A schöne Leich...

2x Wien und zurück - Impressionen einer Kurzreise

von Jügen Koller mit Fotos von Margot Koller

Mozart-Gedenken - Foto © Margot Koller

2 x Wien und zurück

Impressionen einer Kurzreise


Im vergangenen Jahr, anlässlich eines runden Geburtstages vor die Wahl gestellt, entweder die liebe Verwandtschaft abzufüttern oder gemeinsam mit meiner Frau eine Kurzreise nach Wien zu unternehmen, war Letzteres die eindeutig angenehmere Alternative.

K.u.K Wurzeln

Also besann ich mich meiner k.u.k.-österreichischen Wurzeln – mein Großvater väterlicherseits stammte  aus Böhmen als dieses noch bei Österreich war – auch erinnerte ich mich an  euphorische Berichte von Freunden über einen Trip nach Wien und deren  Faszination von der Metropole an der Donau.

Den nervigen Stress einer Auto-Fahrt in die Hauptstadt der Alpenrepublik wollten wir uns nicht antun, und der Flieger hat stets so etwas Geschäftsmäßiges. So nahmen wir denn von Wuppertal aus die Bahn, mit Umsteigen in Köln und Frankfurt am Main. Eine gute Entscheidung, zumal die Frühlingssonne vom Himmel lachte. Solch eine längere Reise mit dem Zug nach Wien bot nicht nur einen Hauch Nostalgie, sie versetzte uns Reisende schon in den Stunden der Fahrt durch die deutschen und österreichischen Lande in ein stimmungsvolles Erwarten.

Mit dem Wissen eines reich bebilderten Reiseführers im Kopf und einem gut lesbaren Stadtplan in der Hand gingen wir auf Erkundungstour. Wir hatten knapp fünf Tage, da galt es touristische Akzente zu setzen, um nicht am überquellenden Angebot von Musentempeln, Schlössern, Bauten, Plätzen, und  Straßen zu verzweifeln.

Garni in "Mitte"

Da wir als Herberge ein Garni-Hotel gewählt hatten, suchten und fanden wir auf der Landstraßer Hauptstraße 28, gleich in der Nähe der U-Bahnstation Wien Mitte,  mit der „Weissgerber Stube“  ein uriges Lokal mit bezahlbaren Preisen - typische Wiener Küche, süffige offene Weine und trinkbare


Foto © Margot Koller
Biere. Übrigens hat einst Ludwig van Beethoven gleich nebenan sein Domizil gehabt. Nun waren Essen und Trinken gewiss nicht der Hauptzweck unseres Wien-Besuchs, aber nach des Tages Mühen war ein gemütliches Lokal für uns schon wichtig: Wer kann schon  gebackenen Spargel oder  Fiakergulasch mit Knödel ausschlagen?
Meine Frage, ob das Gulasch nicht vielleicht von einem sanft entschlafenen Fiakergaul stamme, verneinte der tschechische Kellner mit  Schwejkschem Schalk in den Augen.

Auffällig war für uns, dass Wien mit seinen 1,6 Millionen Einwohnern, nicht nur über ein gut geschnittenes U-Bahn-, Bus- und Tram-Netz verfügt, sondern auch touristenfreundliche Fahrkarten anbietet. Wir nutzten 2-Viertageskarten für zusammen 24 €  und konnten so an 4 Tagen rund um die Uhr alle hauptstädtischen Verkehrsmittel nutzen.

Natürlich begannen wir unser Programm mit dem Stephansdom, beeindruckend in seiner monumentalen Erhabenheit. Aber er war vollgestopft mit Touristen, denn das Wetter war umgeschlagen und es schüttete wie aus Kübeln. An diesem Tag war der Dom wahrlich kein Platz der Besinnung und religiöser Einkehr. Und doch bleibt das mächtige Langhaus mit seinem Dämmerlicht, den reich profilierten Pfeilern und der in höchster Steinmetz-Kunst ausgeführten Kanzel nicht nur für Christenmenschen ein tief bewegendes Erlebnis. Der Dom habe den schönsten Kirchturm der deutschen Gotik, so eine Stadtwerbe-Schrift, auch das mächtige Satteldach mit den farbig glasierten Ziegeln sei einmalig in Europa.

Mieses Wetter - na und?

Vom miesen Wetter ließen wir uns Wien nicht verleiden, gab es doch so viel zu erlaufen und zu erschauen. – Was hatte es doch 1990 für einen Skandal gegeben und wieviel „ Schmäh“ fand sich in

 
Haas-Haus - Foto © Margot Koller
der Wiener Boulevard-Presse  als der Architekt Hans Hollein sein städtebaulich außergewöhnliches Haas-Haus mit der halbzylinderischen Glasfassade hochzog! Der Bau mit dem sich spiegelndem Dom ist ein  Hingucker – wir fanden ihn jedenfalls keinesfalls  peinlich, sondern spannend.
Da das Wetter nicht gerade zum Bummeln auf Habsburgs alten  Prachtstraßen einlud, suchten wir aus dem Top-Angebot der Museen und Sammlungen das hypermoderne Leopold-Museum im Museumsquartier und die Albertina in der Hofburg aus.

