Hüpfburg Hamburg oder:

Wenig Wasser in Sicht

von Andreas Greve
Hüpfburg Hamburg oder:
Wenig Wasser in Sicht
 
Die fahrstuhlfreundliche Zusammenfassung meiner Eindrücke vom „Sommerfestival 2010“ in Hamburg, das unter dem Oberthema „Wasser“ stand, würde - mit Atmen - nur eine Etage oder fünf Sekunden dauern: „So mittel... – aber nett“.
Das klingt nach zwei vernichtenden Urteilen in einem – aber: Es war wirklich nett!
 
Nett war schon die Einführung durch den Festival-Leiter Matthias von Hartz bei der Vernissage oder Inbetriebnahme der gigantischen Gummi-Hüpfburg ganz am Anfang der tollen Tage und weit weg vom Kerngebiet - dem Kampnagel-Gelände - nämlich in den himmelhohen Deichtorhallen am Hafenrand: von Hartz weihte den weißen Riesen „White Bouncy Castle“ des Choreographen William Forsythe nicht nur verbal ein, sondern auch wortwörtlich zusammen mit seinem Sohn und seinem Vater: hopsend.
 
Nett war auch die Idee eines ganz anderen Programmpunktes, ein Stückchen Kultur/Natur total zu privatisieren und jeweils nur einen einzigen Besucher – mich etwa – für eine Stunde mitten auf die Alster zu rudern, und dort auf einem winzigen Ponton auszusetzen. Den Menschen sozusagen dem Wasser auszusetzen. Leider war der Standort eher in Ufernähe und leider war das Hörspiel, das man dabei MP3-mäßig auf die Ohren bekam, von einer gewissen Wasseroberflächlichkeit und von solch freizeitphilosophischer Bemühtheit und Beliebigkeit, so daß ich schließlich irgendwann gar glaubte, etwas Vergleichbares in dieser Mußestunde auf See ohne Not selber zusammen fabulieren zu können... - was man halt so vor sich her denkt alleine auf See. Ohne Scherz: Wer so gute Ideen hat und soviel Orga- und Infrastruktur lostritt, sollte beim Verfertigen von Hörspielen vergleichbar viel Sorgfalt walten lassen! Daß es bei meiner Expedition regnete, war übrigens eine thematische Bereicherung.
 
Nett war auch die englischsprachige „Vorlesung“ der britischen Künstlerin Zoe Laughlin, die in ihrer chemo-physischen Showküche in einer der Hallen auf Kampnagel mit Headset, Beamer und einem widerborstigen Bunsenbrenner sowie anderem Zubehör zauberte und mixte, erhitzte und vereiste. Durchaus lehrreich und ganz sicher lustig. Es hatte allerdings nur sehr fern mit dem Oberthema „Wasser“ zu tun. Und der Kunstcharakter ihres Tuns ließ sich noch am ehesten im Programmheft ablesen, wo ihre Londoner Gastspiele in der Tate Modern und dem Victoria & Albert Museum herausgestrichen wurden. Offenbar macht die Tate mittlerweile auch in Kleinkunst.
 
Dichter am Wasser hielten sich rein verbale und informative Veranstaltungen wie die von “Viva con Agua“ (Brunnen für Afrika qua Mineralwasser für Deutschland) oder ein Gespräch mit dem Hamburger Versandhaus-König und Mäzen Michael Otto – ein Milliardär mit Manieren und Moral, wie es schien. Er hatte sein Ur-Erlebnis mit dem Wasser in Afrika, wo ganze Herden von Muttertieren solange die Geburt ihrer Kälber hinauszögern können, bis endlich der Regen kommt und sich die knochentrockene braune Erde innerhalb von ein paar Tagen in ein grünes Paradies verwandelt. Seine Stiftung schickt in Hamburg Viertklässler zu Besichtigungen von Wasserwerk und sogar Klärwerk, weil sich, wie er sagte, gerade in dem Alter und nur so eine „lebenslange Wertschätzung“ des lebensnotwendigen Elements herausbilden und setzen kann.
 
Aber wenn im Kampnagel-Kulturkerngeschäft Bühne das Stück „Big Bang“ des als Shooting-Star des französischen Theaters gepriesene Philippe Quesne das gutwillige Publikum im gutgefüllten Saal letztendlich nicht mehr bewegte und beeindruckte als ein überdurchschnittliches Kasperle-Theater, dann ist mir das ein wenig zu wenig. Kurzweilig darf Kunst gerne sein - aber Kurzweiligkeit allein macht noch keine Kunst.
Alles in allem eher mittel. Auch die Installationen auf Kampnagel – nicht wirklich richtig klasse. Oder wie Ballack nach einer eher durchschnittlichen Leistung sagt: „Es ist noch Luft nach oben“.
Alles, was das Programmheft wortreich und pointiert vorab beschrieb, habe ich dort tatsächlich auch gehört und gesehen. Aber kaum mehr. Nicht nur das Momentum Überraschung fehlte, sondern der eigentliche Sinn und Zweck der eigenen Anwesenheit: das Erlebnis. Das besondere Erlebnis – oder ist das etwa gehupft wie gesprungen?

Redaktion: Frank Becker