Plauderstunde

Über das Glück, die Wahrheit gesagt zu bekommen

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Konrad Beikircher
Plauderstunde

Über das Glück, die Wahrheit gesagt zu bekommen

 

Ich habe Geige gelernt, ab meinem siebten Lebensjahr, und mit 20 war ich kurz davor, mein Psychologie-Studium abzubrechen, das heißt: erst gar nicht anzufangen und Profi-Geiger zu werden und das kam so: Als ich im Oktober 1965 nach Bonn kam, um Psychologie zu studieren, erlitt ich einen derartigen Sprachschock (ich verstand einfach kein Wort), daß ich auf der Stelle beschloß, mich auf die Aufnahmeprüfung an der Musikakademie in Wien vorzubereiten. Ich fiedelte also 4 Monate lang Paganini, Vieuxtemps, Bach und Fiorillo, zwischendurch immer mal wieder den leidigen Sevcik und sah mich schon auf den Podesten der Konzertwelt rasenden Applaus entgegennehmen, als ich die Idee hatte, einen Bozener Geiger in Düsseldorf zu besuchen, der dort bei Sandor Vegh die Meisterklasse besuchte. Ich spielte ihm mein ganzes Repertoire vor, und abends gingen wir in Düsseldorf in die Altstadt um uns zu erholen. Dort trafen wir beim legendären Hühner-Hugo Sandor Vegh und ein paar seiner Meisterschüler, setzten uns dazu, woraus ein gewaltiger Mulatschak wurde, wie die Ungarn sagen, bis gegen 4 Uhr früh. Vegh sagte mir: „Kommst Du um zehn, kannst Du mir fünf Minuten vorspielen, sag ich Dir Bescheid.“ Ich war auf der Stelle wieder nüchtern, so stolz war ich darüber und war natürlich punkt zehn Uhr zur Stelle. Ich packte meine Geige aus und fing natürlich direkt mit einem Capriccio von Niccolò Paganini an, Nr 19 E-Dur Le chiaccheratrici – die Schwätzerinnen. Ich hatte noch keine halbe Minute gespielt, da legte er seine Hand sanft auf meinen Arm, guckte mich an und sagte mir: „Wirst Du nicht Solist sein und wirst Du auch nicht Kammermusik spielen können. Aber kannst Du guter Geiger erstes Pult sein, no, Orchester vom Theater am Gärtnerplatz“. Ich war entsetzt! Theater am Gärtnerplatz! Operette! Zu Hause angekommen ließ ich die Geige ein paar Wochen links liegen bis ich langsam erkannte, wie dankbar ich diesem großen Musiker zu sein hatte und ich bin es bis heute: nicht, weil ich heute noch Geiger werden möchte - seien Sie froh, daß Ihnen das erspart geblieben ist - nein, weil mir da einer, dem ich glauben konnte, an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich in mein Unglück zu laufen bereit war, die Wahrheit gesagt hat.

Hören Sie lieber mal einen der ersten Geiger an – ich bin ein unglaublicher Fan von ihm und seinem ungeheuren Geigen-Ton – hören Sie sich gelegentlich Frank Peter Zimmermann mit der Sonate Nr. 2 für Violine solo von Eugène Ysaye an. Keiner spielt diese Sonaten so wie er, einmalig! Der erste Satz ist überschrieben mit: Obsession – weil er hier der E-Dur von Bach verfallen ist. Viel Vergnügen – Genuß eingeschlossen!
 
Ihr
Konrad Beikircher
 


© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker