Die Insel der Götter (1)

Bericht von einer freundlichen Insel - Taiwan (ROC)

von Frank Becker

Im Longshan-Tempel - Foto © Frank Becker
Die Insel der Götter (1)
 
Reisebericht von einer freundlichen Insel:
Taiwan
(Republic of China)
 


Taipeh/Taiwan, September 2009. Man betet zu vielen Göttern in Taiwan, dessen etwa 23 Millionen Einwohner zu über 90 % Buddhisten, Taoisten und Konfuzianer sind. Man ist äußerst liberal, läßt alle Religionen nebeneinander gelten, ja sogar, wie z.B. im weltoffenen Longshan Tempel im Herzen Taipehs, unter einem Dach ihr Gebet verrichten. Hier vereinigt Religion die Menschen. Eine der wichtigen traditionellen Gottheiten ist Mazu, die Göttin der Meerenge zwischen dem chinesischen Festland und der Insel Taiwan. Ihr Einfluß ist noch heute groß, denn trotz aller westlichen Aufgeklärtheit des modernen Staates und der dynamischen technischen und wirtschaftlichen Entwicklung im Lande verläßt man sich gerne auf die hergebrachten Werte. Mit ihr, besser: mit einem Buch, in dem sie und ihre beiden Leibwächter „Hört wie der Wind so schnell“ und „Sieht tausend Stunden weit“ eine bedeutende Rolle spielen, begann meine Reise nach Taiwan im September.

Im Longshan-Tempel - Foto © Frank Becker
 
Die in Taichung/Taiwan geborene, jetzt in Deutschland lebende Autorin und Regisseurin Jade Y. Chen gibt in ihrem autobiographischen Roman „Die Insel der Göttin“ Mazu einen angemessen wichtigen Platz. Am Beispiel und Schicksal ihrer eigenen Familie erzählt sie sehr dicht und hautnah die Geschichte Taiwans, von der japanischen Besetzung bis zur heutigen „Republic of China“. Auf dem 12-stündigen Flug von Frankfurt nach Taipeh, das im Lande selbst Taipei heißt, schaffte ich den größten Teil dieses spannenden Tatsachenromans, der fesselnde Rest versöhnte mich mit dem noch längeren Rückweg. Ich kann jedem Reisenden, der nach Taiwan möchte, nur empfehlen, zuvor dieses Buch zu lesen. Er wird Land und Leute mit einem besseren Blick und tieferem Verständnis betrachten und erleben.
 
Taipeh/Taipei
 
Wer sich Taipei nähert, ob vom Flughafen kommend oder aus einer beliebigen anderen Richtung, wird
 
Foto © Frank Becker
schon aus größerer Distanz das Wahrzeichen im Zentrum nicht übersehen können, es ist der „Taipei 101“, das derzeit noch höchste fertiggestellte Gebäude der Welt – und der ganze Stolz der Stadt. Mit 509 Metern Höhe, optisch einem Schachtelhalm ähnelnd, in seiner Struktur einem Bambus nachempfunden und mit einer 660 Tonnen schweren Stahlkugel zum Schwingungsausgleich ausgestattet, ist der Bau ein architektonisches Meisterwerk. Die Stadt um ihn herum ist eine brodelnde Metropole, deren Puls man Tag und Nacht zu spüren glaubt, ein urbaner Organismus, der mit jedem Herzschlag wächst, sich ausdehnt. Innerstädtische Autobahnsysteme bilden an Knotenpunkten bis zu vier Etagen hohe, verwirrende Verteilerkreuze, doch zur Rush Hour reichen diese Abertausende von Autos in die Metropole pumpenden Schlagadern kaum noch aus. 2,6 Millionen Menschen leben dicht bei dicht, die Straßen sind überwiegend schmal, und aus der Not, wenig Platz für Autos zu haben, sind die Menschen – übrigens auch in den anderen großen Städten des Landes – Motorroller-Fahrer geworden, die es in punkto Eleganz und Wendigkeit jederzeit mit den italienischen Vespa-Piloten aufnehmen können. Es ist für den fremden Gast jedes Mal ein ungeteiltes Vergnügen, an der Ampel den allgegenwärtigen Pulk von „Scootern“ bei dem einem aufgeregten Bienenschwarm ähnlichen Start zu beobachten. Eine Million dieser kleinen Flitzer sind allein in Taipei registriert. Meist sitzt nur Fahrer/Fahrerin auf dem Roller, man sieht aber auch ganze Familien, Waren- oder Hundetransporte. Das gehört zum Alltag. Ein weiteres, sehr sinnreiches Kuriosum sind die Verkehrsampeln in Taipei, die dem Fußgänger durch ein herunter