Leopold-Sammlung

Dem Sammler Rudolf Leopold, vermögend und besessen, ist für seine fulminanten Schätze österreichischer Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts ein adäquates Gebäude geschaffen worden. Der mächtige kalksteinweiße Würfel, der sein Licht über einen weiträumigen Zentralschacht durch alle Stockwerke hindurch erhält, bietet 5.400 qm Ausstellungsfläche. Die funktional strukturierten Räume mit  großen, schmalen, steglosen Fenstern, die von der Decke bis zum Boden reichen, ermöglichen eine Ausstellungspräsentation von großer Klarheit verbunden mit einer sonst nicht üblichen Lichtregie.
Und da hängen sie: Die Schieles, die Klimts, die Kokoschkas auf viel, viel weißer Fläche – einfach überwältigend!


In Wien trägt man Hut! - Kärntnerstraße
Foto © Margot Koller
Anderntags mit neuen Kräften, wieder bei gleichmäßig rauschendem Regen, Besuch des Naschmarktes. Sollte man gesehen haben, dieses Leben und Treiben. Übrigens, der Begriff kommt nicht von „naschen“, sondern von „Aschen“ = Eimer, so ist es uns erklärt worden. Der Naschmarkt ist fest in „türkisch-arabischer Hand“. Na, jedenfalls haben die Wiener den Türken die Belagerung Wiens von 1683 durch Großwesir Kara Mustafa zum gegenseitigen Vorteil verziehen. Es war seinerzeit eine Art „europäisches Entsatzheer“ unter dem Polenkönig Johann Sobieski und dem Herzog Karl  von Lothringen, das die Truppen des Großwesirs in die Flucht schlug.

Grafik-Sammlung der Albertina

Die Grafiksammlung der Wiener Albertina umfasst rund 80.000 (!) Zeichnungen und über eine Million Blätter Druckgrafik. Natürlich ist beispielsweise der einzigartige Dürerbestand – Feldhase, Betende Hände, Großes Gartenstück – nie öffentlich zu sehen. Man bekommt diese Werke und andere Blätter auch nicht auf Nachfrage vorgelegt.
Dafür haben wir uns der umfänglichen Schau „Mozart – Experiment Aufklärung“  gewidmet.
Diese Ausstellung im Mozart-Jahr 2006 präsentierte Mozarts Leben und Werk im gesellschaftlichen Kontext – sie zeigte das Reformklima des Josephinismus, einer weltoffenen, aufgeklärten aristokratisch–höfischen Gesellschaft, geprägt von den Idealen der Freimaurerei,  in der sich Mozart musikalisch entfalten konnte.
Die Schau war ein „Muss“ für Fans des Komponisten, besonders die kostbaren Autographen, Notenhandschriften und Originalpartituren sind beeindruckende Belege des schöpferischen Genies  Mozart. Neu war für uns, dass Mozart auch ein großer Zocker war; am Spieltisch soll er beachtliche  Summen verloren haben.

All das bis dato Gesehene und Genossene  wurde  durch ein „Erlebnis der besonderen  Art“ in den Schatten gestellt. Wir hatten im Kartenvorverkaufs-Service die definitiv letzten (!) beiden Karten  für


Musikverein - Foto © Margot Koller
die Sonntags-Matinee der Wiener Sinfoniker im Saal des berühmten Musikvereins ergattert. In diesem Musiktempel – ein antikisierender Neo-Renaissancebau des frühen 19. Jahrhunderts – gastieren die Philharmoniker, die Sinfoniker und die großen Orchester dieser Welt. Bekannt ist der Saal des Musikvereins den Fernsehzuschauern von den jährlichen Neujahrskonzerten der Wiener Philharmoniker. Wie fast alles in Wien verströmt auch dieser Bau verflossenes Habsburger Gepräge – viel Gold, viel Repräsentation, aber, und das ist das Einmalige, der Saal hat eine Nachhallzeit von über zwei Sekunden bei 2.000 Besuchern. Das ist wahrhaft sensationell. Wir hörten u.a. Bruckners E-moll-Messe; Chor und Orchester waren so lupenrein und von solcher klanglichen Brillanz zu hören, dass wir noch heute davon schwärmen.

