Musikstunde

Über J.S. Bachs Gesamtwerk - und den Meister als liebenswerten Chaoten

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Konrad Beikircher
Musikstunde

Vier Meter J.S. Bach

Guten Tag, liebe Musenblätter-Leser, liebe Freunde meiner kleinen Musik-Plaudereien, für uns ist nur eine Woche vorüber - die Herausgeber der Gesamtausgabe von Johann Sebastian Bachs Notenwerk brauchten veritable 57 Jahre für ihre Mammut-Aufgabe! Davon will ich heute erzählen.

 
Manchmal, meine sehr verehrten Damen und Herren, manchmal kommt das Große auf leisen Sohlen daher. In unserer Zeit der lauten Töne, in der ich mir oft denke: so groß und so schwarz kann der Wald doch gar nicht sein, wie die alle pfeifen, um ihre Angst los zu werden, in unserer lauten Zeit also ist es allerdings schon ein kleines Wunder, wenn etwas Denkwürdiges passiert, wert gefeiert zu werden und wenn genau das nicht passiert. Und wir wissen ja, wie Event-geil unsere Zeit ist. So passierte es, als der abschließende Band der neuen Ausgabe der Werke Johann Sebastian Bachs vor knapp einem Jahr in Leipzig der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Selbst der F.A.Z. war es gerade mal 15 Zeilen wert und doch muß dem Gegenstand, um den es geht, höchste Bewunderung entgegengebracht werden. Und große Dankbarkeit.
Der letzte Band der Bach-Gesamtausgabe ist fertiggestellt
. Damit ist die historisch-kritische Ausgabe abgeschlossen, das Riesenprojekt hat sein Ziel erreicht. 1951 haben die Damen und Herren Wühlmäuse damit angefangen, haben entziffert, geordnet, gesichtet, sortiert, begutachtet, auf Echtheit überprüft, verworfen, gemacht und getan und legen uns jetzt über 100 Notenbände vor, das Gesamtwerk des – wenn Sie mich fragen – größten aller abendländischen Komponisten. Vier Meter im Regal sollten Sie frei haben, wenn Sie sich den Urtext kaufen möchten. Also ein bißchen mehr als „Mit Goethe durch das Jahr“ ist es schon, was das Göttinger Bach-Institut und das Leipziger
Bach-Archiv zusammengetragen haben. Diese Ausgabe wird auch unser Bach-Bild verändern – sicherlich nicht schlagartig aber peu a peu, dessen bin ich sicher. Und weil Johan Sebastian nicht nur der gestrenge Herr war, als der er ja gerne dargestellt wird, sondern ein Mann, der gerne gelebt hat - Kaffee und Hefe-Schnaps waren mehr oder weniger heimliche Leidenschaften von ihm und der Ordnungsfanatiker war er auch nicht sondern eher der Chaot: in Leipzig lagen im Arbeitszimmer Stapel von Noten zwischen Instrumenten, Flaschen und Kaffeetassen wüst durcheinander, Passionen sind darüber verloren gegangen, weil ihm das alles nicht so wichtig war und sein Sohn Philipp Emanuel, der in diesem Bereich eine Beamtennatur war, ist ob dieser Unordnung schier verzweifelt, als er da ein bißchen Ordnung ins Werkverzeichnis bringen wollte.
 
Weil das alles so war, möchte ich die Fertigstellung dieser grandiosen Edition mit Ihnen feiern.
 
Ihr
Konrad Beikircher



© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2009
Redaktion: Frank Becker