Der Schwarm - Foto © Frank Becker
zählendes Zahlen-Feld und ein grünes Männchen, das sein Schritt-Tempo mit ablaufender Zeit erhöht, die verbleibende Zeit zum Überqueren der verkehrsreichen Straßen anzeigt. Nähert es sich der Null rennt es – und das ist auch dem Fußgänger zu empfehlen!
 
MRT und Bus
 
Die zweite Lösung zur Bewältigung der Mobilitätsprobleme ist das öffentliche Transportsystem. Buslinien durchziehen in dichtem Netz die Metropole, unter der Erde und überirdisch als Hochbahn auf Stelzen sorgt die effektive und preiswerte U-Bahn MRT (Mass Rapid Transport) bis in die Vororte und nahegelegnen Nachbarstädte für schnelle und akkurate Verbindung. Als Fremder die richtige Bahn oder den richtigen Bus zu erwischen ist problemlos: alle Verkehrsmittel, ebenso die Hinweisschilder an Straßen und die Straßennamen sind zusätzlich englisch beschriftet. Zur Bequemlichkeit des Reisenden gehören auch die 5.000 Taxen, die den Gast zu Tarifen befördern, zu denen man hierzulande nicht mal einen Busfahrschein kaufen könnte. Wer im Land reisen und weitere Strecken zurücklegen möchte, beispielsweise von Taipei im Norden über Taichung im Westen nach Kaohsiung im Süden, hat mit dem neuen Hochgeschwindigkeitszug 700 T ein mustergültiges

So oder so: Schirm nicht vergessen! - Foto © Frank Becker
Verkehrsmittel, das ihn mit 300 km/h in 1 ½ Stunden von Taipei nach Kaohsiung bringt.
 
Taipei 101
 
Doch bleiben wir dieses Mal im Norden und schauen uns ein wenig in der Hauptstadt, der verkehrstechnisch angeschlossenen wichtigen Hafenstadt Keelung und dem Badeort Yilan um. Unverzichtbar ist natürlich ein Besuch des eingangs erwähnten nicht nur durch seine Optik sehenswerten „Taipei 101“. Mit 60 km/h Aufstiegs-Geschwindigkeit bringt uns einer der 67 Aufzüge in knapp 40 Sekunden hinauf zur Aussichtsetage im 89 von 101 Stockwerken. Der Blick an klaren Tagen über Taipeh bis zum Meer und zum Hinterland ist atemberaubend. Im Gebäude und im Untergeschoß, in das auch eine MRT-Station integriert ist, finden sich diverse Restaurants und elegante Einkaufs-Zentren, natürlich klimatisiert, wie nahezu alle öffentlichen Gebäude, Hotels, Verkehrsmittel. Denn das ist bei den klimatischen Bedingungen der Region nicht nur für den Besucher aus gemäßigten Zonen unverzichtbar. Auf bis zu gut 36º C feuchter Hitze steigen Anfang September die Temperaturen am Tag, in der Nacht kühlen sie sich, zumal im Schmelztiegel der Städte nicht wesentlich ab. Wer sich zu Fuß im Strom der Menschen bewegt, ist gut beraten es den Taiwanerrinnen nachzutun: stets einen Regenschirm mitzuführen, er schützt gegen die erbarmungslose Sonne ebenso wie gegen plötzliche

CKS Memorial Hall - Foto © Frank Becker
Monsunschauer.
 
