Musikstunde

Über Wilhelm Friedemann Bach, die GEZ, das Finanzamt und Guillaume de Machaut

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Konrad Beikircher
Musikstunde

Über Wilhelm Friedemann Bach, die GEZ,
das Finanzamt und Guillaume de Machaut


Liebe Musenblätter-Freunde,
 
haben Sie sich am Wochenende auch so richtig schön eingeigelt, Musik gehört und geschmökert? Das war doch ein ideales Wetter dafür!
 Heute möchte ich Ihnen mal in meiner Musikstunde etwas über einen Komponisten erzählen, der zeitlebens im Schatten seines übermächtigen Herrn Papa gestanden hat: Wilhelm Friedemann Bach.
Wilhelm Friedemann Bach war Johann Sebastians Ältester, was ihm die Dinge nicht gerade leichter gemacht hat. Am 22. November 1710 in Weimar geboren starb er nach bewegtem Leben am 1. Juli 1784 in Berlin. Was hat er aus diesen 74 Jahren gemacht? Nachdem sein Vater dem zehnjährigen Friedemännchen das „Klavierbüchlein“ zusammengestellt hatte, legte der sich ins Zeug (wer möchte nicht seinen Vater auf eigenem Felde schlagen?) und war bereits mit 23 bestallter Organist an der Silbermann-Orgel der Sophienkirche in Dresden. Da hatte er nicht viel zu tun, also komponierte er schon mal was weg, damit er was auf der Notenbank hatte (tatsächlich stammen die meisten seiner Instrumentalwerke aus dieser Dresdener Zeit). Am 16. April 1746 kündigte er, nachdem er am selben Tag den Vertrag mit der Liebfrauenkirche in Halle unterschrieben hatte. Also schon ein etwas keckes Vorgehen, sagen wir mal: eigenwillig. In Halle blieb er bis zu seinem sechzigsten Lebensjahr, nachdem er schon 1764 den Hallensern den ganzen Bettel vor die Füße geworfen hatte. Mit bißchen Unterricht und ab und an ein Konzert geben fristete er sich und seine Familie durch, siedelte im April 1771 nach Braunschweig über, um von dort im April 1774 nach Berlin zu ziehen, wo er wie gesagt am 1. Juli 1784 verstarb.

In den letzten 14 Jahren seines Lebens nagte er überwiegend am Bettelstab (um einen berühmten Versprecher zu zitieren), was nicht schön ist, was aber auch daran lag, daß er lieber freischaffender Künstler war als sich zu verbiegen, was wiederum schön ist. Scherz beiseite: W. Friedemann Bach hat einiges komponiert, noch mehr aber improvisiert. Er war der geniale Improvisator seiner Zeit, wie übereinstimmend seine Zeitgenossen berichten. In der hohen Kunst der Improvisation soll er sogar seinem Vater überlegen gewesen sein. Was wunder, daß er lieber einfach drauf los spielte, statt sich hinzusetzen und Noten zu pinseln. Er hat aber obendrein das Pech gehabt, in der falschen Zeit leben zu müssen. Er sah sich nicht so sehr als Musikbeamter wie sein Bruder Philipp Emanuel, ihm schwebte freies Künstlertum vor, eine Idee, der man aber erst im Sturm und Drang langsam näher kam (Sie erinnern sich: Stichwort ‘Originalgenie’). So war er seiner Zeit so weit voraus, daß er an ihr scheitern mußte. Schade. Er hätte nur 40 - 50 Jahre warten müssen, dann wäre alles bestens gelaufen. So aber mußte zur Unterstützung der Witwe nach seinem Tode Händels Messias zu ihren Gunsten aufgeführt werden, was sicher auch schön war und ein hübsches Licht auf die Hilfsbereitschaft jener Zeit wirft.
 
Bleibt noch zu berichten, daß Friedrich Schiller von der GEZ einen Einschreibebrief erhalten hat, er möge doch bitte die Gebühren bezahlen, das ist der Else Lasker-Schüler in Wuppertal aber auch passiert, da war es ein Einschreibebrief vom Finanzamt;
daß Lukas Beikircher eine vielbeachtete Aufführung der Verismo Oper „Adriana Lecouvreur“ von Andrea Cilea in Bonn dirigiert hat, und weil er mein Neffe ist, freut mich das natürlich besonders;
daß die Stadt Essen mit dem Rausschmiß des Intendanten der Philharmonie, Michael Kaufmann, eine grandiose Fehlentscheidung getroffen hat, ist bekannt, darf denen aber ruhig im Kulturhauptstadtjahr 2010 noch mal aufs Brot geschmiert werden, war er doch derjenige, der mit grandiosen Programmen Essen europaweit erst mal ins Gespräch gebracht hat;
daß es für das Haus der Frau von Stein in Weimar jetzt vielleicht doch noch eine Rettung gibt – es soll möglicherweise zu einer Akademie für Stipendiaten werden, was eine tolle Lösung wäre und
daß es auf dem Merkur einen Krater gibt, der hundert Kilometer Durchmesser hat und nach dem Komponisten Guillaume de Machaut benannt ist. Falls Sie jetzt nicht direkt wissen, wer das ist: Sie sind in bester Gesellschaft. Ich habe nachgeguckt und in meinem Lieblingslexikon von Ernst Ludwig Gerber, im „Lexikon der Tonkünstler“ aus dem Jahre 1813 den genialen Satz gefunden:
„Machaut (Guillaume de) – gehört zu den ältesten Kontrapunktisten, indem seine Lebenszeit um das Jahr 1350 fällt“.!
Über diesen Gebrauch des Wörtchens ‚indem’ freut sich sicherlich auch Marcel Reich-Ranicki, dem ich hier noch mal herzlich zu seiner Preisablehnungsannahme gratulieren möchte!
 
Noch einen schönen Eis-Januar wünscht Ihnen
Ihr
Konrad Beikircher


© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker