Manchmal schreibt man ein Buch zweimal

Eine Fußball-Reise nach Afrika

von Hermann Schulz

Foto © Frank Becker
Manchmal
schreibt man ein Buch zweimal
 
Der Autor Hermann Schulz
über eine Fußball-Reise nach Afrika
 

Heute können Sie in den Musenblättern Jürgen Kastens einfühlsame Besprechung des neuen Jugendromans von Hermann Schulz "Nelson & Mandela" lesen. Zur Begleitung berichtet Hermann Schulz selbst über das Entstehen seines Buches:

"A
uf meinen Reisen habe ich immer Motive und Geschichten gefunden, die ich gar nicht gesucht hatte. Manchmal verkriechen sich Erlebnisse jahrelang, um sich im richtigen Augenblick zu Wort zu melden.
2002 besuchte ich am Victoriasee in Tansania ein befreundetes Ehepaar. Gerade waren ihnen Zwillinge geboren worden und zwar am 9. Mai. Weil an einem 9. Mai Nelson Mandela zum ersten schwarzen Präsidenten von Südafrika gewählt wurde, nannten die Eltern voller Stolz das kleine Mädchen Mandela und den Sohn Nelson. Der fußballbegeisterte Vater schwärmte davon, sein kleiner Nelson würde vielleicht eines Tages ein großer Spieler werden. „Vielleicht Mandela ja auch“, warf ich ein und es gab ein freundliches Gelächter.
 
Da ahnte ich noch nicht, daß ich ein paar Jahre später ein Buch über Fußball in Afrika schreiben und die beiden, Mandela und Nelson, zu Hauptpersonen in einer Mannschaft machen würde. Obwohl Fußball nicht gerade zu den Themen gehört, die mich besonders interessieren, meldete sich die Geschichte Anfang 2007 aus geheimnisvollen Tiefen, und ich begann mit den Aufzeichnungen. Da war mir noch nicht bekannt, daß die Fußball-WM 2010 in Südafrika stattfinden würde. Diese Nachricht beflügelte mich dann aber nicht unerheblich und ich schrieb die Geschichte von „Mandela und Nelson“ bis zum Sommer 2008 nieder. Was ich mir da ausgedacht hatte, befriedigte mich ganz und gar nicht. Was wußte ich schon vom Leben der Jugendlichen in Afrika? Selbst das Thema Fußball war mir ziemlich neu und ich mußte mir von meinem zehnjährigen Enkel Nicki Rudloff Unterricht geben lassen. Aber auch das reichte nicht, um mich zufriedenzustellen. Was da auf meinem Papier stand, war hölzern, blutleer und „ausgedacht“. Wenn schon der Autor nicht zufrieden ist: Wie würden erst die Leser reagieren?
Da traf ich im August 2008 in Ahlen/Westfalen einen alten Freund wieder: den tansanischen Pantomimen und Trommellehrer Nkwabi Ngangasamala. Ich erzählte ihm von meinem Buchplan und meinen Bauchschmerzen. „Hör mal, mein Freund! Wenn ich Infos brauche über eure Jugendlichen: Darf ich dir meine Fragen über E-Mail schicken?“ „Natürlich!“, sagte er hilfsbereit, „jederzeit. Aber…“, er zögerte und grinste, „aber besser wäre es natürlich, du könntest mal für ein paar Tage zu uns kommen. Da kriegst du doch einen viel besseren Eindruck!“
 
In dem Augenblick, in diesem Restaurant in Ahlen, bekam der Plan für mich ein ganz neues Gewicht. Ich sagte zu, unter der Bedingung, daß er mich in seiner Heimatstadt Bagamoyo (ein Hafen am Indischen Ozean) begleiten würde. Ohne ihn, seine Persönlichkeit und seine Übersetzerdienste, würde ich nicht in wenigen Tagen die Türen zu den Jugendlichen öffnen können. „Aber klar! Laß mich wissen, wann du kommst, dann nehme ich ein paar Tage Urlaub.“
 
