Schlimmer gehts nimmer

Der erste Münchner "Polizeiruf 110" mit Matthias Brandt erwies sich als grandioser Flop

von Frank Becker
Polizeiruf
110
Schlimmer gehts nimmer
"Cassandras Warnung" verhallt ungehört

Der erste Münchner "Polizeiruf 110" mit
Matthias Brandt erwies sich als grandioser Flop


An diesem gestern Abend von der ARD ausgestrahlten und mit peinlich devoten Vorschußlorbeeren aller möglichen "wichtigen" Gazetten überschütteten ersten Kriminalfilm einer
neuen in München angesiedelten  Staffel der losen Reihe "Polizeiruf 110" stimmte nichts, aber auch gar nichts. Es war nicht nur eine Verschwendung des großen schauspielerischen Potentials von Matthias Brandt in der Hauptrolle als Kriminalkommissar Hans von Meuffels - der ganze grauslige Schmarrn war eine Zumutung für jeden auch nur ein ganz klein wenig sensiblen Fernsehzuschauer.

Wie das? Kameraführung, Schnitt und Ton geben sich bewegt, wollen durch lächerliche Effekte "neu" wirken, greifen aber lediglich längst durchgekaute und ausgespiene Filmemacher-Versuche der zum Glück überlebten späten 1960er und 1970 Jahre auf: Kameras, die hastig die Protagonisten umkreisen, Bildschnitte im Sekundentakt, die keine andere Wirkung erzielen, als schon in den ersten zehn Minuten des Films nervös zu machen, streckenweise unverständliche Tonsequenzen, die Polizeifunk-Realität vorgeben wollen, aber einfach nur beweisen, daß hier von keinerlei Sachkenntnis getrübte "Fachleute" am stümperhaften Werk waren.

Das Buch: selten sah man ein so dümmliches, mit lachhaften Klischees vollgestopftes Drehbuch, bar jeder Logik, beinahe möchte man sagen: bar jeden Verstandes. Keine Plattheit wurde ausgelassen, keine schon -zigmal durchgekaute peinliche "Pointe" und kein Charakter, der nicht schon Hunderte Male durch den Film- und Fernseh-Kakao gezogen worden wäre. Da wird eine "Cassandra", die von vornherein als Mystifikation erkennbar ist, aus irgendeinem Hut gezaubert. Da ist die Transe mit philosophischem Weitblick, die schon im ersten Bild als solche erkennbar ist (natürlich nicht vom Kommissar). Dafür läßt er sich später von dieser/diesem klaglos zusammenschlagen und locht die Type nicht mal ein. Mehr noch: gegen Ende des entsetzlichen Streifens schaut der Herr Kommissar auch noch schmunzelnd einem von jenem begangenen brutalen Straßenraub zu. Herrgottzeiten! Da ist der fiese, großmäulige, verbrecherische Bulle, der ständig eine Kippe in der Fresse hat und vom geübten Krimi-Seher gleich vom ersten Auftritt an ganz klar als der Erzschurke notiert wird. Da ist das hysterische angebliche Opfer, von dem besagten Krimi-Kenner von der ersten Sekunde an als genau die erkannt, die sie ist: die Mörderin. Das alles ist so billig, so durchsichtig und so ohne jede Spannung inszeniert, daß sich Regisseur Dominik Graf fragen lassen muß, wie weit unter Niveau man eigentlich gehen darf. War Günter Schütters Romanvorlage wirklich so schlecht? Ach ja, da fehlen natürlich nicht all die braven Münchner Kriminaler, die den neuen aus Bremen dorthin versetzten Chef (wieso eigentlich?) mobben, weil er einen Kollegen verdächtigt. Das hat es natürlich auch noch nie im Krimi gegeben.
Im übrigen sind die Bullen natürlich samt und sonders so dumm, bescheuert und ungeschickt, daß bis kurz vor Schluß jeder, aber auch jeder derart hanebüchene Fehler macht, daß sich einem das Herz herumdreht. Stets machen sie brenzlige Sachen allein, wenden dem jeweiligen Täter den Rücken zu und lassen sich Fallen stellen, meucheln, vergiften, erschlagen, von ihrer Arbeit weglocken, niederstrecken und auf sonst alle möglichen Arten vorführen, das es einen graust. Und da sind (hach, wie humorig!) zwei Kinder, die an der Zeugenschutz-Wohnung klingeln und fragen, ob hier das Zeugenschutzprogramm sei, wobei sie betonen, daß sie nicht "Bullen" sagen, sondern auf der Seite des Polizei stünden. Nicht lustig. Von solchen Dümmlichkeiten strotzt Dominik Grafs Film bis zum Erbrechen.

Wat noch? Zwischendurch wird von unserem Kommissar mal eben ein völlig zusammenhangloser Münchner Uralt-Kindermord geklärt, läßt ein Pathologe den völlig neuen Satz raus: "Wollen Sie wirklich? Ist kein schöner Anblick, das zerschossene Gesicht.", und antwortet der harte Bulle auf die Frage, ob seine Geliebte eine Tätowierung gehabt habe: "Ich will doch kein Bilderbuch ficken." Jaja, vom Ficken sprechen sie gerne, die Bullen. Und rauchen. Und saufen. Unser Übel-Polizist läßt mal eben mit seiner Dienstwaffe (9 mm Parabellum) mitten im Wohnviertel der Stadt auf einem Flachdach - "Laß ihn", sagt der Chef - seine Mörder-Freundin Tauben wegballern. Nach der Beerdigung einer Polizistin besaufen sich alle, aber auch alle Kollegen inkl. Chef in einer obskuren Kneipe bis zur Besinnungslosigkeit. Die arme Doris Kunstmann muß dem Münchner Neubürger Matthias Brandt in einem atemlosen Schnell-Exkurs mal eben München erklären. Natürlich weiß sie alles und sogar, schon nach ein paar Sequenzen, daß der adlige Kommissar, der sich seiner Familie schämt und ja eigentlich ein ganz anständiger Kerl ist, gemobbt wird. Deshalb (s.o.) Suff und Tralala - und schon klappts mit den Kollegen. Und darüber, wieso keiner von denen, die ja anscheinend ständig alles gemeinsam machen, die echte Frau unseres Schurken-Bullen je gesehen hat, wollen wir gar nicht erst nachdenken. Ach weißte, eigentlich wollen wir über diesen ganzen Dreck nun überhaupt nicht mehr nachdenken und das Mäntelchen des gnädigen Vergessens darüber ausbreiten...

"Cassandras Warnung" von Dominik Graf - ein eindeutiger Kandidat für den Musenblattschuß. Peng.