Steinige Straße ins Verderben

Theater Hof "Gefährliche Liebschaften"

von Alexander Hauer
Hof
 
Gefährliche Liebschaften
 
Als Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos 1782 seinen Briefroman „ Les Liaisons dangereuses“ veröffentlichte, war er in guter Gesellschaft. Viele Adlige und auch Bürger des Ancien Regime veröffentlichten zum Ende des Königreiches Frankreich in einer Phase der Dekadenz, mehr oder weniger anregende oder gar pornographische Schriften. Der bekannteste und berüchtigtste Vertreter seiner Zeit war Donatien Alphonse François de Sade, der, als würdiger Epigone Laclos´, die Sexualität, auch im Sinne des modernen Feminismus, endgültig politisierte.
Laclos selbst schrieb seinen Roman während seiner Militärzeit in Aix, kurz nach Ende des ersten wirklichen „Weltkrieges“, den wir heute beschönigend den „Siebenjährigen“ nennen. Nach Veröffentlichung 1782 und dem damit verbundenen Erfolg und Skandal, die Erstauflage war innerhalb kürzester Zeit vergriffen und mußte nachgedruckt werden, wurde er auf einen unattraktiven Posten nach La Rochelle versetzt, wo er eine Frau schwängerte und sie auch nach der Geburt des Kindes heiratete.

Thomas Mogendorf schuf für die Inszenierung von Frank Matthus ein schwarzes Bühnenbild. Sämtliche Dekorationen, auch die Möbel, sind in dieser lichtschluckenden Farbe gehalten, einzig der Bühnenboden wirkt mit dekorativen grauen Flecken wie eine steinige Straße, die ins Verderben führt. Auch Annette Mahlensdorfs Kostümbild entspricht dieser Dramaturgie. Ihre geschmackvollen, dem Rokoko verpflichteten Gewänder, sind für die Dienstboten in trostlosen Anthrazit, die der beiden männlichen Protagonisten in dunkleren Grautönen gehalten. Aber auch die Kleider der Damen bleiben in der Graupalette, die alte, weltfremde und naive Madame de Rosemonde (Angelika Koppmann) trägt hochgeschlossenes Witwenschwarz, Regula Fischbachs Madame de Volange blasses Perlgrau, ihre Tochter Cécile (Polina Bachmann) pudriges Pastellgelb. Der größte Gegensatz in den Farben der Kostüme dürfte wohl bei Präsidentin de Tourvel (Nina Machalz) in blassem, madonnenhaften Blau, und Juliane Abts papageienbunter Prostituierter Émilie liegen. Für die Marquise de Merteuil, Anja Stange, schuf sie Kleider, die sich kontrovers zu der immer bösartiger werdenden Handlung immer mehr dem unschuldigen Weiß nähern.

Frank Matthus markierte auf dieser Folie mit seinem überragenden Schauspielensemble, bis in die kleinsten Rollen, auch die der Statisterie blendend besetzt, eine Welt, die aus heutiger Sicht fremd und verdorben scheint. Vergleiche mit den Moralvorstellungen einiger lebenden Personen sind aber durchaus angebracht. Jens Hollwedel gibt seinen Vicomte de Valmont zunächst als verdorbenen Wüstling und damit als den typischen Helden des Rokoko, der sich dann aber in eines seiner Opfer verliebt und quasi menschlich geworden, auch verletzlich wird. Seine Opfer und damit auch Gegenstand einer Wette zwischen ihm und der Marquise, deren Einsatz ein schlichter „Fick“ mit ihr ist, sind die fünfzehnjährige Cécile und die Anfang Zwanzigjährige de Tourvel. Polina Bachmann läßt als erst verführte, dann aber lernbegierige Cécile wohl keine Männerphantasien offen, wenn sie es am Ende ihrer “Lehrzeit“ besser kann, als jede Luxushure. Nina Machalz gibt die Tugendhafte de Tourvel, die sich zunächst ihrer Lust nicht hingeben kann, dann aber, als Valmont sich in sie verliebt hat, diese Affäre nicht weiterführen kann, da sie die anerzogene Moral nicht überwindet. Ob sie am Ende ins Kloster oder in den Freitod geht, läßt Matthus offen. John Peter Altgeld als Chevalier de Danceny wandelt sich vom schmachtenden bubenhaften Gesangslehrer Céciles in einen selbstbewußten Mann, der seinen Platz im Leben gefunden hat.


Mittelpunkt von Christopher Hamptons Schauspiel ist aber die Marquise de Merteuil. Die wunderbare Anja Stange verleiht ihr Figur. Mit maskenhaftem Gesicht, ohne ein wortwörtliches Wimpernzucken, gibt sie die Moralische, in deren wahren Leben aber das Laster, die Verderbtheit und das Böse regiert. Die Schilderung ihres Lebensweges, die Hochzeit mit einem ungeliebten Mann, dessen früher Tod und damit ihre Entlassung in die Unabhängigkeit, die nach außen getragene Unschuld und die Erpressung und Nötigung ihrer Liebhaber erzählt sie scheinbar gleichgültig mit kaum merklichen, aber dafür umso intensiver wirkenden Nuancen der Sprache. Am Ende, wenn sie ihre Ziele, die Schändung des jungen Mädchens und das Verderben der Frommen schriftlich bestätigt vor sich hat, verliert sie jedoch die Contenance. Sie weigert sich den Wetteinsatz, eben jede leidenschaftliche Nacht mit Valmont, einzulösen. Sie könne es besser und sei mehr wert als ein ganzes Serail, aber Teil eines solchen zu sein, liegt nicht in ihrem Streben. Erst als sie vor der Leiche Valmonts steht, wird ihr bewußt, daß sie mit ihm ihren Seelenpartner und auch ihre einzige Liebe verloren hat. In diesem Moment wandelt sich Anja Stanges Gesicht von der beherrschten Maske zu einem verzweifelten, das Leid der Welt ausdrückenden Antlitz.

Frank Matthus gelang mit seinen "Gefährlichen Liebschaften" und den damit verbundenen risikoreichen "Geschäften" ganz großes Theater. Sein Kammerspiel schafft Vorfreude auf dem König der Wüstlinge: Don Giovanni als letzte Opernproduktion dieser Saison.
 
Redaktion: Frank Becker