Spaß beiseite!

Ausstellung zu Humor und Politik in Deutschland im Haus der Geschichte, Bonn

Red./ARe/Frank Becker
Ausstellung "Spaß beiseite -
Humor und Politik in Deutschland"
 
Haus der Geschichte in Bonn präsentiert
über 800 Objekte, interaktive Installationen sowie Film- und Tondokumente
 
Bonn - Die Stiftung Haus der Geschichte in Bonn zeigt vom 10. Dezember an die Ausstellung "Spaß beiseite - Humor und Politik in Deutschland". Die Frage, wo der Spaß aufhört, wird in demokratischen und diktatorischen Gesellschaften jeweils anders beantwortet. Die Grenzen des politischen Humors spiegeln nach Angaben der Kuratoren den Grad an persönlicher Freiheit wider, zugleich aber auch den Wertewandel innerhalb verschiedener politischer Systeme. Sie versprachen im Vorfeld der Ausstellung, diese mache Spaß und frage zugleich danach, wo denn (s.o.) der Spaß aufhört. 
 
„Was darf die Satire? Alles“ (Kurt Tucholsky)
 
Die bis zum 13. Juni nächsten Jahres laufende Schau zeigt mit rund 800 Exponaten, Film- und Tondokumenten die Entwicklung von Satire und Ironie, Kabarett und Karikatur, politischen Karneval und Witz im geteilten und im geeinten Deutschland. Man präsentiert Zeitgeschichte auf unterhaltsame, oft auch überraschende Weise.
Die Ausstellung veranschaulicht in elf Themenräumen das ambivalente Verhältnis von Humor und Politik seit 1945 aus der historischen Perspektive. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten Kabarett und Satire in Deutschland eine Renaissance. Mit dem Kalten Krieg und der deutschen Teilung wird Humor auch zum Instrument der Auseinandersetzung zwischen den Systemen. In der jungen Bundesrepublik galt Satire bald als schick, die großen Kabarettensembles gewannen über das Fernsehen große Popularität, auch der Karneval erreichte ein Millionenpublikum. Die Akteure damals achteten Konventionen, respektierten sittliche wie religiöse Gefühle und vermieden Tabubrüche. Erst seit den Studentenprotesten, die eine allgemeine Politisierung der Gesellschaft bewirkten, nahmen Streitfälle zu. Unkonventionelle satirische Aktionsformen prägte fortan auch die Protestbewegungen in der Bundesrepublik.
 
Beim Islam hört der Spaß auf
 
In der DDR versuchte das Regime die Satiriker auf den Kampf gegen äußere und innere "Feinde" einzuschwören sowie sie zur Unterstützung des "sozialistischen Aufbaus" zu verpflichten. Die Funktionäre trauten den Satirikern allerdings so wenig, daß sie ihnen den Zutritt zum Fernsehen weitgehend verweigerten. Öffentlich konnten die Ostdeutschen erst in der friedlichen Revolution des Herbstes 1989 ihre Meinung mit "volkseigener" Satire zum Ausdruck bringen. Mit der deutschen Einheit trafen zwei Gesellschaften mit unterschiedlichen Mentalitäten, Normen und Werten aufeinander. Rasch entstanden "Wessi"- und "Ossi"-Witze, die zumeist die negativ empfundenen Eigenarten des jeweils anderen Bevölkerungsteils kommentierten.
Wichtiger war jedoch ein tiefgreifender Wandel, der die Deutschen gemeinsam betraf. In den 1990er Jahren setzte das Privatfernsehen seinen Siegeszug fort und erreichte mit Comedy-Sendungen viele junge Zuschauer. Heute scheint das Unterhaltungsbedürfnis in der Medienwelt unbegrenzt und die Tendenz zur Enttabuisierung unumkehrbar. Doch seit den Reaktionen auf die "Mohammed-Karikaturen" im Jahr 2006 ist die "Spaßgesellschaft" mit neuen Tabus konfrontiert, deren Beachtung radikale Islamisten mit Gewalt einfordern. Humor, Satire - Alles erlaubt?
 
Versatzstücke der Kabarettgeschichte
 
Die Ausstellung zeigt zahlreiche Bilder, Plakate und Ausstattungsstücke namhafter deutscher Kabarettisten aus Ost und West, so etwa die berühmte Pauke von Wolfgang Neuss und das Kostüm des in der DDR beliebten "Kuddeldaddeldu" alias Heinz Draehn. Die Besucher können auf Originalstühlen der "Münchner Lach- und Schießgesellschaft" und der Berliner "Distel" Filmausschnitte historischer Kabarettprogramme verfolgen, verbotene Karikaturen oder politische Witze gegen das SED-Regime kennenlernen. Immer wieder laden interaktive Installationen zum Mitmachen und Schmunzeln ein. Der Streit um satirische TV-Sendungen wie "Notizen aus der Provinz" oder "Scheibenwischer" fehlen ebensowenig, wie Transparente der Montagsdemonstrationen im Herbst 1989, die Satire als Mittel des politischen Protestes zeigen.
 
