Preis der Autoren 2009 für Drehbuch `Sturm´

Bernd Lange und Hans Christian Schmid wurden am 13. Juni ausgezeichnet

von Karlheinz Braun und Annika Hohl
Preis der Autoren 2009 
für Drehbuch `Sturm´
 
Die Frankfurter Autorenstiftung vergibt in diesem Jahr ihren PREIS DER AUTOREN
in Höhe von 10.000 € an
 
Bernd Lange und  Hans Christian Schmid
 
 für ihr gemeinsames Drehbuch zu Hans Christian Schmids Film Sturm‘, der auf der Berlinale 2009 uraufgeführt wurde und am 10. September in die Kinos kommt. Sturm‘ ist für die Jury (Karlheinz Braun, Jochen Brunow, Kristof Magnusson und Kerstin Specht) der exemplarische Beweis für die Rolle des  Drehbuchs für einen guten Film, - zumal für einen politischen Film wie STURM, der im Rahmen des Kriegsverbrecher-Tribunals in Den Haag einen bosnisch-serbischen Fall als ein emotionales Drama voller Spannung recherchiert. Nach dem vielfach prämierten  Film Requiem‘ ist Sturm‘ die zweite beispielhafte Zusammenarbeit von Bernd Lange und Hans Christian Schmid.
 
Mit dem PREIS DER AUTOREN wurden seit 30 Jahren über 40 Autoren aus den darstellenden Künsten ausgezeichnet, darunter die Dramatiker Thomas Hürlimann, . Dea Loher und Marius von Mayenburg oder  die Filmautoren Sohrab S. Saless, Helma Sanders-Brahms und Harald Bergmann. Der diesjährige Preis wird am 13. Juni im Frankfurter Kino Orfeos Erben verliehen.


Laudatio auf das Drehbuch ‘Sturm‘ von Hans-Christian Schmid und Bernd Lange

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Autorinnen und Autoren, liebe Freunde des Verlages:
„Vor noch nicht einmal zehn Jahren hat auf dem Balkan ein Krieg getobt, der uns sehr nah, gleichzeitig aber auch sehr fern war.“ So beginnen die Anmerkungen der Produzenten zu dem Projekt Sturm‘ von Hans-Christian Schmid und Bernd Lange, die jeder Filmförderungseinreichung beigelegt werden müssen. Die Produzenten, das sind Hans-Christian-Schmid und Britta Knöller. Film ist Teamarbeit. Mehrere Jahre lang haben diese drei Menschen recherchiert, um diese Geschichte erzählen zu können, die Geschichte einer Frau im Spannungsfeld zwischen dem politischen Anspruch der Vereinten Nationen, dem Wunsch der Balkan-Staaten nach Anerkennung und Aufnahme in die EU und dem eigenen Anspruch nach Gerechtigkeit, nach persönlicher Integrität.
 
Hans-Christian Schmid wurde 1965 im Wallfahrtsort Altötting geboren. Er hat an der Hochschule für Film und Fernsehen in München Regie und Drehbuch an der University of Southern California in Los Angeles studiert. Er hat einen Dokumentarfilm gemacht über die Kluft zwischen Kirche und Kommerz in seinem Heimatort und einen über polnische Wäschereien, die deutsche Hotelwäsche waschen – Die wundersame Welt der Waschkraft‘, der aktuell im Kino zu sehen ist. Der dokumentarische Blick ist ihm also nie abhanden gekommen, was, wie wir sehen werden, auch für Sturm‘ hilfreich war.
Zusammen mit Michael Gutmann schrieb er die Drehbücher für mehrere erfolgreiche Kinofilme, zum Beispiel Nach fünf im Urwald‘, Crazy‘ und Lichter‘. Requiem‘ hat Bernd Lange für Hans-Christian Schmid geschrieben. Bernd Lange ist Jahrgang 1974, er hat an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg studiert. Requiem‘ startete auf der Berlinale 2006, und offenbar dachten sich die beiden damals, jetzt, wo wir einen Film über Exorzismus im Süddeutschland der siebziger Jahre gemacht haben, könnten wir doch auch einen Film über Internationales Strafrecht und Kriegsverbrechertribunale zusammen machen.
 
Was Bernd Lange 2006 zu Requiem‘ gesagt hat, trifft auch auf den Sturm‘ zu: „Der Anspruch, Realität mit den Mitteln der Dramaturgie faßbar zu machen und den Zuschauer am realen Leben der Protagonisten teilhaben zu lassen, führt zu einer Erzählweise, die sich bemüht, der Wirklichkeit gerecht zu werden und dem Empfinden und den Gefühlen der realen Vorbilder zu folgen. Der Zuschauer soll sich nicht vorschnell eine Meinung bilden. Es gibt keine Schuldigen, keine Urteile und keine Eindeutigkeiten.“
Beides sind hervorragende Drehbücher. Es sind beides Geschichten über das Scheitern.
 
Hannah Maynard, Mitte 40, ist Anklägerin am internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und ist gerade NICHT zur stellvertretenden Chefanklägerin befördert worden. Sie bekommt die Aufgabe, einen Zeugen in einem dreijährigen Prozeß zu vernehmen, der gesehen haben will, wie der Angeklagte, Duric, den Auftrag zur Deportation von Zivilisten im serbischen Teil von Bosnien-Herzegowina gegeben hat. Die Verteidiger können beweisen, daß der Vorgang so nicht stattgefunden hat. Am nächsten Tag wird der junge Bosnier tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden. Er hat sich erhängt.
Hannah beginnt zu recherchieren, ihr wird offen gedroht. Sie bringt Mira, die Schwester des Zeugen, dazu, in den Zeugenstand zu kommen und über ihre traumatischen Erlebnisse zu sprechen, obwohl auch sie und ihre Familie bedroht wird. Aber auch Hannahs Kollegen wenden sich gegen sie, weil sie nicht nur das laufende Verfahren, sondern auch die Annäherung mehrerer Balkanstaaten an die EU in Gefahr bringt, für die ihr Geliebter, der EU-Sonderbeauftragte Jonas Dahlberg, vermittelt. Und tatsächlich läßt der Richter Mira nicht zum Prozeß zu. Aber die junge Mutter ist inzwischen fest entschlossen auszusagen.
 
