Enthüllt statt entwickelt

Siegfried Hopp inszeniert in Mönchengladbach „Das Interview“ nach einem Film von Theo van Gogh

von Martin Hagemeyer
Enthüllt statt entwickelt
 
Siegfried Hopp inszeniert „Das Interview“
nach einem Film von Theo van Gogh



Film von Theodor Holman (Drehbuch) und Theo van Gogh (Regie). Übersetzt und für die Bühne adaptiert von Stephan Lack - Bühnen-Regie: Siegfried Hopp – Bühne und Kostüme: Birgit Eder – Dramaturgie: Judith Heese / Martin Vöhringer.
Besetzung: Pierre: Adrian Linke – Katja: Anja Barth.

Es ist ein großes Privileg des Theaters, daß es anders als der Film gerade an Charme gewinnen kann, wenn es nicht bis ins Detail realistisch ist. Aber etwas plausibel sein darf es ja vielleicht schon.
Daran hapert es beim Stück „Das Interview“ in der Regie von Siegfried Hopp, das auf einem Spielfilm des ermordeten Niederländers Theo van Gogh basiert und nach Krefeld am 13. Januar nun auch in Mönchengladbach Premiere hatte. Hier kann nicht geklärt werden, ob der Text schon im Drehbuch so wenig überzeugt, ob das erst Resultat der Bühnenadaption durch Stephan Lack ist oder auch der verwendeten Strichfassung. Klar ist nur: Diesem Gespräch fehlt etwas.
 
Es könnte ein spannender Stoff sein: Der Politikjournalist Pierre (Adrian Linke) wird dazu verdonnert, TV-Sternchen und Boulevardliebling Katja Stuurman (Anja Barth) zu interviewen. Doch in deren

Foto © Matthias Stutte
Wohnung wird der lustlose Reporter selbst zum Objekt ihrer Kamera und offenbart Intimes, während die junge Schauspielerin die Medienwelt und ihre Oberflächlichkeit bloßstellt. Die interessante Idee des Rollentauschs wird allerdings gleich mit den ganz großen Schicksalsschlägen überladen: Katja hegt Todesgedanken und vertraut Pierre schließlich an, sie habe Brustkrebs. Pierre wurde als Kriegsberichterstatter bei einem Granatenangriff mit  mehreren Toten verwundet; dadurch konnte er nicht zur Beerdigung seiner bei einem Unfall umgekommenen Tochter kommen, und seine Frau hat sich darauf von ihm getrennt. Schlimmer als dieser Leidens-Overkill ist aber die Tatsache, daß das Verhalten beider Charaktere beim Aufeinandertreffen allenfalls stiefmütterlich motiviert wird.
 
Das Problem liegt weniger bei den Schauspielern. Anja Barth und Adrian Linke füllen Katjas Wohnzimmer (grün-extravagant wie ihr Kleid – Bühne und Kostüme: Birgit Eder) mit Leben, weichen sich aus, bedrängen einander, kämpfen. Daß Katja mal brutal formuliert („Zum Dessert gibt es noch Fötus im Glas“ in Anspielung auf eines seiner Kriegserlebnisse), mal keck-überdrehtes Mädchen ist (sie in sarkastischer Klatsch-Manier zu ihm: „Hast du dir die Brüste vergrößern lassen??“): Bei Anja Barth (künftig nicht mehr im Ensemble) paßt es zusammen, weil sie die Actrice mit einem durchgängigen Grundton unterlegt – Verbitterung. Adrian Linke gibt den Pierre reduziert und dabei zwar vielleicht etwas zu unbewegt; aber beide spielen so, als wäre es stimmig, was sie sagen.
 
Den Gefallen tun Stück und Regie ihnen nicht. Der arrogante Pierre soll eigentlich allmählich Schwächen preisgeben, aber für Allmähliches ist ihm keine Zeit vergönnt: „Okay, ich bin ein Versager“, eröffnet er nach gefühlten zehn Minuten und überrascht damit kein bißchen – man hat ja schon nicht verstanden, wieso ihm zu Beginn des Interviews allen Ernstes keine einzige Frage eingefallen ist. Katja ist vorwitzig gemeint und sagt doch nur Banalitäten; dann muß sie plötzlich „Ich hasse dich!“ schreien, als durchlebten die beiden gerade eine ernste Beziehungskrise. Am Ende filmt

Foto © Matthias Stutte
sie Pierre, wie er gesteht, seine Frau ermordet zu haben. Mit diesem Trumpf in der Hand hat sie zwar das Spiel gewonnen, weil er nun keine Enthüllungsstories über sie mehr wagen kann, ohne daß sie ihn ans Messer liefert. Aber daß sie sich als Mitwisserin gerade eigentlich selbst in Lebensgefahr begeben müßte: Soviel Logik ist dem Zuschauer offenbar nicht zuzumuten.
 
Kurz vor Schluß hebt Pierre noch einmal an: „Ich möchte, daß du es weißt…“, und eine absurde Hoffnung blinkt auf: Wird er erklären, daß die ganze Geschichte nur erlogen war? Das würde die dringend benötigte Rechtfertigung liefern dafür, daß vieles so unglaubwürdig ist. Keine Chance: „Ich liebe dich“ lautet sein Bekenntnis. Das ist dann zwar tatsächlich gelogen. Viel wahrer wirkt der Rest aber auch nicht.
 
Redaktion: Frank Becker