Android im Schafspelz

Bei den Wuppertaler Bühnen spielt Eike Hannemann überdreht mit Virtualität

von Martin Hagemeyer
Android im Schafspelz
 
Die Seele der Maschinen. Szenische Collage von Eike Hannemann.
 
Bei den Wuppertaler Bühnen spielt Eike Hannemann überdreht mit Virtualität
 
Inszenierung: Eike Hannemann – Bühne und Kostüme: Birgit Stoessel – Video: Tanja Hagedorn – Dramaturgie: Sven Kleine – Regieassistenz: Frank de Buhr.
Besetzung: Anne-Catherine Studer – Lutz Wessel – Marco Wohlwend. Special Guest: Holger Kraft.
 
Was ist typisch menschlich? Menschlichkeit jedenfalls nicht. Auf diese paradoxe Pointe läuft die „szenische Collage“ „Die Seele der Maschinen“, die Regisseur Eike Hannemann auch selbst

Anne-Catherine Studer - Foto © Uwe Stratmann
zusammengestellt hat, zwar hinaus: Menschen erschaffen Mensch-Maschinen und offenbaren im schließlichen Kampf mit ihnen keineswegs einen Vorsprung an Humanität. In erster Linie gibt es auf der Bühne des Kleinen Schauspielhauses jedoch abseits dieser Frage ein aberwitziges Spektakel zu sehen, das in immer neuen Variationen das Thema „Künstlichkeit“ durchspielt. Die einzelnen Teile der „Collage“ zu erkennen oder zu benennen, ist da gar nicht nötig.
 
Das fängt schon bei Birgit Stoessels einprägsamem Bühnenbild an. Für die kleine Spielstätte ungewöhnlich opulent, reiht sich eine Kuriosität an die nächste – als da wären: eine Figur mit Storchenmaske, ein Mischwesen aus Reh und Damentorso, ein Glaskasten als Vitrine für enttarnte Androiden, ein gewaltiger Stier, dessen Innenleben aus Metall und Kabeln besteht, und manches mehr. All die biologischen und technischen Hybriden sind frontal zum Publikum gerichtet und bilden so den gruseligen Hintergrund der Fabrik, in der die künstlichen Menschen entstehen.
Von diesen führt der galante Direktor (Marco Wohlwend) Interessierten zu Beginn einige Exemplare vor; und schon hier macht die den Abend prägende Darstellung von Virtualität sich lustvoll selbständig: Die drei Akteure am langen Tisch schauen einander beim munteren Gespräch nicht an, als befänden sie sich im Chat statt im selben Raum. Der vorgeführte Android (Lutz Wessel, der mit Bart und Zylinder „beinahe wie ein Mensch“ aussieht) redet auf Knopfdruck spanisch, fast forward oder wie Fips Asmussen. Und selbst den Klaps für die junge Besucherin (Anne-Catherine Studer), die säuselt wie aus dem Synthesizer, gibt’s in dieser Welt per Fernschaltung.
 
Bei so viel Irrealem und Indirektem blickt auch der Androidenjäger bald nicht mehr durch, woran er ist: Lutz Wessel, wie alle drei Schauspieler in mehreren Rollen aktiv, gibt ihn als harten Kerl, die Wumme im Anschlag, der für Prämien die Kunst-Kreaturen entschlossen tötet – bis die vorgesetzte Einsatzleiterin (Studer) ihm vorhält, er habe dabei in seiner Paranoia auch reale Menschen umgebracht… aber ist sie wirklich eine Einsatzleiterin?? Auf die absurde Spitze getrieben wird das Spiel mit Sein und Schein in der Szene, die von diesem Abend am hartnäckigsten nicht aus dem Hirn will: Auf einem Stier reitend trällert playback eine verdächtige Opernsängerin im unglaublichen Abendkleid „Ich wollt‘, ich wär ein Mann“ – es spielt: Marco Wohlwend.

Anne-Catherine Studer, Lutz Wessel, Marco Wohwend - Foto © Uwe Stratmann
 
Zur (auch in der Ankündigung versprochenen) Problematik um „das genuin Humane“ trägt bei alldem hauptsächlich der Test bei, den die Jäger verwenden, um Androiden zu enttarnen. Diese müssen dabei Fragen beantworten, um zu klären, ob sie fähig sind zum Mitgefühl. Die Volte am Ende der Geschichte, wie Eike Hannemann sie erzählt: Wer hier empathisch reagiert, gibt damit zu erkennen, daß er eines gerade nicht ist: ein Mensch. Mehr als „human“ geht es in „Die Seele der Maschinen“ aber um Begriffe wie „virtuell“ und „authentisch“ mit ihren heute immer unklareren Grenzen – und der salomonischen Aussage, die im Stück als Kommentar zum Thema „Sex mit einer Androidin“ fällt, aber eigentlich auch sonst paßt: „Fühlt sich echt echt an.“