Schnittstelle zwischen Orient und Okzident

Hildesheim zeigt die Ausstellung „Zypern“

von Rainer K. Wick

© Verlag Philipp von Zabern
Hier wurde Aphrodite geboren
 
Hildesheim zeigt die Ausstellung
„Zypern“
 

Mit dem Slogan „Herzlichst, Zypern – die Insel für alle Jahreszeiten“ lockt die Cyprus Tourism Organisation seit geraumer Zeit gleichermaßen Sonnenanbeter, Wanderurlauber und Kulturbeflissene ins Land. Schnittstelle zwischen Orient und Okzident, war Zypern seit eh und je Spielball fremder Mächte. So kamen Ende des 8. Jh. v. Chr. die Assyrer, im 6. Jh. die Perser, im 4. Jh. die Makedonen, später die Römer, Byzantiner, Kreuzfahrer, Osmanen, Engländer. Seit Jahrzehnten Opfer einer tragischen Spaltung in einen türkischen Norden und einen griechischen Süden, rückt nun das traditionsreiche Roemer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim in einer hochkarätigen Ausstellung die spannende Kultur- und Kunstgeschichte dieser Insel in den Fokus der Aufmerksamkeit. Anhand von mehr als zweihundert Exponaten, zum überwiegenden Teil aus zyprischen Museen, wird die Entwicklung vom Neolithikum bis in die späte Römerzeit um 330 n. Chr. nachgezeichnet.
 
Die Schaumgeborene

Dabei nimmt der untrennbar mit der Mittelmeerinsel verbundene Mythos der aus dem Meeresschaum

Marmortorso der Aphrodite
Paphos, 1. Jh. v. Chr.
geborenen Aphrodite, der sich durch das berühmte Botticelli-Bild „Die Geburt der Venus“ tief in das kollektive Gedächtnis eingegraben hat, nur einen relativ bescheidenen und keineswegs den bedeutendsten Teil der Ausstellung ein. Dokumentiert wird er durch einen bei Paphos aus dem Mittelmeer geborgenen, leicht verschliffenen Marmortorso aus dem 1. Jh. v. Chr. in der klassischen Haltung der das nasse Haar auswringenden Göttin sowie durch einen Marmorkopf, einer römischen Kopie nach einem griechischen Original aus dem 4. Jh. v. Chr..
Daran, daß dieser Mythos mit einem uralten Fruchtbarkeitskult im Zusammenhang steht, erinnert die Tatsache, daß es sich – nach der Darstellung des griechischen Dichters Hesiod – bei dem Schaum um das letzte Sperma des Himmelsgottes Uranos handelte, dessen Genital von seinem Sohn Kronos abgetrennt und ins Meer geworfen worden war. Auf diesen zentralen Aspekt der Fruchtbarkeit verweist in der Ausstellung z.B. eine kleinformatige Statuette aus Terrakotta, die zwischen 1500 und 1200 v. Chr. geschaffen wurde. Dieses Artefakt von ganz eigentümlich archaischem Reiz betont Scham und Brüste und läßt keinen Zweifel daran, daß es eine Muttergottheit repräsentiert, wie sie zur damaligen Zeit ganz ähnlich als Astarte in Syrien und Phönizien verehrt wurde.

Handel und Wandel

Zahlreiche andere Exponate

Marmorkopf der Aphrodite, Salamis -
Römische Kopie nach einem griechischen
Original des 4. Jh. v. Chr.
bestätigen dies und legen anschaulich Zeugnis ab von den engen Beziehungen zwischen Zypern und seinen östlichen Nachbarn. In der Tat können die kulturellen Einflüsse, die aus dem Osten kommend auf die Mittelmeerinsel einwirkten und von dort in das griechische Kleinasien und nach Festlandsgriechenland gelangten, nicht hoch genug eingeschätzt werden. Insofern kommt Zypern im Altertum eine bedeutende Rolle als Kulturtransmitter zu, eine Rolle, die erst im Zuge umfangreicher archäologischer Kampagnen seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts immer deutlicher zutage treten konnte.
 
Grundlage dafür waren ausgedehnte Handelsbeziehungen mit dem Vorderen Orient und auch mit Ägypten. Ausgeführt wurden die begehrten, den Reichtum zyprischer Küstenstädte wie Kition und Salamis begründenden Rohstoffe Kupfer und Zinn – in der Ausstellung nicht nur durch Bronzegefäße und -figuren sowie durch Münzen belegt, sondern auch durch Miniaturbarren – , eingeführt wurden u.a. Schmuck und Glas aus Ägypten, Elfenbein aus der Levante und Ebenholz aus Afrika. (Kupfer, altgriechisch „kyprios“, war übrigens der Stoff, der Zypern im Altertum den Namen gegeben hat.) Die intensiven Seehandelskontakte hatten selbstverständlich Konsequenzen für die künstlerische Entwicklung der Insel selbst. So lassen sich, lange bevor auf Zypern eine durchgreifende Gräzisierung zunächst im Sinne der Archaik, dann der Klassik und des Hellenismus stattfand, Einflüsse aus der Kunst der Hethiter, Ägyptens und Mykenes feststellen, die gleichsam amalgamiert und in den eigenen Formenkanon integriert wurden.
 
Byzantinische Streiflichter

Die in dem vor zehn Jahren von dem Architektenteam Lindemann und Thamm errichteten,

Goldplakette mit Astarte
Palaepaphos-Skales, 1050-950 v. Chr.
großzügigen Neubau des Roemer- und Pelizaeus-Museums angenehm sachlich inszenierte Ausstellung bietet noch bis zum 12. September 2010 die seltene Gelegenheit, sich intensiv mit der Kunst des alten Zypern auseinanderzusetzen. Ergänzt wird die Ausstellung im Foyer des Museums durch eine sehenswerte Fotodokumentation byzantinischer Kirchen aus dem 11. und 12. Jahrhundert, die sich im zyprischen Troodos-Gebirge befinden und seit 1985 zum Weltkulturerbe der UNESCO zählen. Ihre Wandbildzyklen beziehen sich thematisch auf den Erzengel Michael. Damit wird geschickt eine Brücke geschlagen zu der vom Museum aus fußläufig erreichbaren großartigen ottonischen Basilika St. Michael, deren in diesem Jahr zelebrierte Tausendjahrfeier durch diese Fotoausstellung eine sinnvolle Ergänzung erfährt.
 
Zypern. Insel der Aphrodite
Roemer- und Pelizaeus-Museum, Hildesheim, bis 12.09.2010
Am Steine 1
31134 Hildesheim
05121 9369-0
 
Katalogbuch im Verlag Philipp von Zabern, 280 Seiten; 19,5 x 24,5 cm
ISBN 978-3-8053-4194-3, in der Ausstellung EUR 19,90, im Buchhandel EUR 29,90


 Fingerring, Gold - Enkomi, 1200-1050 v. Chr.

Redaktion: Frank Becker