Wer war Andrea Palladio?

Guido Beltramini - "Palladio - Lebensspuren"

von Frank Becker
Wer war Palladio?
 
Im nordöstlichen Italien liegt im Herzen des fruchtbaren Veneto eine kulturhistorisch beschenkte Provinz, die ihren Namen von der Verwaltungshauptstadt herleitet und die ihren historischen Glanz zu großen Teilen auch durch die erhalten gebliebenen Architekturen bewahrt: Vicenza. Vor 500 Jahren, genauer: am 8. November 1508 wurde der wohl berühmteste Architekt der Renaissance und einer der einflußreichsten Baumeister der Architekturgeschichte schlechthin im nicht weit entfernten Padua geboren. Andrea Palladio, Sohn eines Müllers, erkor von 1523 an Vicenza zum Mittelpunkt seines Wirkens, wenn er auch viel in Rom, Padua und Treviso arbeitete und in Venedig seine wichtigsten Kirchen wie San Giorgio Maggiore und Il Redentore entstanden. In Venedig wurde sein erhalten gebliebenes Standardwerk „Vier Bücher zur Architektur“ herausgegeben, das ihn neben vielen anderen Literaturen wie z.B. seine Rom-Führer auch als bedeutenden Autor ausweist.
 
Guido Beltramini geht in seinem 2008 erstmals Venedig bei Marsilio erschienenen Buch „Palladio

Vicenza, Teatro Olimpico
Foto © Frank Becker
privato“ anhand von Zeugnissen der Zeit den Lebensspuren des großen Architekten nach. Ihm geht es darum, den Menschen hinter dem gigantischen architektonischen Werk zu finden. Guido Beltramini ist dazu wohl der berufenste Wissenschaftler: als Direktor des „Centro Internazionale di studi di architettura Andrea Palladio“ in Vicenza hat er die großartige Ausstellung dort zu „500 Jahre Palladio“ erarbeitet. Beim Wagenbach Verlag ist das äußerst intim recherchierte, reich illustrierte und spannend zu lesende Bändchen soeben in einer Übersetzung von Victoria Lorini, versehen mit einer Einleitung von Andreas Beyer und einer biographischen Skizze von Paolo Gualdo aus dem Jahr 1615 erschienen.
 
Kein Reisender, der die Region Vicenza besucht, wird an den prächtigen, bis heute genutzten Villen und Palazzi, den Landhäusern, Brücken, Schlössern, Befestigungsanlagen und Burgen vorbeikommen, die in einem dichten Netz und ungeahnter Fülle die Stadt umgeben. Vor allen anderen Architekten, die dem Bild der Landschaft mit ihren markanten Bauten bis auf den Tag Charakter verleihen, ist Andrea Palladio der größte. Sein Name steht für eine Hochblüte der Baukunst und eine charakteristische Stil-Entwicklung, die als „Palladianischer Klassizismus“ Weltruhm erlangte. Das architektonische Erbe Palladios, Weltkulturerbe der UNESCO, wird sorgfältig gepflegt und nicht nur museal bewahrt.
 
 
Vicenza, La Rotonda - Foto © Frank Becker
Vicenza ist überschaubar und auch die außerhalb gelegenen Villen (Landhäuser) in erreichbarer Nähe. Ein legendärer Bau im Zentrum Vicenzas ist das Teatro Olimpico. Am nordöstlichen Ende des an Bauten Palladios reichen Corso Andrea Palladio – wie auch sonst sollte der Boulevard heißen? - gelegen zählt dies zu den interessantesten Bauwerken der Region gehörende Theater quasi zum Nachlaß des genialen Baumeisters. 1580, nur wenige Monate vor seinem Tod im August, hatte Palladio die Entwürfe fertiggestellt. Sein Sohn Silla vollendete diesen ersten modernen Theaterbau der Geschichte mit Hilfe des Architekten Vicenzo Scamozzi. Der halbrunde Theatersaal mit seinen steil aufsteigenden Rängen, Stilelementen der römischen wie griechischen Historie, der schrägen perspektivischen Bühne, die raffiniert Tiefe vortäuscht, den Deckenfresken und mit den ringsum die Galerie krönenden Skulpturen aus anonymer Werkstatt ist beeindruckend.
 
Durch den Arco delle Scalette an der Piazzale Fraccon im Südosten verläßt man Vicenza in Richtung Süden, wo man schon nach knapp zwei Kilometern auf einem Hügel der imposanten Villa Almerico Capra Detta „La Rotonda“ ansichtig wird – einer der prächtigsten Palladio-Bauten der Region und durch ihre Lage und die charakteristische Kuppel ein Blickfang und Wahrzeichen ohnegleichen. Stein

Bassano, Ponte Vecchio - Foto © Frank Becker
gewordener Ausdruck von Wohlstand und Macht mit mächtigen Säulen ist der würfelförmig konzipierte Bau, den Kardinal Paolo Almerico wohl um 1550 (andere Untersuchungen vermuten 1570, also ein Spätwerk Palladios) in Auftrag gab. Guido Beltramini nennt 1566 als Baubeginn. Auch bei diesem Bau wird Vincenzo Scamozzi als Nachfolger genannt.
 
Die Hauptattraktion des Städtchens Bassano del Grappa ist die Ponte Vecchio, heute unter dem Namen Ponte degli Alpini bekannt. Schon seit dem 12. Jahrhundert spannt sich die überdachte Holzkonstruktion über den Fluß Brenta und bildet seit je den Übergang zwischen Bassano und Vicenza. Mehrfach fiel die Konstruktion dem Hochwasser der Brenta zum Opfer, bis 1569 Andrea Palladio sie mit wellenbrechenden trapezförmigen Pfeilern neu konstruierte. 1750, 1813 und 1948 wurde bei notwendigen Erneuerungsarbeiten klug auf Palladios Entwürfe zurückgegriffen. Als Wahrzeichen der Stadt und Region ist die bildschöne Ponte Vecchio ein prächtiges Dokument architektonischen Genies.

Foto © Frank Becker
 
Wer war nun aber Andrea Palladio selbst? Es bleibt ungewiß, ob die raren Bilddokumente, die ihn angeblich zeigen, wirklich Andrea Palladio darstellen. Andreas Beyer zieht auch das von der Hand El Grecos stammende und von Guido Beltramini favorisierte Bild in Zweifel. Wo hielt er sich auf, wenn er mal wieder für Wochen verschwunden war? Ist der Schädel, der als jener Palladios überliefert ist, wirklich der echte? Ein paar Rätsel dürfen bleiben.
 
Guido Beltramini: „Palladio – Lebensspuren“, © 2009 Klaus Wagenbach Verlag, mit vielen Illustrationen, einer Bibliographie und einer Einführung von Andreas Beyer, 119 Seiten Leinen, Fadenheftung, ISBN 978 3 8031 12606,
14,90 €

Informationen unter: www.wagenbach.de
Weitere Informationen über Andrea Palladio unter: www.palladio2008.info  und  www.andreapalladio.it