Äthiopien (5)

Tagebuch einer Reise durch ein Land voller Geschichte und Gegensätze: Berge, Gondar, Tana-See und Blauer Nil

von Johannes Vesper

Simien-Gebirge - Foto © Johannes Vesper
Abschied von einer
fremden Welt:
Berge
Gondar
Tana-See



Sonntag, den 15.03.09
Wecken um 4:30 Uhr. Im Dunklen starten wir und verlassen über eine staubige Piste die kaum erwachte Stadt. Der Mond hat einen Staubhof und im mächtigen weißen Straßenstaub (kein Nebel), ziehen einige unbeleuchtete Eselskarren ihrer Wege. Nicht ungefährlich. Am späten Vormittag bei inzwischen strahlender Sonne kurven wir in weiten Serpentinen die staubige, rote Piste hinab in das Tal des Flusses Tekezze, der nach Westen fließt und nur in der Regenzeit den sudanesischen Nil erreicht, ansonsten in der Trockenheit versickert. Südlich sieht man schon das Simien-Gebirge mit dem gewaltigen Massiv des 4554 hohen Ras Dashem. Bald erreichen wir eine Siedlung aus stroh- und wellblechbedeckten Steinhäuseln und Hütten. Hier wurden Flüchtlinge aus Eritrea angesiedelt.

Relikt des Befreiungskrieges Eritreas - Foto © Johannes Vesper
Immerhin führt über einige Kilometer eine Wasserleitung entlang unserer Piste zu dem Flüchtlingsdorf.
 
Immer wieder stehen rostige Panzer im Gelände, Überbleibsel aus dem Befreiungskrieg Eritreas gegen Mengistu, der 1991 nach Simbabwe geflohen ist. Seit dem Referendum von 1993 ist Eritrea ein selbständiger Staat. Mittagspause in Adi Ar Kay. In diesem größeren Dorf drängten sich zahllose Menschen auf der Straße, Jugendliche spielen wie überall in Äthiopien Tischfußball und als die beiden Überlandbusse ankommen, ist das Gewimmel wirklich unübersichtlich. Es gibt kaum ein intaktes Haus unter den Wellblechdächern, aber dank unserer Fahrer finden wir den Weg in eine Bauruine, wo im 1. Stock tatsächlich Tische und Stühle stehen.
Ein grandioser Blick ergibt sich bei nicht vorhandenem Dach vom 2. Stock der Baustelle. Kameldung auf dem heißen Blechdach und  Satellitenschüsseln für den Fernsehempfang glänzen in der gleißenden Sonne vor dem gewaltigen Simiengebirge. Wahrlich ein symbolträchtiges Bild! Injera,  Wot und das gekühlte Mineralwasser stärken und erfrischen die Reisenden, für die das Gekurve

Gewitterwolken über dem Wolkefit-Paß -
Foto © Johannes Vesper
durch die grandiose Gebirgslandschaft zunehmend belastend ist.
 
Vor dem Wolkefit-Paß veranlaßt uns eine Affenherde in der Felswand unmittelbar neben der Straße zu einer kleinen Pause. Jetzt entlädt sich aus dunklen Wolken ein Gewitter. Wieder auf der Hochlandebene wird die Fahrt bequemer. Kleine Teepause in Dabat. Unser Senior aber erbricht mehrfach, hängt schweißnaß im Sicherheitsgurt und reagiert kaum auf unter 1000 Augen der Straße verabreichte Medizin, sodaß wir uns entschließen, ihn ohne weitere Pause im Liegen direkt zum Hotel nach Gondar zu fahren, während die Gruppe noch ein kleines Falashendorf an der Bundesstraße 3 besucht. In Gondar gibt es eine medizinische Hochschule, sodaß weitere medizinische Hilfe möglich wäre. Immerhin ist unser Senior 86 Jahre alt.      
 
Montag, den 16.03.09  in Gondar.
Bei strahlender Früh-Sonne Visite im Zimmer des Erkrankten. Dem geht es besser. Am ehesten wohl doch eine Kinetose in Folge der endlosen wie kurvenreichen Fahrerei. Die Fahrer unserer Land-Cruiser werden verabschiedet. Wir fahren weiter mit einem ehrwürdigen, ca. 40 Jahre alten Bus von der Höhe des Hotels hinab nach Gondar. Die Kirche Debre Berhan Selassie wurde 1694 geweiht und später durch Blitzschlag zerstört. Die heutige Kirche wurde um 1818 gebaut. Auch hier hielt man etliche Straußeneier auf dem zweigeschossigen Strohdach  für nötig.
Der rechteckige Kirchenbau ist von einem Pfeilerumbau umgeben, wobei die Pfeiler die Apostel

Engelsköpfe - Foto © Johannes Vesper
symbolisieren. Über je eine Tür im Süden bzw. Norden mittschiffs betreten Frauen und Männer getrennt die Kirche, die über und über ausgemalt ist. Von der Decke schauen zahlreiche geflügelte Engelsköpfe in Reihen mit großen Augen auf die Besucher herab und an den Wänden werden die Geschichten aus der Bibel malerisch erzählt. Die Engelsköpfe an der Kirchendecke erinnern an die von Kaiser Fasilidas (1632-1667) geköpften Mönche. Kaum waren deren Köpfe abgeschlagen, bekamen sie Flügel und flogen zum Himmel. 9099 Mönche wurde damals geköpft, Laien und Muslime nicht mitgezählt. Der auf einem Fabel-Kamel zur Hölle reitende splitterfasenackte Mohammed wird damals schon das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen getrübt haben.
In dem heiligen, von einer hohen Mauer umgebenen Bezirk um die Kirche herum  stehen betende und mutmaßlich heilige Texte studierende Gläubige. Es wird geweihtes Wasser ausgegeben bzw.

