Zu Erde sollst Du werden

von Horst Wolf Müller

Foto © emaier / Pixelio
Zu Erde sollst du werden
 
 
Mertes: Ich hab mir die beiden Bestattungsunternehmen genau angeschaut, Erna, oder sagen wir, ich hab mir einen ersten Eindruck verschafft, aber et is außerordentlich schwierig, einem von den beiden den Zuschlag zu geben.
 
Et sind beides alt eingesessene Unternehmen und davon kommt auch die Standortwahl, dat sich beide gegenüberliegen, in Sichtweite, in derselben Straße. Dat sich zwei Bäcker nebeneinander etablieren, dat is ja heutzutage nix Besonderes mehr, auch zwei Schuhreparaturbetriebe schreiten Seit an Seit und haben genug zu tun, Cafés halten enge Nachbarschaft, beide bieten Lattemachiato und diese Neuheiten. Wenn die es alle schaffen, warum dann nicht auch zwei Bestatter?
Ich hab mit den Inhabern gesprochen über ihre Geschäftsauffassung, besser gesagt, von der inneren Linie, davon sprach jedenfalls der Ochtendung. Wir sind ein alter Familienbetrieb, immer krisenfest gewesen, weil wir auch immer zu unseren Leitmotiven stehen. Hier zum Beispiel ein Spruch, den wir immer wieder unseren Kunden angeboten haben. „Ich bin nicht tot, ich tausche nur die Räume; ich leb in euch und geh durch eure Träume.“ Dann hett er da in seinem Showroom einen alten Reisekoffer stehen, aus der Zeit von Christian Andersen, und ne alte Aktentasche aus der Zeit des großen Börsenkrachs. In dem Koffer liegt ein großes beschriebenes Blatt, da steht ein Spruch von Horaz, seine Werke und Aussagen würden ihn quasi überleben, und was kann man mehr verlangen. Ewwe, et ist nit jeder ein Horaz, hab ich ihm entgegnet.
Meine Großmutter lebt durch ihre Sprüche weiter. Zum Beispiel sagte sie immer: „Es geht den Leuten wie den Menschen.“ Wer einmal gelebt hat, meint dieser Ochtendung, hinterläßt unweigerlich seine Spuren.
 
Glauben Sie dat auch? frag ich den Inhaber des anderen Unternehmens, den Herrn Puchtler. Immerhin haben Sie in Ihrem Schaufenster Fotos von den Pyramiden stehen, und Hügelgräber. Man könnte fast den Verdacht haben, dat Sie den Seelen Unterschlupf bieten möchten. Unbewußt, Herr Mertes, höchstens unbewußt. Es scheint doch ein Unterschied zu sein, ob man sich als Hinscheidender gewisse Hoffnungen macht, oder wenigstens Hoffnungen vorgesetzt bekommt, oder ob man gesagt bekommt, lebe gefälligst in deinen Werken und Briefen weiter. Sagt mir der Puchtler, und solang du das nicht hast, dieses Stirb und Werde, bist du nur ein trüber Gast undsoweiter. Wat meint der Mann mit Werde?
 
Jedenfalls nicht die indische Vorstellung von Wiedergeburt. Sie werden auch keine indischen Symbole in meinen Schauräumen finden. Wohl aber Mumien, halte ich ihm entgegen. Aber wer sich in dem Zustand befindet, wie diese konservierten Pharaos und Heiligen, dürfte sich wenig Hoffnung machen, an der Auferstehung des Fleisches teilzunehmen. Als wäre es vielleicht besser, sich gar kein Bildnis und Gleichnis zu machen von dem, was unter der Erde ist.
Tu ich auch nicht. Ich sag lediglich, schaut euch an, mit welchem grandiosen Aufwand die Menschen ihren Abgang institutionalisiert haben. Die Erde wird als eine sehr feststehende Behausung erlebt, dabei rast sie wie ein Karussellpferd durch den Weltraum. Alles scheint etwas anderes zu sein, als was es ist. Ich sage zu ihm, das klingt nach Volkshochschule. Ist es auch, sagt Puchtler. Da müssen Sie als Bestatter ein paar Kurse belegen. Die Leute kommen zu Ihnen mit einer großen Erwartungshaltung und mit großem Trostbedürfnis. Und wir sind keine Totengräber, die etwas Überflüssiges verscharren.
Was sagen Sie zu der Philosophie Ihres Konkurrenten auf der anderen Straßenseite? Das ist doch mein Schwager. Hat den selben Umsatz wie ich. Ah, daher!
 
 
© Horst Wolf Müller – Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2009
Redaktion: Frank Becker