Zimmer 27
Eine Begegnung mit dem morbiden Charme der 70er
(und mit einer verführerischen Schönen)
Wanderer kommst Du nach N., diesem blitzsauberen Städtchen in Ostwestfalen und suchst nach einem besonderen Abenteuer: nimm Quartier im „Westfälischen Hof“. Dort nämlich scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, als hätte wer mit leiser Hand die Uhren angehalten, den Kalender einfach nicht weitergeblättert und dann dezent die Szene verlassen.
Es ist ein solides Haus mit festen Ziegelsteinmauern und hohen Räumen - seine Geschichte mag weit, weit zurückgehen - dessen frühere Besitzer einst im wirtschaftlichen Aufschwung der 1970er Jahre daran gegangen zu sein scheinen, neues Leben ins historische Gemäuer zu pflanzen. Das geschah im wesentlichen durch die Anschaffung grundsolider Möbel im Blockbau-Stil der damaligen Rückbesinnung auf die deutsche Eiche und den Einbau von Duschen für schlanke Menschen. Dann muß sich irgendein
Die Möbel von anno 72/73 sind geblieben, die Vorhänge auch, die Schranktür knarzt, die Matratzen sind alt, wenn auch recht bequem und frisch bezogen, und im winzigen, weil sintemalen dem Raum abgerungenen Brausebad hängen immerhin flauschige Handtücher (gut, abtrocknen muß man sich vor der Tür, eckte man doch sonst an). Der Kalender an der Wand aber beweist: es ist das Jahr 2010.
Wer in unserem „Westfälischen Hof“ absteigt, kann vermutlich in fast jedem der Zimmer eine solche oder ähnliche Begegnung haben, was allerdings nicht an schrecklichen Vorgängen der Geschichte des Hauses liegt, sondern am beherzten Einkauf der dekorativen Bilder aus der Tschechei, die heuer die Wände über den Betten schmücken. Die strapsbewehrte „Weiße Frau“ von Zimmer 27 zum Beispiel, unter deren üppigen Brüsten der fühlende Gast kaum traumlos wird schlafen können (wir geben keine Hinweise auf Trauminhalte), ist eine solche permanente Erscheinung, die in ihrer omnipräsenten verführerischen Laszivität schon fast wieder ein Pluspunkt ist, denn es gibt Kitsch, der im richtigen Kontext die Nähe zum Kult in sich birgt. Diese Bilder sollten, so finde ich, gemeinsam mit dem Haus den energischen Schutz der Denkmalsbehörde beanspruchen dürfen. Und ich weiß, wovon ich spreche.
Geschätzter Wanderer, möchtest Du also einmal ein Zeit-Reisender sein, weißt Du was zu tun ist...
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