Der Gemp in Gondar - Foto © Johannes Vesper
erworben und am zweistöckigen Eingangstor sitzen die Bettler.
 
Gondar wurde im 17. Jahrhundert zur Residenz der äthiopischen Kaiser ausgebaut. Davon zeugt der „Gemp“, der große Palastbezirk von 7.000 qm, der zu Kaiser Fasilidas (s.o.) Zeiten angelegt wurde. Gondar ist also neben der aktuellen Hauptstadt Addis Abeba, neben dem mittelalterlichen Zentrum Lalibela und neben dem frühen christlichen Zentrum Axum das vierte und jüngste Zentrum äthiopischer Geschichte und Kultur. Der Palastbezirk ist umgeben von einer hohen Umfassungsmauer mit 12 Toren. Sieben Gebäude stehen noch, der Rest wurde durch britisches Bombardement 1941 zerstört. Das kleine Wasserschlößchen hatte wohl auch im 17. Jahrhundert schon seinen Reiz. Milane kreisen hoch über der Stadt. Gerne wüßte man mehr über ihre distanzierte Sicht der Dinge. Nachmittags besuchen wir die Empress Mentewab Schule. Kate Fereday aus England, inzwischen mit einem Äthiopier verheiratet, leitet Schule und  Sozialzentrum, in welchem Waisenkinder wie auch gestrandete Affen versorgt werden. Wir dürfen beim Schulunterricht zusehen. Sehr diszipliniert unterrichtet der ca. 24-jährige Lehrer seine konzentrierten Schülerinnen und Schüler (6-8 Jahre alt), die bei guter Leistung eines Mitschüler stets applaudieren. Die 48-jährige Eskedar kocht mittags für ca. 70 Schüler und Mitarbeiter auf einem zweiflammigen Elektroherd.

Dienstag, den 17.03.09
Fahrt nach Bahir Dar - Erneut Wecken um 6:30 Uhr. Mit dem alten Bus geht es über die Piste nach Gorgora am Tana-See. Der Tana-See liegt auf 1800 m Höhe (Afrikas höchst gelegener See), hat

Foto © Johannes Vesper
einen Durchmesser von ca. 70 km, ca. 30 Zuflüsse und sein Abfluß bei Bahir Dar (s.u.) ist der Blaue Nil. Am Nordufer liegt der Ort Gorgora, bekannt  wegen seiner Rundkirche Debre Sina Mariam. Sie stammt aus dem frühen 17. Jahrhundert und bietet als einzige Kirche frühe gondarische Malereien. Die Rundkirche ist mit einem Reetdach gedeckt. Die Malereien bieten auch hier die Fülle der biblischen Geschichten und christlichen Legenden, dabei werden wie überall die Rechtgläubigen zwei- und die Heiden einäugig dargestellt und es wird, wie so oft, fleißig geköpft und zur Hölle gefahren.
Wir müssen zurück nach Gondar. Unterwegs tummeln sich unmittelbar neben der Straße mindestens 50 Geier um einen Tierkadaver.

Auf dem asphaltierten aber kurvenreichen Straße nach Bahir Dar  klagt erneut eine Mitreisende und erbricht sich am Rande eines Kat-Feldes. Auf dieser Etappe gibt es keine Möglichkeit zur Mittagspause in einer Gaststätte, so pausieren wir am Straßenrand mit Blick auf das Gebirge. Brot, gekochte Eier, Gurke, Wasser wurden für jeden im Hotel eingepackt. Sofort sind Anwohner bei uns. Einer erstellt unter unseren Augen einen Holzpflug und läßt sich gegen einen kleinen Obolus auch

Ein Pflug wird gebaut - Foto © Johannes Vesper
gerne fotografieren.
In Bahir Dar liegt das Hotel mit seinem kleinen parkähnlichen Garten direkt am Tana-See. Am Nachmittag geht es mit unserem Bus zum Sommerpalast des letzten Negus Haile Selassie aus den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, hoch über dem Blauen Nil gelegen, in dem man mit dem Fernglas Nilpferde zu sehen glaubt. Medizinisch gab es heute keine weiteren Probleme.
 
