Röntgenbilder - oder der schwarze Scharfblick

Text der Rede zur Ausstellung von Hans Joachim Uthke im Wilhelm-Fabry-Museum Hilden ab 03.10.09

von Johannes Vesper

Röntgenbild eines Computer-Spezialisten
© Hans Joachim Uthke
Röntgenbilder
oder der schwarze Scharfblick
 
Text der Rede zur Ausstellung von H.J. Uthke
im Wilhelm-Fabry-Museum Hilden am 03.10.09

Von Dr. med. Johannes Vesper
 
 
In Vorbereitung der Eröffnung dieser Ausstellung „Röntgenbilder“ besuchte ich H.J. Uthke in seinem Atelier in Haan. Er kam gerade aus Hilden, wo er mit Kindern gearbeitet und ihnen gezeigt hat, wie gezeichnet und gedruckt wird. Über herumliegenden Druckvorlagen und Drucken erklärte der Künstler, daß bei der  Drucktechnik die Kinder ja seitenverkehrt schreiben und zeichnen müssen, damit  Schrift und Bild auf dem Druck richtig erscheinen. Das fällt  zunächst nicht leicht. Seitenverkehrtes Denken ist also bei der Druckgraphik, bei Steindruck oder  Kupferstich und den entsprechenden Zeichnungen nötig. H.J. Uthke ist ein Meister dieser Techniken. Das ist kein Zufall. Seitenverkehrtes Denken, sozusagen reines Querdenken ist charakteristisch und typisch für den  Zeichner, Aphoristiker und Satiriker H.J. Uthke
 
Beim Thema  „Röntgen“ und „Kunst“ denkt man heute vorschnell an die Untersuchung von Kunstwerken mittels Röntgenstrahlen. Röntgenstrahlen führen bekanntlich zu Bildern, die dem normalen  Auge verborgen bleiben. Die zerstörungsfreie Untersuchung von Gemälden und Bildern ist mittels Röntgenstrahlen gut möglich. Aber darum geht es diesmal nicht. Die Ausstellung „Röntgenbilder“ von H.J. Uthke im Wilhelm-Fabry-Museum Hilden verleitet dazu, hier an diesem Ort weitere und andere Zusammenhänge zwischen Bildkunst und Radiologie aufzuspüren.
 
Während das Röntgenbild ein sehr modernes Verfahren der Bildgebung in der Medizin ist, kann der

Denk Wellen - © Hans Joachim Uthke
Namensgeber dieses Museums und Sohn der Stadt Hilden, Wilhelm Fabry  (1560-1634), einer der ersten wissenschaftlichen, europäischen Anatomen, als ein Erfinder der Bildgebung in der Medizin überhaupt bezeichnet werden. Zum Ausstellungsthema gibt es hier im Bergischen Land  einen weiteren, regionalen Zusammenhang: immerhin wurde Konrad Röntgen, der 1895 die nach ihm benannten Strahlen entdeckte und dafür 1901 den Nobelpreis für Physik und zwar den 1. Nobelpreis überhaupt erhielt, in Lennep geboren, wo er allerdings nur die ersten 3 Jahre seines Lebens verbracht hat. Im 1932 in Lennep eingerichteten, sehr sehenswerten Deutschen Röntgenmuseum wird nicht nur der Lebenslauf Konrad Röntgens sondern auch die Entwicklung der Radiologie sehr gut dargestellt. Der Besuch lohnt. Hans Joachim Uthke wurde zwar nicht im Bergischen Land geboren, lebt und arbeitet aber seit vielen Jahren in Hilden und Haan.
  
Bei den hier ausgestellten Bildern handelt es sich nicht um Zeichnungen, Steindrucke oder  Kupferstiche sondern um Collagen, also um Kunstwerke, welche durch Aufkleben verschiedener Elemente entstehen. Für diese Collagen benutzte H.J. Uthke Röntgenfilme, durch deren Auflage das für unseren Künstler an sich charakteristische zeichnerische Element flächig ergänzt wird. 
Röntgenfilme sind heutzutage eigentlich nicht mehr in Gebrauch. Bei der modernen Röntgentechnik wird digital geröntgt, also kein Film mehr belichtet und entwickelt. Das  Speichermedium für digitale Röntgenbilder ist die CD, die aber für unseren Künstler und sein Thema nicht so brauchbar ist, da auf ihr ja nicht nur Röntgenbilder gespeichert werden sondern alles mögliche, und sie außerdem auch nicht durchsichtig ist wie der dunkle Röntgenfilm, der für den schwarzen radiologischen Scharfblick dieser Ausstellung steht.   
 