CKS Memorial Hall
 
Ein weiteres Wahrzeichen Taipeis ist die Gedenkstätte für Tschiang Kai Schek (Chiang Kai-shek), den General, Militärdiktator und ersten Präsidenten der Republik China (Taiwan). Die „CKS Memorial Hall“ ist , an ein altchinesisches kaiserliches Mausoleum erinnernd, ein grandioses Denkmal der Fortführung kaiserlicher Pracht des alten China unter neuen Vorzeichen. Man kann historische Ausstellungsstücke wie Urkunden und Dokumente, Fotografien, Uniformen und die Staatskarossen des Diktators sehen – und ihn selbst als lebensgroße und sehr lebensnahe Wachsfigur in seinem nachgestellten Arbeitszimmer. Wer

Wachablösung - Foto © Frank Becker
militärisches Zeremoniell und Gepränge liebt, kann vor der gigantischen Statue Chiang Kai-sheks, deren Präsentation eine verblüffende Nähe zum Lincoln Memorial in Washington, D.C. aufweist, zu jeder vollen Stunde die einem martialischen Ballett gleichende operettenhaft inszenierte Wachablösung der Ehrengarde beobachten. Auslassen sollte man dieses interessante und mit seiner archaischen Architektur bildschöne Monument auf keinen Fall, erzählt es doch sehr viel über die Hintergründe und Vergangenheitdes heute freien und modernen Staates.
 
National Palace Museum
 
Wer in der Geschichte noch weiter zurück gehen möchte, kann das mit Besuchen in mehreren hervorragenden Museen in Taipei tun. Das National (Imperial) Palace Museum präsentiert chinesische Kunstgeschichte auf höchstem Niveau mit kostbarsten Ausstellungsstücken aus der Geschichte der sakralen und profanen Kunst des Mutterlandes China, die beim Rückzug der Kuomintang 1949 auf die Insel Taiwan als beanspruchtes nationales Kulturgut aus Peking mitgenommen wurden. Die frühen Bronzen, erlesenen Porzellane, überwältigend schönen Stein- und Jadeschnitzereien (denken wir nur an den zweifarbigen Kohl mit Insekten aus der Ch´ing Dynastie), die Lackarbeiten, Kalligraphien und Tuschmalereien aus allen Epochen sind vielleicht die schönsten

Buddha - National Palace Museum
Foto © Frank Becker
Stücke ihrer Art weltweit. Unmittelbare Ruhe vermitteln
beeindruckende Buddha-Statuen, Terrakotta-Pferde aus der T´ang Dynastie, sogar Möbelstücke aus der Ch´ing-Zeit sind in der Sammlung vertreten – eine Schatzkammer! Mit MRT und Bus kommt man bequem zu dem großzügig angelegten Museumsgelände im Norden Taipeis, zu dem auch ein wunderschöner Park ein Restaurant und ein beliebtes Teehaus gehören. Führungen in allen wichtigen Sprachen helfen auch dem nicht vorbereiteten Besucher, den künstlerischen Rang und historischen Wert der Exponate zu erkennen und zu würdigen. Man sollte durchaus wenigstens einen halben Tag für das National Palace Museum einplanen. Es lohnt.
Ein weiteres Museum stelle ich in gebotener Kürze vor. Das National Museum of History im Stadtzentrum, ganz in der Nähe der CKS Memorial Hall und direkt mit dem MRT zu erreichen, bietet ebenfalls Kunstwerke aus der chinesischen, aber auch taiwanischen Kultur- und Kunstgeschichte, dazu Ausstellungsstücke zur Volkskunst und Geschichte Taiwans. Als kompakter Überblick bietet sich diese permanente Ausstellung besonders für Reisende an, die sich einen griffigen Eindruck verschaffen möchten.

Informationen finden Sie hier:


© 2009 Frank Becker
Lesen Sie morgen hier den zweiten Teil der Taiwan-Reportage