse des Romans, läßt Hilde Spiel den Leser in ihrer wundervollen Sprache schwelgen, der Bilder wie dieses zu verdanken sind: "Telegraphendrähte schwirrten, zu beiden Seiten fielen die Meilensteine zurück. Viele Wagen kamen uns entgegen, viele überholten uns auch. Wir fuhren gemächlich durch das Land, auf den Feldern das Getreide war schon gelb und schwer."


Der Wolfgangsee mit Kirche und "Kaiserin Elisabeth" - Foto © Frank Becker

Hilde Spiel – "Verwirrung am Wolfgangsee"
c 2011 Milena Verlag, 145 S., gebunden ISBN 978-3-85286-217-0
€ 18.90 / SFr 27.50
Weitere Informationen: www.milena-verlag.at