Kreuzfahrt
Mertes: Nachdem also das Kirchendach von Brezthausen fertig war und der Denkmalschutz ebenso zufrieden war wie die Krähen am Turm, haben wir uns endlich einmal den verdienten Reiseurlaub genehmigt – man gönnt sich ja sonst nix.
Begleitung war nicht meine Frau, die hatte terminliche Unverträglichkeiten, obwohl sie sonst eine große Reisetante ist. Wir haben uns auch versprochen, zusammen zu den Maya und Inkaindianern zu fahren. Diesmal ging es aber die Donau hinunter, bist ins Delta erin, und mer hätt Gelegenheit gehabt, sogar fanatisierte Städte zu sehen wie Belgrad und Bukarest, die letztere allerdings mit Omnibusanfahrt.
Durch das ganz schlimme Vukovar fuhren wir aber nachts durch. Ein paar Reisende strahlten die Trümmer mit ihrer eigenen Feldlampe an, hat ewwe nix jebrach.
Der Ort am Delta hieß Vulkovo und fiel auf durch seine ausgedehnten Froschkolonien. Außerdem waren sie unten am singe, diese ukrainischen Gesänge, Mädcher in Tracht und so. Eine von den Stewardessen stammte aus der näheren Umgebung von Tschernobyl. Ich meen beobachtet zu haben, daß die anderen Stewardessen Abstand von ihr hielten.
Morgen geht’s dann mit Omnibussen nach Odessa, wo ein weiteres Schiff für uns an der Kette, sprich Anker liegt, dat is hochseetüchtig und bringt uns nach Sewastopol, wo unser schlechtes Gewissen bestimmt wieder freigelegt wird. Sieh Geschichtsbuch. Ewwe der Mensch muß da durch.
Wir sind dann zwei Tage später den Dnjepr raufgefahren mit Ziel Kiew. War landschaftlich ganz eindrucksvoll. Aber wir hatten jetzt am Tisch einen neuen Passagier, der sich durch sein unverhältnismäßiges Transpirieren auszeichnete. Aß auch so gut wie nix, ab und an en Zupp oder Borsch. Am Bier hatt er schon noch Spaß und kam leicht ins Verzelle… ewwe et woar nit alles so astrein, fand auch Miebes Gisela. Er war übrigens Bayer. Hatte den Rußlandfeldzug mitgemaht, und speziell an die Steppen des Dnjepr ganz klare Erinnerungen.
Im Frieden war er Friseur in Rosenheim. Wir mußten laache, denn wieso im Frieden? Haben wir jetzt etwa Krieg? Er meente ja. Unser Freund, er hieß Paul, kam meistens nur zum Abendessen an den Tisch, er aß ja auch so gut wie nix, er trank Bier und war am Schwitzen und tät sich dann entschuldige. Und war am Verzelle über die Schützengräben in der Steppe, und über die goldenen Kuppeln von Kiew, die man als Fata Morgana zu sehen bekam.
Am letzten Abend tät er sich dann entschuldigen, er hätt uns die ganze Zeit über einen Bären aufgebunden mit dem Friseur, er wär in Wirklichkeit Arzt gewesen, und zwar Chefarzt an der Herzklinik in Rosenheim, nur leider schon länger nicht mehr in Amt und Würden, weil er selber herzkrank wär. Ich glaub eher, daß der Mann an seinem Bierkonsum gescheitert is.
An unserem Tisch ist dann noch lange gestritten worden, ob der Paul Friseur oder Herzchirurg gewesen sein soll, und wir haben sogar Wetten abgeschlossen.
Wir haben einen Briefwechsel mit der Klinik geführt, aber die haben nix verraten, nur eine Todesanzeige haben wir von dem Bruder bekommen, und da hieß es nur, im Himmel ist mehr Freude über einen Sünder, der heimkehrt, als über hundert Gerechte, die berufsmäßig die Klinken putzen.
Wie willste daraus schlau werden?
Kiew hat uns den Mann dann auch allmählich vergessen lassen und wir haben viele schöne Eindrücke gespeichert.
© Horst Wolf Müller - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker
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