„Ich zähle täglich meine Sorgen“
Eine kleine musikalische Bilanz
der noch jungen Republik Buntesrepublik
Musikalische Revue von Ulf Dietrich u. Manfred Langner Ein Gastspiel des Alten Theaters Stuttgart
im Theater im Rathaus, Essen
Regie: Ulf Dietrich - Musikalische Leitung: Hans Christian Petzoldt/Frank Weise - Choreographie: Marga Render - Bühnenbild: Marc Löhrer - Kostüme: Monika Seidl
Mit Michael Hiller, Mareike Hüsing, Ingeborg Stüber, Stephanie Theiß, Lutz Standop, Daniela Hüthmair, Ingeborg Stüber, Raphael Koeb, Luigi Scarano, Kristian Lucas, Markus Alexander Neisser und Raphaela J. Groß-Fengels
Mal ehrlich, gibt es in der jüngeren deutschen Geschichte eine Epoche, die mehr von Schlagern geprägt und zugleich politisch ereignisreicher war als die der wilden 60er und 70er Jahre? Auf dem Büffet im Wohnzimmer des Möbel-Fabrikanten Bunte (Michael Hiller) stehen noch Eckes Edelkirsch und der elfenbeinfarbene Fernsprecher W 48 als Reminiszenz an die Wirtschaftswunderjahre der 50er, doch längst brodelt unter dem polierten Nußbaumfurnier der Schrei der jungen Generation nach Freiheit. Karl Marx und Oswald Kolle, Aretha Franklin und Alfred Kinsey, „Hair“ und die Kommune 1 werfen ihr grelles Licht voraus. Und schließlich fordern die Werktätigen der Republik (West) die 48-Stunden Woche! Alles wird anders werden.
Ulf Dietrich und Manfred Langner haben aus dem reichhaltigen Stoff und zwei Dutzend Hits dieser aufregenden Jahre eine amüsante kleine Nummernrevue gebastelt, die mit beachtlichem Tempo und hohem Unterhaltungswert die Welt von Flokati und Minirock, großgemusterten orange-braunen Tapeten, APO, Bhagwan und dem Beginn des Farbfernsehens porträtiert. Es war schick, den Dienst in der Bundeswehr zu verweigern, dafür aber die Revoluzzer-Uniform Che Guevaras anzulegen. Auf dem Trip zur Selbstfindung gehörten freie Liebe, Guru-Glaube und Haschisch-Plätzchen zu den Klischees einer neuen Zeit. Bürgerliche Normen wurden abgelehnt, aber Klo und Küche der WG waren immer noch die Domäne der Kommunardin. Zwischen „The Sun Ain´t Gonna Shine Anymore“, „R-e-s-p-e-c-t“ und „The Age of Aquarius“ wird Karl Marx zitiert und „Ho-Ho-Ho Chi Minh“ skandiert. Ja so war das. Die einen sangen gegen den Vietnam-Krieg an, die anderen empörten sich mit Freddy Quinss „Wir“ über den Protest. „Junge, komm bald wieder“ seufzte manche Mutter, der Sohn aber jubelte „I´m Free“. Letzteres übrigens ist wie die zur Musik von Peter Thomas choreographierten Orion-Tänze eine der von Marga Render brillant einstudierten Ensemble-Nummern. Höchlichst zu loben auch die Ausstattung, vor allem die authentisch auf den Punkt gebrachten Kostüme von Monika Seidl. In Frl. Brigittes Mondrian-Kleid, Uschis Mini und Lackstiefeln und den herrlichen bestickten Fellmänteln (wer hätte nicht so einen gehabt?) zeigt sich, wie liebevoll und genau Monika Seidl sich bis hin zum Raumpatrouille-Bügeleisen dem Projekt gewidmet hat. Dafür gebührt ihr unser höchste Lob: Musenkuß! Von einer hervorragenden Live-Band begleitet zeigen die Darsteller, allen voran Luigi Scarano als Belcanto schmetternder italienischer Gastarbeiter und die zuckersüße Mareike Hüsing als Uschi Bunte auch Show-Qualitäten, ob als Hippies, Revoluzzer, Spießer oder DDR-Truppe, die im Westen Material für die Renn-Pappe aus Zwickau einkauft und sich als die wahren Kinder von Marx und Coca Cola erweist. Da wird mit viel Witz und Verve getwistet, gerockt und gegroovt was das Zeug hält und das Zeitkolorit hergibt. Und gibt es ein Happy End? Na klar! Die beinahe drei Stunden inkl. Zugaben vergehen trotz der nur als Gerüst dienenden äußerst dünnen Handlung wie im Flug, was für die flotte Inszenierung spricht.
Heute Abend können Kurzentschlossene das Stück noch einmal sehen, dann nach einer kurzen Unterbrechung noch einmal eine Staffel: aber nur drei weitere Vorstellungen gibt es vom 15.02. bis 17.02.2011, jeweils 19.30 Uhr. Weitere Informationen unter: www.theater-im-rathaus.de und: www.schauspielbuehnen.de
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