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Die Kolumne am Mittwoch

von Friederike Zelesko

… bis Z
 
Die Kolumne am Mittwoch
von  Friederike Zelesko
 
 

Sie drehte ihren Kopf hin und her, so als würde sie mit jedem Auge einen ganz bestimmten Gartenausschnitt sehen. Sie lüftete die Flügel und fing an, mit ihrem Schnabel über die Federn zu streichen. Später drehte sie  sich so, daß sie die Schwanzfedern erreichte, sie radartig fächerte. Über jede einzelne Feder glitt der Schnabel und bürstete sie, bis sie glänzten.
            Die Wildtaube kam oft. Sie saß auf dem Ast der Birke und ich erkannte sie an den zwei schwarzen Streifen, die ihre Flügelenden zierten. Die Zeichnung ihres Federkleides war ganz und gar naturgewollt.
            Naturgewollt war ein Wort, das meine Großmutter oft benutzte, die in jeder Situation eine fast stoische Ruhe bewahrte: Bei Hochwasser, Feuersbrunst, Unfall, Krankheit oder sonstigen Katastrophen. Alles war naturgewollt und ich wußte nie, ob dieses Wort eine Dummheit oder eine Weisheit ihres Alters war. Immerhin wurde sie vierundneunzig. Ihre Sätze begannen mit: Sagt sie, sagt er, sagen sie. Derselbe Satz endete mit: Hat sie gesagt, hat er gesagt, haben sie gesagt. Es schien als würden ihre Sätze nie enden und die Personen von einem Satz in den anderen springen. Ihre Geschichten waren wie ein Labyrinth, in dem die Familie und entfernte Verwandte herumirrten. Einige von ihnen sah man nur bei Familienereignissen, wie Hochzeit oder Tod.
            Da war die Geschichte mit der Uhr, die Großmutters Bruder Hans während des Krieges auf dem Schwarzmarkt kaufte und meinen Eltern zur Hochzeit schenkte. Eine Junghans Küchenuhr aus Steingut. Sie tickte fortan durch meine ganze Kindheit.
            Der Onkel Junghans, wie wir ihn von nun an nannten, kam so selten zu Besuch, daß ich ihn nur von einem Schwarzweißfoto her kannte, auf dem mir seine abstehenden Ohren auffielen.
Neben ihm lächelte seine Tochter Trudi in einem geblümten Kleid. Auf der anderen Seite blickte die zarte, immer steif wirkende Tante Joschi in die Kameralinse.
            Mit diesem Uhrgeschenk legte der Onkel Junghans das Maß von Sekunde, Minute und Stunde in mein Ohr. Das Ticken war einschläfernd wenn ich auf der Liege in der Küche zugedeckt bis an die Nase das Fieber herausschwitzte und das Knacken des Birkenreisigs wahrnahm, das meine Mutter in kleine Stücke brach und in den Ofen schob, um die klobigen Holzscheite in Brand zu setzten.
            Einer der auf der Liege in der Küche lag und dem knisterndem Feuer zuhörte, wie es das Ei für die Krankenkost weich kochte, das sonst nur für den Teig in die Mehlgrube glitt, hatte es gut.



© Friederike Zelesko - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010