Wintergedanken eines Gärtners

Ein Foto von Karl-Heinz Krauskopf zu einem Text

von Karel Capek

Der Gärtner von Mas St. Michel - Foto © Karl-Heinz Krauskopf
Wintergedanken
eines Gärtners


Jedes Jahr pflegen wir zu sagen, daß die Natur ihren Winterschlaf antrete.
Du lieber Gott, das soll Schlaf sein? ...
Man sollte lieber sagen, die Natur habe aufgehört, nach oben zu wachsen, weil
dafür nicht die Zeit ist. Sie setzt nämlich alle Kraft dafür ein, nach unten zu wachsen.
Dort entstehen die neuen Sprosse; in diesen unsichtbaren Bereichen drängt das kommende Leben hervor, unter der Erde wird das große Programm des Frühlings geschrieben.

Jetzt, wo der Garten von Schnee bedeckt ist,  erinnert sich der Gärtner mit einem Male, daß er eines vernachlässigt hat: den Garten anzuschauen. Er hat dazu ja nie die Zeit gehabt. Wollte er im Sommer die Blüte des Enzians betrachten, mußte er unterwegs innehalten, um vom Rasen Unkraut zu zupfen. Wollte er sich an der Schönheit des Rittersporns erfreuen, hatte er genug damit zu tun, ihn anzubinden. Leuchteten die Feuerblumen auf ihrem Stengel, mußten woanders die Quecken gejätet werden.
Immer gab es etwas zu tun. Wollt ihr ihm das vorwerfen? Kann man denn mit den Händen in den Taschen im Garten stehen und Maulaffen feilhalten?
 
Karel Capek