Werner Graeff

Das Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr erinnert an das Nachkriegsschaffen des Künstlers

von Rainer K. Wick

Werner Graeff, Essen 1966 - Foto: Katalog
Das Bauhaus und danach

Das Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr
erinnert an das Nachkriegsschaffen des Künstlers Werner Graeff
 
 
Sammeln, bewahren, erforschen, präsentieren und vermitteln sind die zentralen Aufgaben eines Museums. Das hat viel mit Erinnerungsarbeit zu tun, also damit, gegen das kurze Gedächtnis anzuarbeiten und kulturelle Phänomene und künstlerische Positionen erneut ins Bewußtsein zu heben, die drohen, in Vergessenheit zu geraten, oder die gar schon dem Vergessen anheimgefallen sind.
Nun wird man nicht behaupten können, daß den 1901 in Wuppertal-Sonnborn geborenen Werner Graeff dieses Schicksal bereits ereilt hätte. Denn als ein Künstler, der 1921/22 am frühen Bauhaus studiert hat, sich dann dem holländischen Konstruktivismus in Gestalt der Stijl-Gruppe (mit ihren Hauptvertretern Piet Mondrian und Theo van Doesburg) angeschlossen hat, der 1927 Pressechef der legendären Werkbundausstellung „Die Wohnung“ auf dem Stuttgarter Weißenhof war und anläßlich

Stijl 19 L, 1959 Foto © Rainer K. Wick
der Werkbundausstellung „Film und Foto“ 1929 in Stuttgart das richtungsweisende Buch „Es kommt der neue Fotograf!“ publiziert hat, ist in der Kunstgeschichte der Zwischenkriegszeit eine etablierte Größe. Doch was kam danach? Der Aufgabe, dies einer breiteren kunstinteressierten Öffentlichkeit vorzuführen, hat sich nun das Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr mit seiner engagierten Direktorin Beate Reese gestellt.
 
Emigration und Rückkehr
 
Es ist sicherlich nicht abwegig, Graeff als einen Künstler der „verschollenen Generation“ zu bezeichnen, um einen 1980 von Rainer Zimmermann geprägten Begriff aufzugreifen. Meinte Zimmermann damit vor allem jene um 1900 geborenen Expressionisten der zweiten Phase, die schon in der Weimarer Republik hervorgetreten waren, durch die Kunstbarbarei der Nationalsozialisten aber in ihrer Entfaltung behindert wurden und nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch schwer Fuß fassen konnten, so trifft diese Einordnung in gewisser Hinsicht auch für Werner Graeff zu. Obwohl kein Expressionist, sondern als Konstruktivist das genaue Gegenteil dessen, mußte auch er erleben, welch tiefen Einschnitt die Machtübernahme durch die Nazis bedeutete. 1934 emigrierte er nach Spanien, 1936 mit Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges siedelte er in die Schweiz über. Dort gründete er 1940 die moderne „Fotoschule Locarno“, die bis 1945 bestand, 1949/50 leitete er Fotokurse in Zürich. Diese Tätigkeiten und die Tatsache, daß er einige Fotobücher veröffentlicht hatte, prädestinierten ihn nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1951, an der Folkwang-Schule in Essen die Leitung der „Fachklasse für freie und angewandte Fotografie“ zu übernehmen. Obwohl als Fotodozent durchaus erfolgreich, profilierte sich Graeff in den Nachkriegsjahrzehnten nicht als Fotograf, sondern als Maler, der dort anzuknüpfen suchte, wo in den Dreißiger Jahren gleichsam

BUGRU, 1952 Foto © Rainer K. Wick
der Faden gerissen war. Dies belegen in der Mülheimer Ausstellung etliche Arbeiten, die mit ihrer reduzierten Primärfarbigkeit Rot, Gelb und Blau, ihren „Nichtfarben“ Weiß, Schwarz und Grau und ihrer strengen Orthogonalität wie Remakes aus der heroischen Zeit des holländischen Konstruktivismus erscheinen und deren Titel dies auch unmißverständlich signalisieren, so etwa „Stijl 19 L“ von 1959, eine Arbeit, die nach Entwürfen aus den Zwanziger Jahren entstand. Vorausgegangen waren Versuche, sich mit Spielarten der zeittypischen Gegenstandslosigkeit auseinanderzusetzen, ohne sich dem Diktat des von Graeff ungeliebten Informel zu beugen. So zeigt eine Arbeit wie „BUGRU“ von 1952 keineswegs ein Liebäugeln mit der Formlosigkeit abstrakt-expressionistischer Tendenzen, sondern eher die Nähe zu seinem Künstlerfreund und Kollegen an der Folkwang-Schule Max Burchartz, den er seit  Weimarer Tagen, also seit den frühen Zwanziger Jahren, kannte. Immer ging es dem Künstler um die Klarheit der Formensprache, selbst dort, wo das Korsett des rein Geometrischen

Max Burchartz 4 Schwarz-Weiss mit Ocker und
Blau,1958 Foto © Rainer K. Wick
gesprengt wird. Graeff hat das so auf den Punkt gebracht: „Auch die gelockerte Form muß klar sein, die Farbe bestimmt und kräftig, der Aufbau einfach und überschaubar; denn Unbestimmtes, Nebulöses war mir ein Leben lang verhaßt. Auch das zeichnerische Bild wünsche ich mir eindeutig und ausgewogen. Ja, in seiner Art immer noch: konstruktiv.“
 
