… bis Z

Die Kolumne am Mittwoch

von Friederike Zelesko

… bis Z
 
Die Kolumne am Mittwoch
von  Friederike Zelesko


Im Abschied ist die Geburt der Erinnerung.
 (Salvador Dali)
 
            Das Erkennen geschah langsam: Die Frau hat mit dem Rücken zu mir gesessen. Sie hat den Kopf nicht gedreht. Sie saß auf dem Sandstrand und blickte auf das Meer. Die Wellen des Meeres glätteten sich und hielten still, so als wären sie nicht imstande vorwärts und rückwärts zu schaukeln.
            Die Boote gleich neben der Frau waren nicht wichtig für mich. Paarweise, wie offene Schuhe in die keiner mehr schlüpft, lagen sie auf dem Strand, verloren und unnütz ohne die tragende Rolle des Meeres.
            Die Frau legte ein weißes Tuch über ihre Knie. Nur ihre Füße in Turnschuhen sah ich noch, klein und weiß. Puppenfüße. Ja, sie hat wie eine Puppe auf dem Sand gesessen. Danach wickelte die Frau sich ein Tuch um Kopf und Kinn und blickte in ihren Schoß. Sie hob ein Schränkchen mit einer Schublade aus ihrem Körper heraus und stellte es zwischen ihre Puppenfüße. Danach holte sie, ohne das große Schränkchen aufzumachen, ein kleineres Schränkchen heraus und stellte es neben sich. Das kleine Schränkchen sah genauso aus wie das große Schränkchen. In der Schranktür des großen Schränkchens war nun ein Loch. Ein Schlüsselloch.
            Obwohl ich richtig erschrocken war, als die Frau ihren Körper so ohne weiteres öffnete und mit einer Krücke notdürftig abstützte, sah ich nun durch den Körper der Frau hinaus auf das Meer. Ich sah, wie das Meer sich immer kraftvoller zu bewegen begann, sah, wie die Wolken sich ballten und über die Berge schoben. Ich sah, wie ein Haus sich in den Abhang schmiegte und in die Landschaft einordnete, aber auch, wie die Bucht sich weit draußen den großen Ozeanen auftat.
            Es war ein Tag am Meer, so wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Ich wußte nicht, was für ein Bild mich dort erwartete. Seit ich das Elternhaus verließ, überraschte mich das Schauen jeden Tag neu, machte mich hungrig danach.
            Als ich ging, dachte ich noch lange an die Frau. War sie es, die mir die allererste Nahrung gab? Zu Hause nahm ich den Schlüssel aus meiner Tasche, öffnete die oberste Schublade eines Schränkchens in meinem Schlafzimmer und legte dieses Bild vorsichtig zu den anderen.
            Eines Tages wird man offiziell zugeben müssen, daß das, was wir Wirklichkeit getauft haben, eine noch größere Illusion ist als die Welt des Traumes.




© Friederike Zelesko - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010