‚Onkel und Tante, ja das sind Verwandte…’

Ute-Christiane Hauenschild - "Rideamus. Die Lebensgeschichte des Fritz Olivén"

von Dorothea Renckhoff
‚Onkel und Tante, ja das sind Verwandte…
 
Neu erschienen: eine Biographie über Rideamus,
den Autor des ‚Vetter aus Dingsda’
 
 
Die ‚Machtergreifung’ der Nationalsozialisten in Deutschland bedeutete neben vielem anderen auch den Anfang vom Ende der Gattung Operette. Sie trieben ihr den Witz aus, die Anzüglichkeiten, die modernen Rhythmen von jenseits des Ozeans, kurz: alles, was ihnen als ’entartet’ galt. Und vor allem: sie trieben die Librettisten aus dem Land, nach 1938 auch aus der ‚Ostmark’ - wenn sie sie nicht umbrachten. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland und Österreich keinen einzigen jener Könner mehr, deren Bücher das Fundament von Operettenwelterfolgen wie ‚Ein Walzertraum’, ‚Im weißen Rössl’ oder ‚Die lustige Witwe’ gebildet hatten - denn mit einer Ausnahme waren sie alle Juden gewesen. Nach 1945 waren sie in alle Winde verstreut - oder tot.
 
Nur, weil Adolf Hitler nicht auf den Genuß seiner Lieblingsoperette (‚Die lustige Witwe’) verzichten wollte - und weil man sonst überhaupt keine neueren Operetten mehr hätte spielen können - blieb die Aufführung der Werke von jüdischen Textdichtern gestattet, vorausgesetzt, der Komponist war ‚arisch’ - und die Librettisten blieben ungenannt. Selbstverständlich wurden ihnen die anfallenden Tantiemen nicht ins Exil oder gar ins KZ überwiesen.
Die Geschichte dieser Autoren ist noch nicht geschrieben, die Biographien sind zum großen Teil nur spärlich dokumentiert. Vielfach werden in Nachschlagewerken sogar Sterbedaten und -orte unterschiedlich angegeben, mancher Tod im Lager wird verschwiegen, und wenig ist zu erfahren über Lebensumstände und Problematik des Exils.
 
So füllt Ute-Christiane Hauenschild mit ihrer Biographie des promovierten Berliner Juristen Fritz Olivén eine Lücke, denn er war unter dem programmatischen Pseudonym Rideamus (‚Laßt uns lachen!’) einer dieser Publikumslieblinge, die das deutsche Publikum dann so schnell und dauerhaft vergaß. Die Autorin hat Kontakt zu Olivéns jüngsten Sohn Klaus in Brasilien aufgenommen und mit Hilfe des inzwischen 91-jährigen viele der Leerstellen schließen können, die den Freunden des Textdichters bisher Rätsel aufgaben.
Hauenschild begleitet Fritz Olivén von der Geburt 1874 in Breslau durch seine Jugendjahre in Berlin und die Studienzeit, wobei sie sich im Wesentlichen auf die eigenen Erinnerungen des Humoristen ‚Die Geschichte eines heiteren Lebens’ stützt, immer jedoch in dem Bemühen, den Hintergrund der Zeitumstände lebendig zu machen.
 