Mittwoch, 18.03.09
Mit 2 Motorbooten Aufbruch zur Halbinsel Sege. Auf halbem Wege sieht man südlich auf einem flachen kleinen Landstreifen eine Kolonie mit ca. 45 Pelikanen, die sich schwerfällig in die Luft erheben.
Der Anleger aus Beton wird über hohe Stufen verlassen. Hier stürzen unsere beiden Senioren und fallen rückwärts ins Gebüsch. Keine Verletzung, kein Schaden, aber der Schrecken ist groß. Zu Fuß erreichen wir nach 20 Minuten die Rundkirche Ura Kidane. Am Ufer liegen zwei für den Tana-See typische Papyrusboote (Paddelboote aus dem schilfähnlichen Papyrus). Die Rundkirche wurde wie viele Kirchen am See 1887 beim Überfall der Region durch sudanesische Derwische zerstört und anschließend wieder aufgebaut. Die üppigen Malereien sind also alle neueren Datums, wobei der Menschenfresser Belai zu Füßen des seelewaschenden Erzengels Gabriel ein besonderes Exemplar seiner Gattung darstellt.


Foto © Johannes Vesper

Die Rückfahrt mit dem Boot bei plötzlicher Windstärke 6 war weniger komfortabel. Immer wieder klatschen die Wellen in das Boot und durchnäßen die Seefahrer. Befürchtungen, sich auf diese Weise eine im See endemische Bilharziose einzufangen, wurden nicht sehr ernst genommen.        
Nach der Mittagspause über den lebhaften Markt der lebendigen Stadt Bahir dar (ca. 170.000 Einwohner und mit dem Bus zu den Fällen des Blauen Nil, ca. 30 km unterhalb des Ausflusses aus dem Tana-See. Diese Region wird bewässert und bietet eine lebendige Landwirtschaft.
Mit dem Boot wird der Blaue Nil überquert und nach 20 Min. erreichen wir zu Fuß die Wasserfälle. Schöne Bilder am Ende der Reise. 
 
Donnerstag, 19.03.09
Flug  nach Addis Abeba und abends Rückflug nach Frankfurt/Main
Gegen 10 Uhr soll die Maschine nach Addis starten. Um 13.55 endlich kommt das Flugzeug, welches uns mit Zwischenlandung in Lalibela nach Addis bringt, das Gepäck aber aus Gewichtsgründen nicht mitnehmen kann. Beim Anflug auf Addis glänzen die zahllosen Wellblechdächer. Um 23 Uhr startet

Am Blauen Nil - Foto © Johannes Vesper
unsere Maschine  pünktlich und morgens gegen 7 Uhr kommt bei der Ausgabe in Frankfurt  doch tatsächlich auch unser Gepäck auf das Transportband gerollt. Im weißen Stromlinien-ICE nach Köln. Nachdenken über die  letzten beiden Wochen:  Keine ernsthaften Erkrankungen, keine ernsthaften Unfälle. Hätte der mitreisende Arzt bei medizinischen Notfällen wirklich helfen können? Wahrscheinlich wäre neben der Notfallbehandlung vor Ort vor allem die Beurteilung des Falles (Transportfähigkeit? Behandlung in Äthiopien? Krankentransport nach Deutschland?) von Bedeutung gewesen. Und neben dem ICE die volle Autobahn. Vorgestern einachsige Eselskarren, Wasseramphoren und/oder Brennholz auf Frauen- und Eselsrücken, Hakenpflug, Markt auf der Erde unter freiem Himmel, Karawanen und all die anderen uralten Bilder, die in Europa  verschwunden sind. Neunhundert Millionen Bäume sollen in diesem Jahr gesetzt werden, berichtet der Ethiopian Herald. Und in der  Zeitung liest man von Unruhen in Somaliland, die das arme Äthiopien mit seinem Militär befrieden soll und will. Die reichen G-8-Staaten stellen immer mehr  Entwicklungshilfe für die armen Länder in Aussicht wie in L`Aquila vor wenigen Tagen, zahlen aber nur zögerlich und der internationale Waffenhandel floriert. Nichts ist so absurd in dieser Welt wie die Realität
 
Informationen:

Eskedar Mengistu, Po.
Box 848 Dessie, E-Mail: eskmnh@yahoo.com

Fremde Welt - Foto © Johannes Vesper
www.kateferedayeshete.net/section134646.html
Empress Mentewab Schule Gondar  
www.ipicture.de/daten/wirtschaft_aethiopien.html
www.menschenfuermenschen.de/ Menschen für Menschen. Karl Heinz Böhms Äthiopienhilfe
www.studiosus.de  Reiseveranstalter: Studiosus Studienreisen München
www.ethpress.gov.et Ethiopian Herald (Offizielle Zeitung in Äthiopien)
 
Literatur:
- E. Hein, B. Kleidt: Äthiopien, christliches Afrika. 235 Seiten. Melina Verlag 1999 ISBN 3-929255-27-8.
- Katrin Hildemann, Martin Fitzenreiter: Äthiopien,  504 Seiten. Reise-Know How Verlag Därr GmbH 4. Auflage 2007
- Annegret Marx, Alexandra Neubauer (Herausg.): „Steh auf und geh nach Süden-2000 Jahre Christentum in Äthiopien“.  368 S. (Deutsch u. Englisch). Legat-Verlag, Frankfurt 2007 (Katalog zur Ausstellung im Ikonen-Museum Frankfurt/Main)
 

Redaktion: Frank Becker