Normalerweise macht sich über die Bedeutung von Röntgenbildern der Arzt Gedanken. Für die Interpretation von Röntgenbildern benötigt man in der Medizin einen Spezialisten, also einen Röntgenarzt, der ganztags scharfen Auges im abgedunkelten Raum auf schwarz-weiße Röntgen-bilder schaut, ständig in sein Diktiergerät murmelt, aber darüber hinaus kaum spricht.
Auch bei der zeitgenössischen Kunst gibt es Tendenzen, sich zu einem Gebiet für Spezialisten zu entwickeln. Sind wir, die Betrachter, also gut beraten, wenn wir entsprechend dem Hinweis auf dem Waschzettel von Arzneimitteln („Fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker“) jetzt auch im Umgang mit moderner Kunst den Spezialisten befragen?
Müssen Kunstwerke interpretiert werden? Gibt es überhaupt einen Inhalt oder einen Gehalt von Kunstwerken? „ Es gibt gewisse Geheimnisse, gewisse Mysterien in meinen Werken, die ich nicht einmal ich selbst verstehe, noch versuche, sie zu verstehen. Wenn das Mysterium fehlt, fehlt auch die Poesie, die Eigenschaft, die ich vor allem in der Kunst schätze.“ (Georges Braque). Kunst ist sinnfrei und reines Erleben, erregt die Seele und das Gemüt. Das weiß jeder Kunstliebhaber. Und man muß natürlich weder Arzt noch Apotheker oder gar den Kunstsachverständigen fragen bei der Betrachtung dieser Röntgen-Collagen. Bei den hier ausgestellten Collagen von H.J. Uthke bietet sich dem Betrachter eine durch das Röntgenbild verfremdete Sicht auf die Dinge des Alltags und das in verschiedener Hinsicht.

Valse molto lento, Röntgenbild eines Musikers
© Hans Joachim Uthke
 
So wie das Röntgenbild das Innere des Patienten erhellt und sichtbar macht, so macht uns Hans Joachim Uthke andere Zusammenhänge klar: Bekanntlich ist die Raucherlunge schwarz. Darüber gibt das medizinische Röntgenbild Aufschluß. In Uthkes Collage stellt sich aber die bunte Raucherlunge in veränderter Optik dar, nämlich als ein Plakat mit Zigarettenschachteln hinter einem Röntgenfilm und der Betrachter, vor allem der Kettenraucher unter den Betrachtern, merkt betroffen, daß die Raucherlunge kein unbeeinflußbares Schicksal zu sein scheint.
 
Der Barcode – diese große Erfindung-  weist einen weiteren regionalen Bezug zum Bergischen Land auf. Er  wurde bei der Wuppertaler Gewürzmühle Wichartz  am 01. Juli 1977 erstmalig auf Gewürztüten geklebt und verbreitete sich anschließend rasant über die ganze Welt. Er ist für Scanner lesbar, und die Ware kann damit eindeutig gekennzeichnet werden. Mit Hilfe des Barcodes oder Strichcodes optimiert man heute Transportlogistik, Lagerhaltung und Produktionsprozesse. Das Röntgenbild zeigt sinnigerweise einen Fuß. Tatsächlich steht und fällt mit dem Barcode die industrielle Effizienz, und beim Blick auf Uthkes Röntgenbild kann der gedankliche Bezug zur Medizin und ihrer aktuellen Industrialisierung schnell hergestellt werden.
 
„Wir reisen all in einem Zug“, das tiefsinnige Gedicht von Erich Kästner wird beim Röntgen-Blick auf das Hüftgelenk mit erheblich fortgeschrittenen Verschleiß satirisch reduziert auf unser  voraussehbares Schicksal, bei zunehmendem Alter ein neues Hüftgelenk zu benötigen. Kurzum! TEP!
Das Röntgenbild des Musikers ist eher das Röntgenbild eines Musikstücks, welches in der Ausstellung zu hören auch kein Fehler wäre.


Das innere Gefüge ist wichtig! - © Hans Joachim Uthke
 
Röntgenbilder der Gesellschaft (ohne Worte): Hier zeigt uns das große Kreuz, daß wir alle unser Kreuz tragen und irgendwo abladen. Hier wird das Kreuz sichtbar, unter dem man leidet. Normalerweise erlebt man sein Kreuz, sein Unglück oder seine Krankheit direkt und leidet unmittelbar unter Beziehungsstress, Mobbing und Sorge um den Arbeitsplatz. Die betrachtende Distanz in der Ausstellung ist jedenfalls vergnüglicher, als sein Kreuz direkt zu tragen. Und die gesellschaftliche Realität, daß der große den kleinen (Fisch) frißt, ist perfekt dargestellt.   
 
Die deutsche Frau  im gebärfähigen Alter bringt statistisch durchschnittlich  knapp 1,5 Kinder zur Welt. Das Röntgenbild der typisch deutschen Großfamilie 2009 zeigt uns aber die tatsächlichen Verhältnisse. Hier fehlen selbst die eineinhalb Kinder des Durchschnitts. Natürlich ist die aus niedriger Geburtenrate resultierende demographische Entwicklung bedrohlich. Durch fehlende Kinder und ein langes Leben sind wir angekettet an Probleme, die kaum lösbar scheinen. Die schwere Kette zwischen dunklen Blöcken über uns läßt die Bedrohung ahnen.
 
Die Röntgenbilder von Hans Joachim Uthke erhellen mit schwarzem Scharfblick gesellschaftliche Bedingungen und Zusammenhänge. Sie sind sozusagen zeichnerische Aphorismen. Der aphoristische Urvater Georg Christoph Lichtenberg aus Göttingen (1742-1799) meinte, es gebe Leute, die glauben, alles sei vernünftig, was man mit einem ernsthaften Gesicht tue. Das glauben wir nicht. Und H.J. Uthke tut nichts mit ernstem Gesicht. 
 

© 2009 Johannes Vesper
 
Wer mehr über und von H. J. Uthke  erfahren will, der sei verwiesen auf das Online-Kulturmagazin www.musenblaetter.de
Dr. med. Johannes Vesper ist niedergelassener Internist in Wuppertal.
Informationen zur Ausstellung und zum Museum unter: www.wilhelm-fabry-museum.de

Redaktion: Frank Becker