Das Buch zur Ausstellung

Zur Ausstellung ist ein reich illustriertes Begleitbuch erschienen, das auf seinen 160 großformatigen Seiten mit Beiträgen namhafter Autoren aus der Welt des Kabaretts und seiner Randbereiche intime

© Zeitgeschichtliches Forum Leipzig
Einblicke in Satire, politischen Witz, Kabarett und etwas das es eigentlich ja gar nicht gibt: die Zensur gewährt. Und das betrifft Ost und West gleichermaßen. Oder sollte man in diesem Zuzsammenhang vielleicht Gerhard Seyfried zitieren, der es "Rost- und Rest-Deutschland" nannte? Hat doch was. Von Konrad Adenauer bis Horst Schlämmer spannt sich der Bogen, unter dem nicht nur Genies wie Werner Finck, Wolfgang Neuss und Loriot, Könner wie Lore Lorentz und Dieter Hildebrandt abgehandelt werden, sondern auch Dünnbrettbohrer wie Stefan Raab und Michael Mittermeier (den sogar mit einem Beitrag). Ansonsten aber liest man mit Vergnügen die Namen der einliefernden Kabarettisten, Zeichner, Schriftsteller: Peter Ensikat (schreibt über die Zensur in der DDR), Dieter Hanitzsch (erzählt von der tagesaktuellen Kunst des Karikaturisten), Volker Kühn (läßt die große Zeit der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, der Stachelschweine, des Kom(m)ödchen, Richard Münchs "Hallo Nachbarn", des "Scheibenwischer" von Dieter Hildebrandt u.v.a.m. aufblitzen), Jürgen Klammer (erinnert an die Münchner "Schaubude" von Rudolf Schündler, an Hermann Mostars Hamburger "Die Hinterbliebenen", die Kieler "Amnestierten", Günter Neumanns legendäre "Insulaner" und sein "Schwarzer Jahr Markt" und an das erste Ostberliner Kabarett "Frischer Wind", damals noch mit Walter Gross und dem Karikaturisten Möllendorff), Jürgen Becker (stellt die Sinnfrage der Satire). Das sind natürlich nur ein paar Beispiele.

Bissig bis "politisch unkorrekt"

Erhard Kortmanns und Fritz Wolfs "Bon(n)bons" (die Väter von Uwe Beckers "Spiegel Online" - Fotowitzen) eröffnen den Band und zeigen: Humor und Politik gehen ganz wunderbar zusammen - wer es noch nicht wußte, lernt es sehr schnell durch diese Ausstellung und ihr Begleitbuch. Im Grunde wäre Politik ohne Humor und Kabarett gar

© Titanic
nicht zu ertragen. Das darf auch gerne mal bissig, unverschämt, politisch völlig unkorrekt und gemein sein. Gegen alle und jeden. Das muß die Politik, das müssen Interessengruppen und Betonköpfe, das müssen alle, auch bärtige Glaubensgemeinschaften abkönnen. Die Nazis konnten es nicht, die Kommunisten konnten es nicht, und jetzt können es die Moslems nicht. Auch dieser fundamentalistisch-fanatische Hirnriß, der in Deutschland nicht ausreichend lächerlich gemacht wird (mal abgesehen von Jürgen Becker und Wolfgang Nitschke, die ich dafür zu den Aufrechten zähle) wird nicht ausgespart. Gut so.
Interessant ist das Bemühen der Herausgeber, ja korrekt in der Platzverteilung Ost/West zu sein. Da schneiden dann die "Distel", die "Pfeffermühle", die "akademixer" und der Eulenspiegel (Ost) über Gebühr gut ab. Bringt dem unwissenden Wessi aber die Polithumor-Kultur des real existierenden Sozialismus ein bißchen näher. Auch wieder gut.

"Spaß beiseite" (im Titel hat sich das Haus der Geschichte den Spaß erlaubt, Spaß mit Doppel-s, also Spass zu schreiben) lädt wieder und wieder zum Schmökern ein,
mit vielen raren Fotos, Plakaten und Original-Dokumenten die das Buch zu einer Fundgrube und Ergänzung gängiger Nachschlagewerke und Kabarett-Chroniken machen.

"Spass beiseite - Humor und Politik in Deutschland"
© 2010 Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
160 Seiten, 22,5 x 26 cm, gebunden, mit mindestens 300 Illustrationen
19,90 € - ISBN 978-3-361-00657-7

Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags bei freiem Eintritt von 9 bis 19 Uhr geöffnet.
Weitere Informationen im Internet: www.hdg.de