Berührungen

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
22. Mai: Gott schaut uns beim Leben zu. Wir schauen Fernsehn, wo gerade ein Film läuft über Gott, gespielt von Bud Spencer, wie er uns beim Leben zuschaut. Bud Spencer gilt als Fehlbesetzung und er wollte nur zeigen, daß er auch ernste Rollen spielen kann. Irgendwo grübelt ein Regisseur und plant wieder einen authentischen Film über das Leben. Und Action!

25 Mai
: Ich habe mal auf einem Butterbrot die Reste der Leberwurst verstrichen. Ich hatte dann noch die Hälfte des Brotes frei und beschmierte sie mit einer vegetarischen Paste. Ich hatte mir gar nichts dabei gedacht. Ich wollte nur die Reste aufbrauchen und das Brot insgesamt als Unterlage nutzen. Erst dann fiel mir auf, daß sich dort schon zwei Kraftfelder berührten. Ich meine die vegetarische Pastete hatte bestimmt noch nie was mit einer Streichleberwurst zu tun gehabt. Diese beiden Brotaufstriche stehen ja in verschiedenen Lagern. Sie sind Produkte von ganz anderen Lebensmodellen. Man grenzt sich bewußt damit ab. Man gibt sich nicht damit ab. Ich will Ihnen aber mal was sagen. Das Treffen dieser Welten auf meinem kleinen Butterbrot war mehr als ein Anfang. Die beiden Brotaufstriche haben nicht nur gut nebeneinander gelegen. Sie haben sich auch ergänzt. Es tat sehr gut, von beiden Geschmacksansichten überrascht zu werden. Es war mal was anderes. Man hatte sich berührt. Man hatte die Chance sich zu verstehen.

27. Mai
: Padermann war aufgebracht. Er lief über die Westernstraße und rief: „Dieses ganze Bewußte, dieses Intellektuelle, dieses Gezielte und Abgewogene hat auch was sehr Ekliges. Man muß nichts wissen. Man muß nichts lernen. Wer überlebt, kennt sich aus. “ Padermann hatte vorher einen Gedanken von Nietzsche nicht verstanden und war deshalb sehr enttäuscht von Nietzsche. Später rettete er einem Anstreicher das Leben, half einer Lehrerin beim Medizinballtragen und bewahrte einen Karpfen vor dem Küchentod. Wenn er ehrlich war, wußte er nicht, wie er das gemacht hatte. Wenn er ehrlich war, wußte er auch nicht, warum er das gemacht hatte.



© 2011 Erwin Grosche