Das künstlerische Umfeld
 
Bemerkenswert ist, daß Werner Graeff in der Mülheimer Ausstellung nicht mit einer der üblichen Personality-Shows geehrt wird (am 24. August würde er 110 Jahr alt), sondern daß Beate Reese sein Œuvre im künstlerischen Umfeld – insbesondere des kriegszerstörten und erneut aufstrebenden Ruhrgebietes – der Fünfziger und Sechziger Jahre verortet hat. Das ist überaus verdienstvoll, weil Graeff auf diese Weise nicht einer isolierten Betrachtung ausgeliefert wird, sondern zu anderen, sowohl affinen als auch konträren Positionen in Beziehung gesetzt werden kann. Flankiert werden seine Werke von Arbeiten zahlreicher Künstler, denen er kollegial oder freundschaftlich verbunden war oder die zum Schülerkreis an der Folkwang-Schule gehörten. Erwähnt seien namentlich nur Willi Baumeister (über den er schon 1927 publiziert hatte), Max Burchartz, Ursula Hirsch (ab 1964 die zweite Frau des Künstlers), Gustav Deppe, Rolf Jörres,

URB 2 61-43 1961Foto
© Rainer K. Wick
Margarete Kruegel, Helmut Wolfgang Lankhorst, Fernand Léger, Kurt Rehm, Dieter Reick, Karl Peter Röhl, Emil Schumacher, Michel Seuphor, Heinrich Siepmann, Ferdinand Spindel, Friedrich Vordemberge-Gildewart, Fritz Winter und Elsy Wiskemann.
 
Ein Bauhaus-Künstler?
 
Nicht ganz unproblematisch erscheint allerdings der Titel der Ausstellung „Das Bauhaus und danach“. Denn Graeffs Anwesenheit am Weimarer Bauhaus beschränkte sich auf das Wintersemester 1921/22 und kann allenfalls als eine Episode bezeichnet werden, die es kaum rechtfertigt, ihn im eigentlichen Sinne als „Bauhäusler“ zu bezeichnen. Schon nach dem halbjährigen, von Johannes Itten geleiteten Vorkurs verließ er diese progressivste aller Kunstschulen der Weimarer Republik, ohne mit der dreijährigen Ausbildung in einer der Werkstätten der Schule – dem substantiellen Kern des als Form- und Werklehre dual konzipierten Bauhaus-Unterrichtes – überhaupt begonnen zu haben, und schloß sich dem holländischen Stijl-Künster Theo van Doesburg an, der in Weimar Privatseminare zur Theorie und Praxis der „elementaren Gestaltung“ abhielt. Diese Hinwendung zum Stijl-Konstruktivismus war für Graeffs weitere Entwicklung zweifellos wesentlich maßgeblicher als der Einfluß des frühen, noch expressionistischen Bauhauses. Wenn aber in Mülheim, wo der Künstler von 1970 bis zu seinem Tod 1978 lebte, schon mit dem Zauberwort „Bauhaus“ kokettiert wird, kann man nur bedauern, daß die kurze Bauhaus-Zeit Graeffs nicht mit einer einzigen seiner interessanten Vorkurs-Arbeiten belegt

Rhythmus-Studie (aus dem Itten-Vorkurs am Bauhaus)
1921 (Foto Bauhaus-Archiv Berlin)
wird, wie auch der bauhaus-typische, gattungsübergreifende Universalismus des „Künstler-Ingenieurs“ Graeff – von der Malerei über den Film und die Fotografie bis hin zum Umweltdesign – in der Ausstellung nur ansatzweise deutlich wird.
Gleichwohl ist die Mülheimer Schau gerade wegen des breitgefächerten Nachkriegskontextes, in dem man Graeff hier erleben kann, unbedingt sehenswert. Überdies ist sie ein beachtliches Dokument der entschlossenen Selbstbehauptung eines der kleineren Museen im Industrierevier, das sich nicht zwischen den Mühlsteinen benachbarter großer Häuser wie dem Lehmbruck Museum in Duisburg und dem Museum Folkwang in Essen zerreiben läßt.
 
Das Bauhaus und danach. Werner Graeff und die Nachkriegsmoderne
Kunstmuseum Mülheim in der Alten Post
Synagogenplatz 1
45468 Mülheim an der Ruhr
Weitere Informationen: www.muelheim-ruhr.de
bis 18. September 2011
Zur Ausstellung ist ein Katalogbuch mit Beiträgen von Evelyn Bergner, Beate Reese, Uwe Rüth, Rainer K. Wick, Andreas Zeising und einem Interview zwischen Ursula Graeff-Hirsch und Klaus Kemp erschienen; Wienand Verlag, Köln; ISBN 978-3-86832-070-1; an der Museumskasse 19,80 EUR, im Buchhandel 29,80 EUR.
 
Wichtige Literatur:

Im Jovis Verlag ist 2010 eine umfangreiche Würdigung des Werks und Lebens von Werner Graeff erschienen, herausgegeben von Prof. Dr. Gerda Breuer, Professorin für Kunst- und Designgeschichte an der Bergischen Universität Wuppertal und Leiterin der renommierten Wuppertaler Design-Sammlung. Der sorgfältig recherchierte und reich illustrierte Band stellt eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit Werner Graeff und seinen Ideen dar und dürfte zu den wichtigsten Publikationen über Graeff zählen.

Gerda Breuer (Hg.)
"Werner Graeff 1901-1978 - Der Künstleringenieur"
© 2010 jovis Verlag, 340 Seiten, geb., 23,5 x 31 cm, € 42,-  sFr 70,50
ISBN 978-3-86859-057-9
Weitere Informationen unter: www.jovis.de  und www.gerdabreuer.de

Buchbesprechungen und Berichte über Gerda Breuer in den Musenblättern: hier