Verbrannte Erde

Markus Dietz inszeniert in Bochum „Eine Familie“ (Osage County) von Tracy Letts

von Frank Becker
Verbrannte Erde
 
Markus Dietz inszeniert in Bochum „Eine Familie“
(Osage County) von Tracy Letts
(Deutsch von Anna Opel)
 


Regie
: Markus Dietz – Bühne: Mayke Hegger – Kostüme: Ines Nadler – Musik: Ole Schmidt – Video: Oliver Iserloh - Licht: Andreas Bartsch – Fotos: Matthias Horn
Besetzung: Heiner Stadelmann (Beverly Weston) – Mechthild Großmann (Violet Weston) – Katja Uffelmann (Barbara Fordham) – Stefan Schießleder (Bill Fordham) – Marina Frenk (Jean Fordham) – Christine Schönfeld (Ivy Weston) – Tessa Mittelstaedt (Karen Weston) – Manuela Alphons (Mattie Fae Aiken) – Thomas Anzenhofer (Charlie Aiken) – Oliver Möller (Little Charles Aiken) – Neda Rahmanian (Johnna Monevata) – Bernd Rademacher (Steve Heidebrecht) – Alexander Maria Schmidt (Sheriff Deon Gilbeau)

Premiere am 1.11.2009
 
All-American Drama
 
Mayke Heggers Bühne läßt auf drei Ebenen einen offenen Blick in die Räume des Hauses von

Stadelmann, Großmann - Foto © Matthias Horn
Beverly Weston (Heiner Stadelmann) zu, mit dessen erhellendem Monolog gegenüber der künftigen Hausangestellten Johnna (Neda Rahmanian) ein Stück beginnt, das in einer weit umfassenden Gebärde nahezu alle Probleme, Konfliktstoffe und Klischees des US-amerikanischen Dramas der letzten 70 Jahre transportiert. Eine ganze Menge Virginia Woolf und ein bißchen Lorca sind auch dabei. Es scheint, als wolle der für dieses Stück Pulitzerpreis-gekrönte Autor sagen: „Schaut her, hab ich alles gelesen...“. Da fehlt wirklich nichts: Alkoholismus (stilecht mit Jim Beam), Tablettensucht, Haschisch-Konsum, Ehebruch und -scheidung, das Lolita-Syndrom, verbotene Geschwisterliebe und selbst das Indianer-Problem – pardon: Ureinwohner Amerikas, ist noch mit hinein gepreßt worden. Es muß schwer fallen, ein Ensemble von 13 Darstellern da hindurch zu lavieren, ohne Schiffbruch zu erleiden. Unterstützt durch intelligent eingesetzte Video-Einspielungen und Musik und dank eines überwiegend hervorragenden Ensembles ist Markus Dietz das mit Bravour gelungen.
 
Solo für Stadelmann
 

Stadelmann - Foto © Matthias Horn
Gehen wir noch einmal auf Anfang: Heiner Stadelmann brilliert als Beverly Weston Whisky trinkend („Meine Frau nimmt Tabletten und ich trinke.“) mit einem siebenminütigen lakonischen Solo in der Eröffnung des amerikanischen Reigens, bevor seine krebskranke, tablettenabhängige Frau Violet (Mechthild Großmann) röhrend die Szene betritt. Stadelmanns starker, kurzer Auftritt genügt, ihn als Charakter bis zum Ende des über dreieinhalbstündigen Zweiakters in Erinnerung zu behalten. Er wird nicht wiederkommen, denn Weston stirbt durch Suizid, ist jedoch hinter der Szene omnipräsent. Ein darstellerisches Meisterstück. Die Intensität seiner Person übernimmt von da an Mechthild Großmann als zwar kranke, doch deshalb nicht minder boshafte und starke Frau, die rücksichtslos nicht nur Beverlys Verschwinden zu ihrem Vorteil nutzt, sondern in der Folge den Samen des Hasses unter ihren Angehörigen ausstreut, die nach und nach eintreffen, um erst den Vater zu suchen, ihn dann zu beerdigen und zu betrauern.