Das von allen präferierte Urteil ist ein Kompromiß: Duric wird dazu gebracht, seine Beteiligung an der Deportation vom Kasmaj zuzugeben und womöglich Einblick in die Befehlskette nach oben zu geben, dafür werden die Vergewaltigungen an den deportierten Frauen nicht zur Verhandlung gebracht.
Das Schicksal der einzelnen Frauen wird also außen vor gelassen im Sinne des politischen Verhandlungsfortschrittes. Aber Mira wird nicht schweigen…
Das Gericht wird dafür von der Presse gefeiert, aber die Hannahs Freude hält sich ob der Verschwörung im Hintergrund in Grenzen.
 
Es sind beides Geschichten, die nicht ohne großes persönliches Engagement gemacht werden können, und die dennoch die Persönlichkeit des Autors dahinter verblassen lassen – nicht aber seine Haltung. Selten haben wir Drehbücher gelesen, die ihr Handwerk so klug und so uneitel in den Dienst einer Geschichte stellen, die es wert ist, von möglichst Vielen erfahren zu werden, und die es, so gut es irgend geht, vermeiden, Stellung zu beziehen, Klischees zu bedienen und dem Zuschauer das Denken abzunehmen.
Hans-Christian Schmid und Bernd Lange haben mehrere Fassungen auf deutsch geschrieben, haben dann das Drehbuch übersetzen lassen, sind mit den Schauspielern nach den Haag gereist, haben sich die Abläufe angesehen und Vorbilder für die Rollen getroffen. Danach ging die Arbeit am Drehbuch weiter. Dadurch ergibt sich eine gewisse Offenheit der Komposition, die vielleicht die Leichtigkeit der Erzählung ausmacht, obwohl sie so genau und auf den Punkt ist.
 
Dazu vielleicht noch ein Zitat von Hans-Christian Schmid aus einem Interview mit Peter Körte. Es zeigt die Sorgfalt, die die Autoren in ihrer Arbeit walten lassen, eine Sorgfalt, die eigentlich selbstverständlich sein sollte, die den Autoren in den letzten Jahrzehnten aber von deutschen Sendeanstalten gewissenhaft abtrainiert wurde – „zu kompliziert, das versteht ja keiner“. Und doch:
 
„Die entscheidenden Schritte waren: Als wir dann endlich mal internationales Strafrecht verstanden haben und internationales Strafrecht irgendwie so in mundgerechte Portionen gebracht haben, damit das auch ein Zuschauer nachvollziehen kann. Und als wir dann endlich mal den Jugoslawien-Krieg einigermaßen verstanden haben, dann ging es hauptsächlich eigentlich nur noch darum, und das ist vielleicht die größte Schwierigkeit, eine Figur wie Mira zu verstehen, weil das etwas ist, was man sich als Autor kaum anmaßen kann, daß man eine hoch traumatisierte, zu dem Zeitpunkt 13-, 15-jährige Frau irgendwie am Ende tatsächlich begreift. Da ging es dann plötzlich um das, woran man eigentlich viel schneller kommt, zum Beispiel eben bei einer Familiengeschichte, nämlich Zugang zu Gefühlen zu finden. Und da würde ich sagen, in dem Bereich, das war vielleicht ein Jahr vor Drehbeginn, daß man wirklich mal versucht hat, irgendwie mit all den strukturellen Dingen, die man im Kopf hat, Menschen zu fassen zu kriegen, auch ein Thema herauszuarbeiten, was bedeutet eigentlich diese Geschichte für Hannah, was bedeutet diese Geschichte für Mira? Wie sehr können zwei Frauen sich in so einer komplizierten Konstruktion auch irgendwie noch begegnen? Und da fängt man ja eigentlich auch erst an dem Punkt an zu arbeiten, wo man irgendwie in ein Spannungsfeld tritt mit dem Zuschauer oder mit dem Leser, also was für Gefühle werden da deutlich, wo findet plötzlich Empathie statt?“
 
Das Vorbild für Hannah ist die Anklägerin Hildegard Uertz-Retzlaff, die in Den Haag den ersten Völkerrechtsprozeß geführt hat, bei dem Vergewaltigung als Kriegsverbrechen anerkannt wurde. Sie kämpfte gegen Slobodan Milosevic und ging 2006 in den Libanon, um in der Hariri-Kommission zu ermitteln.
Sturm‘ ist ein Drehbuch, das eine zutiefst menschliche Haltung hat, das uns aber auch die Grenzen unserer Moral und Gerechtigkeit aufzeigt, ein Drehbuch, das innere Reife beweist und die Fähigkeit, europäische Geschichte  zu erzählen, die Möglichkeit, die Bedeutung dieses Krieges im Bewußtsein Europas faßbar zu machen.
 
Sturm‘ ist eine Bereicherung für den deutschen Film.
 
Daher zeichnen wir das Drehbuch zu Sturm‘ heute mit dem Preis der Autoren 2009 aus.

Redaktion: Frank Becker