Etwas simpel gestrickt erscheint ihre Schilderung der Berliner Kunst- und Kulturszene von 1900, in die hinein Ernst von Wolzogen sein anfänglich so erfolgreiches ‚Überbrettl’ baute, eine Art von literarischem Kabarett, wo Rideamus mit eigenen Texten erste Erfolge feierte und zum ersten Mal mit dem Komponisten Oscar Straus zusammenarbeitete, mit dem er wenige Jahre später die Offenbach-Operette neu zu beleben suchte: ‚Die lustigen Nibelungen’ parodiert  eine bekannte Vorlage unter deutlichen Bezügen auf die Gesellschaft der Gegenwart. Siegfried tritt mit zwei jungen Drachen an der Leine auf - in der Uraufführung von zwei Dackeln dargestellt - den Waisen des von ihm erschlagenen Drachen. Der Nibelungenschatz ruht nicht im Rhein, sondern bei der Rheinischen Bank, die leider im Laufe des Abends bankrott macht… was dem Helden letztlich das Leben rettet. Beim Verrat von Siegfrieds einziger Schwachstelle - die Rideamus vom Rücken etwas tiefer unter den Hosenbund hat rutschen lassen - findet der Verfasser zu den unsterblichen Versen: ‚Von vorne, von vorne/Da ist er ganz von Horne,/Und stark wie’n Riese, ach!/Von hinten, von hinten/kann man ihn überwinden,/Von hinten ist er schwach!’
‚Die lustigen Nibelungen’ schienen als geistreiche Reformoperette die Bühnen erobern zu wollen - bis deutschnationale Studentenverbindungen der ‚Verhöhnung des herrlichsten Eigens’ deutscher Kultur ganz handgreiflich den Kampf ansagten und kein Theater mehr eine Aufführung wagte. Heute taucht das Werk wieder immer häufiger in den Spielplänen auf.
 
Neben seinen Arbeiten als Librettist veröffentlichte Rideamus eine Vielzahl von Büchern mit humoristischen Gedichten, von denen ‚Willis Werdegang’ mit einer Auflage von rund 100.000 wohl das erfolgreichste war. Seinen größten Bühnenerfolg erzielte er 1921 zusammen mit Eduard Künneke in dem bis heute als Publikumsmagnet tauglichen ‚Vetter aus Dingsda’. Viel zitiert daraus die Zeilen ‚Onkel und Tante,/Ja das sind Verwandte,/Die man am liebsten nur von hinten sieht…’ Die Revue ‚Drunter und drüber’ mit Musik von Walter Kollo dagegen ist vergessen - bis auf ein Lied, dessen Text aus der Feder von Rideamus noch heute jedem Berliner das Wasser in die Augen treibt: ‚So lang noch untern Linden/ Die alten Bäume blühn/Kann nichts uns überwinden,/Berlin bleibt doch Berlin!’
Berlin blieb nicht Berlin, die Nationalsozialisten ergriffen die Macht, und Rideamus erhielt wie viele andere Berufsverbot. Hauenschild schildert die für ihn und seine Familie mageren Jahre, den nach den Pogromen von 1938 gefaßten Entschluß zur Auswanderung und die lebensbedrohlichen Probleme, bis Olivén mit den Seinen im brasilianischen Porto Alegre eine neue Heimat gefunden hatte. Eine Heimat, in der der geistreiche Humorist zwar kein Schreibverbot mehr hatte, aber nicht  in der Sprache publizieren konnte, die er so witzig beherrschte.
 
Ein eigenes Kapitel ist Olivéns Arbeit im Vorstand der GEMA gewidmet. Vermutlich ist es dieser Tätigkeit zu verdanken, daß die GEMA-Stiftung die Publikation finanziell unterstützt hat. Das Buch enthält eine Bibliographie, ein Verzeichnis von Rideamus’ Uraufführungen, Literaturverzeichnis und ausführliche Anmerkungen, vor allem aber ein reiches Bildmaterial - sowohl Privat- als auch Szenenfotos und Buchillustrationen - das den grundsätzlich eher schlichten Erzählmodus der Autorin bei weitem aufwiegt. Kurz: das kleine Buch füllt eine große Lücke.
 
 
Ute-Christiane Hauenschild -  Rideamus. Die Lebensgeschichte des Fritz Olivén.
© 2009 Hentrich & Hentrich, Berlin und Teetz - 286 Seiten, 107 meist farbige Abbildungen. ISBN 978-3-938485-92-7
19,80 €

Weitere Informationen unter: www.hentrichhentrich.de