Man kann nun nicht für jedes Buch eine halbe Weltreise machen! Ich hatte noch einen guten Grund, die Anstrengung und die Kosten auf mich zu nehmen: Ich schrieb gleichzeitig an einem Roman, der 1938 in Dar es Salam spielt. Bei Gelegenheit dieser Reise würde ich endlich in Ruhe die Altstadt von Dar kennen lernen, die Orte des Geschehens, die ich nur aus der Phantasie entwickelt hatte. Auch fehlte mir, trotz aller Bemühungen, ein Stadtplan von Dar es Salam aus der Zeit der Engländer in den 30er Jahren.
Gemeinsam mit der WDR-Journalistin Sabine Jaeger ging die Reise los, unsere Unterkunft in Bagamoyo war, wie schon bei früheren Besuchen, das freundliche Travellers Lodge. Freund Nkwabi hatte unseren Besuch bestens vorbereitet. Wir besuchten zunächst ein paar Schulen, trafen den Gründer des Fußballclubs („Saadani Social and Sport Club“) Maeda Haji, den recht verwahrlosten Fußballplatz und strichen durch die Gegend. Sabine Jaeger fand sofort Wege zu den Herzen der Kinder und führte, manchmal mit, manchmal ohne Übersetzer, umwerfende Gespräche, die sie auf Band aufnahm. Als erfahrene Journalistin wußte wie genau, wonach sie suchte; ich selbst nahm einfach Eindrücke auf: Kinderarbeit am Strand, Bettler, Heimkehr der Fischer, Boote aus Sansibar, den Fußballplatz ohne Linien oder Tornetze. Die Jugendlichen und Kinder, Jungen und Mädchen, spielten leidenschaftlich, wenn auch meist mit selbstgemachten Bällen, barfuß oder mit zerlumpten Turnschuhen. Begeistert nahmen sie die drei Fußbälle entgegen, die ich mitgebracht hatte, und setzten, uns zu Ehren, ein Spiel an. Maeda Haji überrumpelte mich völlig, als er mich aufforderte, nach dem Ende des Spiels, vor allen Spielern und Zuschauern auf, ein Gebet zu sprechen. „Sind das Katholiken? Muslime? Protestanten?“, fragte ich ihn flüsternd. Er grinste: „Von allem etwas! Bete so, daß es für alle paßt! Auch für die Heiden!“
Als Kind einer Missionarsfamilie schüttelte ich natürlich ein Gebet aus dem Ärmel, gelernt ist gelernt! Und ich erntete heftigen Applaus. Für mich war es eine neue Erfahrung, daß man nach einem guten Gebet Beifall kassiert.
 
Natürlich machte ich mir in diesen Tagen Notizen. Ohne einen Übersetzer allerdings wäre der Ertrag mager gewesen. So konnte ich den Jungen am Strand fragen, wieviel er verdient, warum er arbeiten muß; einen anderen, was er mit dem riesigen Tintenenfisch machen wird, dem er die Tinte aus dem Leib prügelte, warum die (blinde) Lehrerin drei Jungen mit dem Stock ein paar Schläge auf die Hand verabreichte. Ebenso wichtig waren atmosphärische Eindrücke; die Leidenschaft der Kinder, ihr Humor, ihr Umgehen miteinander, ihr Phantasiereichtum - und ihre Bedürftigkeit natürlich auch.
 
Ich wollte kein Buch über die Armut in Afrika schreiben (darüber lesen wir täglich in den Zeitungen), sondern über die Heiterkeit, das Zusammenleben, die Kreativität, den Umgang von Jung und Alt miteinander; über alle das, was stärker ist als alle Mißstände und Afrika so liebenswert und reich macht. Und sich von unserer wohlorganisierten, plangeschliffenen Wohlstandsgesellschaft so sehr unterscheidet.
Meine Geschichte bekam durch die Erlebnisse in Bagamoyo eine ganz neue Sprache, neue Farben und lebendige Details. Diesen Reichtum haben mir Afrika und seine Menschen geliefert! Während des Schreibens lächelte ich immer wieder in Gedanken an Gesichter, Grimassen, Gelächter, heitere Begegnungen und die vielen unerwarteten Tanzschritte – auch während eines Fußballspiels.
Das Buch „Mandela und Nelson“ erscheint Mitte Februar im Carlsen- Verlag. Auslandsausgaben sind schon vor Erscheinen unter Dach und Fach, Verhandlungen über einen Film laufen gerade. Für den WDR fertigte ich eine Hörspielfassung an, die im Juni gesendet und vom NDR und dem HR übernommen wird. Als Hörbuch erscheint „Mandela und Nelson“ im Verlag Hörcompany Anfang März 2010. Sabine Jaeger überzeugte den WDR davon, daß eine solche Recherchereise mit einem Schriftsteller nach Afrika ein spannendes Thema ist – und schrieb das Feature „Geschichten fallen nicht vom Himmel. Unterwegs mit dem Schriftsteller Hermann Schulz in Afrika“. Es wird eine Woche vor der Hörspielausstrahlung gesendet werden.
Maeda Haji fragte mich beim Abschied bescheiden, ob wir nicht ein bißchen Hilfe aus Deutschland organisieren könnten. Neue Bälle und Trikots zum Beispiel, und damit die Mannschaft nicht länger per Anhalter zu Auswärtsspielen fahren muß. Sabine Jaeger organisierte den Kontakt zum Fan-Club BVB International; schon bald nach der ersten Begegnung ging eine große Sendung mit Sportartikeln nach Bagamoyo auf die Reise. Eine richtige Partnerschaft kam zustande. Der Ahlener Fußballclub zog nach."
(Wer sich an diesem liebenswerten Hilfsprojekt beteiligen möchte, kann die Kontaktadresse über den Autor bekommen: schulz-hermann@t-online.de )

"Nelson & Mandela" kommt am 15. Februar in die Buchläden.
 
Hermann Schulz, geboren 1938 in Ostafrika, leitete von 1967 bis 2001 den Wuppertaler Peter Hammer Verlag. Seit 1998 erscheinen seine Romane, Sachbücher und Kinderbücher, meist im Carlsen-Verlag.