Urgewalt Großmann
 
Großmann ist eine Urgewalt mit Mut zur Häßlichkeit, ihre Violet ein hartherziger zerstörerischer Sturm, der berechnend durch das morsche Geäst des Familienstammbaums fährt. Wo sie den Raum betritt, ist für andere kaum noch Platz zum Atmen. Sie wagt und gewinnt in der Gratwanderung zwischen

Schönfeld, Uffelmann - Foto © Matthias Horn
Burleske und Tragödie. Nicht zufällig ähnelt die Tafel des Leichenschmauses Leonardos "Das letzte Abendmahl".
Manuela Alphons steht ihr als dominante, zynische jüngere Schwester Mattie Fae kaum nach. Daß die beiden ein erschütterndes Geheimnis verbindet und zugleich trennt, wird sich gegen Ende erweisen. Dietz hat mit diesen beiden Frauen die Mütter-Generation brillant besetzt. Als unmittelbares Gegenüber im eskalierenden Streit der Generationen hat er die Rolle der nervösen, schnell aufgebrachten und zur augenblicklichen Hysterie neigenden Tochter Barbara mit Katja Uffelmann beinahe schmerzlich gut ausgestattet. Diese von ihrem Mann für eine Jüngere verlassene und mit einer Hasch rauchenden aufbegehrenden 14-jährigen Tochter geschlagene Nervensäge tut ihren Teil, um die Familie zu zerstören. Sie nervt bis in die hintersten Ränge des Theaters und wird dafür ebenso wie Großmann mit Jubel belohnt.
 
Schimmernde Blüte: Tessa Mittelstaedt
 
Ihre Schwestern könnten unterschiedlicher kaum sein: da ist die ständigem Spott der Mutter ausgesetzte, unverheiratet gebliebene Ivy (Christine Schönfeld), die ein heimliches Verhältnis mit ihrem weit jüngeren Vetter Little Charles (Oliver Möller) hat. Daß beide Halbgeschwister sind, was

Mittelstaedt, Großmann, Schönfeld, Alphons, Möller, Anzenhofer - Foto © M. Horn
natürlich irgendwann auf den Tisch kommt, gehört zum Klischee-Rundumschlag des Stückes. Auch Schönfeld füllt ihre Rolle genau richtig in Understatement und trotzigem Aufbegehren aus. Schwester Nr. 3 ist eine schimmernde Blüte inmitten der inneren und äußeren Häßlichkeit des Familienkonflikts: Karen Weston (Tessa Mittelstaedt): erfolgreich, schön, elegant, heiter – und sie glaubt, will glauben, daß sie mit Steve (schmierig charaktervoll: Bernd Rademacher) glücklich ist. Ihr sensibles Spiel im Strudel der sich überschlagenden Ereignisse zeigt alle Facetten zwischen Unbeschwertheit, Euphorie und Trauer, Leichtgläubigkeit, Besorgnis und herausplatzender Heiterkeit. Der Zorn über die Erkenntnis, daß ihr Steve ganz offensichtlich den 14-jährigen Satansbraten Jean verführen wollte, trifft nicht ihn, sondern den Rest der Familie. Tessa Mittelstaedt glänzt in der Eloquenz eines bedauernswerten, betrogenen Geschöpfs, das sich – wie stets - an seine Hoffnungen klammert.
 
Betrogen sind sie alle
 
Betrogen sind sie unterm Strich alle: um wirkliche Liebe, um Treue - denn fast jeder hintergeht hier jeden - es ist die ewige Geschichte des „American dream“, der sich letztlich als „American nightmare“ entpuppt.

Schießleder, Frenk, Uffelmann, Rademacher, Mittelstaedt, Großmann - Foto © Matthias Horn

Als stiller Geist (hier bemüht Tracy Letts die indianische Mystik) begleitet die Hausangestellte Johnna, eine Cheyenne (Neda Rahmanian), die Szene. Nur einmal greift sie ein, als es gilt, das Mädchen Jean vor dem Mißbrauch durch Steve zu schützen. Sich hier mit einigermaßen „Anstand“ aus der Affäre zu ziehen, gelingt am ehesten dem duldsamen Charlie (Thomas Anzenhofer). Dem reißt zum Vergnügen des Publikums gründlich der Geduldsfaden. Ansonsten: Beverly hat den direkten Weg in den Tod gesucht, um sich all dem zu entziehen, der farblose Bill Forham (Stefan Schießleder) tritt den geordneten Rückzug an, Steve kann sich von Karen streitbar und betulich umhüllt sehen, und Violet triumphiert zwar nicht über ihre unheilbare Krankheit, aber zynisch über jede einzelne ihrer Töchter, die sie ausspielt, erniedrigt, erhebt und schließlich endgültig vernichtet. Daß sie auch die mittelbare Schuld am Tod ihres Mannes trägt, läßt sie kalt. Sie hinterläßt verbrannte Erde.

Ein großer Erfolg, vom Publikum mit 15-minütigem Applaus gefeiert, mit dem das Bochumer Theater nicht zuletzt durch hochkarätige Gäste eine echte Perle in seine leicht angeschlagene Krone fügen kann.
 
Weitere Informationen unter: www.schauspielhausbochum.de