VIVO! Vivat Anna! Wenn Stille hörbar wird…

Die vielleicht beste Netrebko aller Zeiten - gehört und bewundert

von Peter Bilsing

Anna Netrebko - Foto © Paul Leclaire
VIVO! Vivat Anna!
Wenn Stille hörbar wird…
 
Die vielleicht beste Netrebko aller Zeiten
 
Galakonzert im Rahmen der Ruhrtriennale in der Jahrhunderthalle am 13.9.2009
 
Das große „NRW-Mega-Event“ war angesagt, und alle kamen um den großen Star zu sehen und zu hören: Minister, Landesfürsten, ordinäre Politiker, Künstler, Prominente, Landadel, Halbseidene, echte Schauspieler sowie Stars und Sternchen und noch viel mehr; vor allem aber auch viel normales Publikum. Selbst Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hatte es sich nicht nehmen lassen und war dem Schlafwagen des „Fernsehduells“ seiner Bundeskanzlerin mit dem Schaffner Steinmeyer entsprungen. Daß die teuerste Karte gerade einmal 100 Euro kostete, machte die Veranstaltung zum ehrlichen Sonderangebot. Und als alle beseligt nach Hause gingen, hätte man die prachtvolle Lokalität gerne in „Jahrtausendhalle“ umgetauft, denn vielen war klar, daß sie in den nächsten Hunderten von Jahren womöglich kaum je wieder eine Opern-Diva auf diesem Niveau und für das Geld zu hören bekommen würden. Ein Hochgenuß für Ohr und Aug.
 
Netrebko schlägt ihr Publikum in Bann

Natürlich ist die Netrebko (noch) keine Primadonna Assoluta, also jemand der alles singen kann, wie die Callas, aber sie ist durchaus auf dem Weg dahin. Und wie sie sich am Sonntag präsentierte, mit einer verblüffenden neuen Ruhe, Reife, Gelassenheit und Fraulichkeit, läßt ganz Großes für die Zukunft erwarten. Selten hat man das Duett „Va! Je t´ai perdonne…“ schöner gehört. Da sitzen alle Spitzentöne perfekt – nichts wirkt evoziert, überanstrengt oder forciert. Und beim Rezitativ und Arie der Lucia „Regnava nel silenzio“ da steht sie ganz dicht bei der Himmelspforte zur legendären Gruberova. Später werden wir atemlos ihrem „Mi chiamano Mimi…“ lauschen, wo sie den großen Bogen ansatzlos zu Größen wie Freni oder Tebaldi schlägt. Daß sie den jugendlichen Sektor auch noch beherrscht, kam im Duett Gilda/Duce „Signor ne principe…“ heute wie zu Beginn ihrer grandiosen Karriere perfekt zur Geltung. Was für eine Mega-Stimme! Und sie füllt die riesige Fabrikhalle mit einer Phrasierung, einer Leichtigkeit des Seins jeder Note und geradezu den Herzstillstand provozierender Tragfähigkeit, daß dem Publikum dieses einmaligen Ereignisses die Luft wegbleibt. Die sprichwörtliche Nadel hätte man fallen hören können, keiner bewegte sich, und

Massimo Giordano, Anna Netrebko - Foto © Paul Leclaire
zwischen den Tönen wurde plötzlich tatsächlich die Stille hörbar. Ich habe noch in keinem Opernhaus bisher ein derart in den Bann gezogenes Publikum erlebt.
 
Phänomenale Ausstrahlung

Ähnlich der seligen Callas fasziniert die gereifte Anna Netrebko durch ihre nachgerade phänomenale Ausstrahlung. Davon profitiert sie und hat ihr Publikum schon in der Tasche bevor sie auch nur einen Ton gesungen hat - in den wenigen Sekunden nämlich, in denen sie quasi aus ihrer eigenen Haut fahrend, in die jeweilige Rolle schlüpft. Das geschieht durch ein keckes nach hinten Werfen der Haare (Gilda) oder durch kurze stille Einkehr (Lucia) – die Netrebko scheint dann ein Chamäleon zu sein. Sie singt sie nicht nur, sie ist die jeweilige Protagonistin, als sähen wir sie im Szenenbild der jeweiligen Oper. Auch die große Show am Ende, mit der sie augenscheinlich wirklich nur noch der Erwartungshaltung ihres Publikums Tribut zollt, ist ruhiger, einfach einfühlsamer geworden. Die Lippen küssen inniger; es ist jetzt eher jener „bacio ancora…“ eines Otello zum Abschied und Ausklang und Dank ans Publikum.
 
Mit Massimo Giordano hatte man einen jungen Begleit-Tenor gewählt, der körperlich und stimmlich zu ihr paßte und der sich in die Rahmenbedingungen eines Superstarabends nahtlos einzufügen imstande war. Darstellerisch tadellos. Und im Finale „La Boheme“ entstand praktisch die ganze Oper ohne Kostüme und Bühnenbild allein durch die phantastische schauspielerische Leistung der beiden Musiktheaterhelden. Grandios!
 
Duisburger Philharmoniker unter Villaume auf Scala-Niveau

Daß die Duisburger Philharmoniker mittlerweile ein tolles Orchester sind, ist mir als Hauskritiker der Rheinoper schon lange bewußt, daß sie sich aber auch so bewundernswert und in quasi

Emmanuel Villaume, A. Netrebko, M. Giordano - Foto © Paul Leclaire
internationaler Liga makellos an großem Orte präsentieren können, wußten sicherlich nur wenige Opernfans. Nun hatte man mit Emmanuel Villaume, dem bevorzugten Haus- und Plattendirigenten der Netrebko, natürlich auch einen prachtvollen Taktschläger (der Begriff ist hier nicht, wie z.B. bei Herrn Justus Franz kritisch gemeint!), sondern damit ist mehr seine wuchtige Art zu dirigieren treffend bildhaft dargestellt. Die Duisburger spielten auf höchstem Niveau eine geradezu verblüffend akkurate und im Tempo überschwenglich lebendige Nabucco-Ouvertüre, und auch das Intermezzo aus Puccinis „Manon“ hatte den nötigen Schmelz und exakt jenes Rubato, was uns diese Musik so herzergreifend verinnerlichen läßt. Das war Scala-Niveau. Bravi!
 
Es war kein 5-, sondern ein wirklicher 6-Sterne Abend! Wobei ich den Zusatzstern auch für das Ambiente gebe, denn es hat sich gezeigt, daß entsprechende Künstler vorausgesetzt, die alten Industriedenkmäler schon zu sehr stimmungsvollen Kulturtempeln gerieren können. Einer jener Abende, den man lange und innig im Herzen tragen wird.

Redaktion: Frank Becker