Grau und etwas Grusel

Philip Stemann inszeniert in Wuppertal „Das kalte Herz“ nach Wilhelm Hauff

von Martin Hagemeyer

Foto © Frank Becker
Grau und etwas Grusel

„Das kalte Herz“ nach Wilhelm Hauff
in der Textfassung von Helmut Werner


Inszenierung: Philip Stemann - Bühne und Kostüme: C. R. Müller - Dramaturgie: Sven Kleine - Regieassistenz: Frank de Buhr - Kostümassistenz: Svenja Göttler
Besetzung - Kohlenmunkpeter: Lutz Wessel – Lisbeth: Juliane Pempelfort – Holländer Michel: Andreas Petri – Glasmännlein: Axel Röhrle - Mutter Munk: Ingeborg Wolff – Ezechiel: Gregor Henze – Tanzbodenkönig: Hendrik Vogt 


Kein vorweihnachtliches Idyll


Ein einfacher Bursche gerät zwischen einen guten und einen bösen Geist, die beide anbieten, seine Wünsche zu erfüllen. Der Bursche macht Fehler, doch am Ende rettet ihn der Glaube, und er bekommt eine schöne Frau. Eine solche Geschichte könnte Stoff für ein leichtes Märchenspiel sein, oder sogar für ein spaßiges Spektakel. Doch es handelt sich um „Das kalte Herz“ nach Wilhelm Hauff und zudem um die aktuelle Inszenierung von Philip Stemann an den Wuppertaler Bühnen, der offensichtlich keinen Wert darauf legt, ein vorweihnachtliches Idyll zu zaubern.
 

vorne: Lutz Wessel, hinten v.l.: Juliane Pempelfort, Axel Röhrle, Ingeborg Wolff - Foto © Andreas Fischer

Schon das Kunstmärchen des Romantikers Hauff von 1827 spart nicht mit Abgründen: Der unzufriedene Köhlerjunge Peter Munk wendet sich an das im Wald hausende Glasmännlein, das ihm die Erfüllung dreier Wünsche in Aussicht stellt. Doch sein kurzsichtiges Profitdenken führt dazu, daß er damit nicht glücklich wird, und er läßt sich auf einen Pakt mit dem finsteren Holländer-Michel ein. Der verspricht ihm Reichtum, will dafür aber das Herz des Jungen im Austausch für ein steinernes; denn das empfindsame Organ, „es hindert dich am Leben“. Peter wird erfolgreich, ist aber zu keinerlei Emotion oder Empathie mehr in der Lage, läßt seine alte Mutter verarmen und erschlägt schließlich seine Frau. Sein lebendiges Herz bekommt er erst durch die Hilfe des Glasmännleins wieder zurück.


Andreas Petri - Foto © Andreas Fischer
 
An der Grenze zum Horror

Die Inszenierung nun, empfohlen ab zehn Jahren, mildert an der Düsternis der Geschichte nichts ab. Wurde bei früheren Familienstücken auch in Wuppertal oft auf überdrehte Aktion und verspielt-bunte Ästhetik gesetzt (und damit viel Vergnügen bereitet), erlaubt sich „Das kalte Herz“ viel Grau und etwas Grusel. Erst spät gibt es ein paar lustige Momente mit dem dicken Ezechiel (Gregor Henze) und dem langen Schlurker (Hendrik Vogt). Als aber etwa das Glasmännlein den Jungen foppt und ihm zwischen den Bäumen immer wieder entwischt, wird daraus nicht etwa eine amüsante Katz-und-Maus-Szene gemacht. Und wenn der Holländer-Michel sich auf den Jungen wirft und ihm das Herz buchstäblich aus dem Leib reißt, ist für einen Augenblick sogar die Grenze zum Horror erreicht.
 
Böse? - Böse!

Anteil an der unheimlichen Wirkung hat indes auch die Zeichnung der Figuren. Lutz Wessel gibt den Peter als Draufgänger mit Identifikationspotential, dessen Suche nach Besserem man gern mitverfolgt. Ganz eigenwillig dagegen die Gestaltung der beiden übernatürlichen Kontrahenten: Axel Röhrle ist als Glasmännlein absolut kein Kuschelwesen, sondern weckt mit Glatze und hochaufragenden Haarsträhnen fast mephistophelische Assoziationen. Bei Röhrle ist auch er ein Dämon, unnahbar und streng, wenn auch gutwillig. Der böse Michel hingegen hätte bei anderen Familienstücken optisch als passabler Kinderliebling durchgehen können: Zwar spielt Andreas Petri ihn von Anfang an aggressiv und herrisch, aber sein ungeschlachtes Auftreten mit Pelz und Rauschebart läßt ihn nicht wirklich gemein wirken. Juliane Pempelfort schließlich zeigt Peters Gattin Lisbeth beim Schmücken des gemeinsamen Hauses so, daß einem nur ein Wort einfällt: herzig – aber Peter hat ja kein Herz und bestraft ihr Mitleid mit einem Bettler, indem er ihr eine Flasche auf den Kopf schlägt.

Axel Röhrle - Foto © Andreas Fischer
 
Das alles in einem Bühnenbild (Bühne und Kostüme: C. R. Müller), das die gesamte Stimmung prägt: Endlose Baumstämme evozieren Verlorenheit und werden für die Szenen im Wirtshaus schön simpel nur mit Lichterketten behängt. Das zweite Bild, Michels Waldhütte, enthält zwar die gute Idee, daß die geraubten Herzen in Uhrwerken aufbewahrt sind, stört aber durch die Unterbrechung den Gesamteindruck eher.

Riskante Entscheidung

Das Stück ist klar und verständlich ein Plädoyer für Menschlichkeit. Bereits im Vorjahr hatten die Wuppertaler Bühnen beschlossen, das obligatorische Weihnachtsstück aufzuspalten in eine Produktion für kleine Kinder und eine für Ältere – und damit weniger Erfolg gehabt als erwartet. Es bleibt zu wünschen, daß die riskante Entscheidung für dieses nicht sehr fröhliche „Kalte Herz“ vom jungen Publikum (dieser Tage durch Vampire und Magier anderswo ja eigentlich hinreichend gestählt) stärker honoriert wird.
 
Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de