Aber, und das muss noch angemerkt werden, Wuppertals Historische Stadthalle steht in akustischer Hinsicht dem Saal des Musikvereins kaum nach. Aber Wiens Musikverein hat eben  europäisches Renommee, damit müssen wir hier im Bergischen halt leben.

1. Mai – endlich Sonne pur!

Wir wollten am monströsen Parlament vorbei in Richtung Rathaus und Burgtheater spazieren. Aber wir gerieten in die Mai-Demo der SPÖ und der Gewerkschaften. Viel „Rot“, aber selbst die Blasmusik hatte etwas „Wienerisch Leichtes“. Die sich überschlagenden Stimmen der Redner auf dem Rathausplatz kamen uns bekannt vor – wie üblich bei solchen Anlässen waren die anderen die Bösen. Hier eben  waren  die damals noch allein regierenden Konservativen unter Kanzler Schüssel an allen Misslichkeiten schuld. Ein Satz ist mir im Ohr geblieben, als davon gesprochen wurde, dass eine Million Österreicher nicht etwa arbeitslos seien, sondern in artfremden Berufen arbeiten müssten, was doch ein großes Übel sei. Diese Sorgen sollten unsere Regierenden in Berlin mal haben! Ansonsten wurde die gewerkschaftseigene Bank, die gerade eine Milliarde Euro in den karibischen Sand gesetzt hatte, gesund gebetet. In den Tagen zuvor hatten die kleinen Sparer zu Hunderten die Bankfilialen gestürmt, um ihre Spareinlagen abzuheben – über 500 Mio. € mussten von der  Gewerkschaftsbank innerhalb weniger Stunden ausgezahlt werden.
Gegen Mittag rückte dann die Wiener Stadtreinigung in Divisionsstärke an, und in kürzester Zeit war die Stadt wieder blitzsauber.

Wiener Kaffeehaus-Kultur

Da wir weder das Café Demel noch das Sacher frequentiert hatten - zuviel Touristenrummel – tranken wir unseren Melange (Kaffee mit Milch gestreckt) im Café Central. Das berühmte Literatencafé im


Café Central - Foto © Margot Koller
Palais Ferstel, kaum 500 Meter hinter dem Burgtheater, war in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg ständiger Treff ganzer Heerscharen von  Literaten und Politikern – hier ein paar Namen: Karl Kraus, Alfred Polgar, Arthur Schnitzler, die Politiker Renner, Masaryk oder Trotzki. Und Peter Altenberg sitzt gleich neben dem Eingang noch immer an seinem Stammtisch... Nach einer Stärkung mit Frankfurter Würstel und Gebäck (bei uns würde man Wiener Würstchen mit Brötchen sagen) brachen wir zu unserer letzten Exkursion auf.

Ein Besuch bei Toten

 Als musikliebende Deutsche wollten wir unbedingt auf dem weltbekannten Wiener Zentralfriedhof die Ehrengräber bzw. Grabstellen von Mozart, Beethoven, Schubert und Brahms besuchen. Und so zuckelten wir mit der berühmten Tram-Linie 71 (echte Holzklasse!) zum Tor 2 des weitläufigen Friedhofs.
Auf diesem Teil des  Friedhofs liegen auch etliche Mimen, Sänger und Literaten. Ein freundlicher Wiener Bürger, den wir um eine Auskunft gebeten hatten, führte uns in die „Feinheiten“ Wiener Begräbniskultur ein. Ein bisschen morbid geht’s da schon zu - es muss eine „schöne Leich“ sein, mit einer aufwändigen Zeremonie und viel Gepränge. Natürlich  geht’s in Wien auch  nicht  ohne ordentlichen Leichenschmaus ab.
Ob es bei Hans Moser, Paul Hörbiger, Curt Jürgens, Theo Lingen (der übrigens aus der Stadt Lingen an der Ems stammt) oder bei Gustav Mahler oder Franz Werfel, deren Gräber wir auch aufsuchten,  ebenso zugegangen ist, war nicht mehr festzustellen…

Diese Kurzreise nach Wien konnte für uns nur eine erste Stippvisite sein – mit dem kleinen 8- Millionen-Volk der Österreicher verbindet uns zum Glück mehr als nur verloren gegangene Kriege. Wer wollte die Trennlinie zwischen deutscher und österreichischer Kulturtradition ziehen? Wer wollte  feststellen, wessen Anteil an christlich-abendländischer und jüdisch-europäischer Kultur- und Zivilisationsgeschichte der größere sei?

Und so blieb uns Reisenden nur die Einsicht, dass wir gerade begonnen hatten, Österreichs  Hauptstadt  und deren wienerische Lebensart ein kleinwenig kennen gelernt zu haben - übrigens so ganz ohne „Wiener Schmäh“. Nirgends hatten wir den Eindruck, die ungeliebten „Piefkes“ zu sein.