Spannend bis zum bitteren Ende

Jason Starr - "Stalking"

von Jürgen Kasten
Stalking
 
„Wer einem Menschen unbefugt nachstellt, in dem er beharrlich seine räumliche Nähe aufsucht,… - ihn mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst oder einer ihm nahe stehenden Person bedroht…
und dadurch seine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Dieser Abschnitt  aus § 238 Strafgesetzbuch behandelt den „einfachen Fall“ des Stalking. Was wir hier in dem Roman von Jason Starr zu lesen bekommen, stellt die Perversion des Stalking dar und wird wahrscheinlich in einigen Staaten der USA mit dem Tode bestraft. Das übernimmt die bedauernswerte Katie jedoch selber.
 
Der Roman handelt von einer Handvoll angehender Ärzte, Anwälte und Yuppies. Sie sind jung, kommen aus der Provinz, teilen sich die teure Miete eines Appartements in New York. Gehen sie nicht ihrer Arbeit nach, leben sie in ihrem Dreck und ihre Gespräche drehen sich nur um ein Thema: „Ficken“. Wer hat die meisten Frauen ins Bett gebracht, wer hat dabei welche „Positionen“ anbringen können, wo und wie kann man die besten Frauen abschleppen?  Einer von ihnen ist Andy. Für ihn sind Frauen Sexualobjekte, sonst nichts.
Er lernt die junge, gutaussehende und sportliche Katie kennen. Auch sie ist neu in N.Y.C., versucht sich hier eine berufliche Zukunft aufzubauen, kennt noch kaum jemanden und ist leider etwas naiv.
Andy „spielt“ mit ihr, zeigt sich höflich und charmant, sieht dabei noch blendend aus und Katie ist begeistert. „Er ist keiner von den Jungs, mit denen man kein vernünftiges Wort wechseln kann“, erzählt sie ihrer Freundin.  Doch Andy hat nur eins im Sinn, und zwar möglichst schnell. Nach dem „ersten Mal“ fühlt Kati sich vergewaltigt, gibt aber sich selber die Schuld, weil sie nicht angemessen reagierte. Ihr geht es mies. Sie lenkt sich in ihrem Sportstudio ab. Welch glücklicher Zufall, daß ihr dort Peter über den Weg läuft. Man kennt sich flüchtig aus der gemeinsamen Heimatstadt. Peter ist so ganz anders als Andy: Älter, gereifter, souveräner, mitfühlend, verständnisvoll, kann zuhören und gut sieht er auch aus. Ein echter „Frauenversteher“. Sie verabreden sich zu einem Kaffee. Kati hat endlich jemanden gefunden, zu dem sie Vertrauen haben kann, der ein guter Kumpel werden könnte. Mehr will sie nicht.
 
Jason Starr erzählt seine Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln. Zum einen schildert er, was geschieht, wechselt dann die Perspektive, um das gleiche Geschehnis aus der Sicht seiner Protagonisten zu beschreiben. Und siehe da – jeder von ihnen hat zwar das gleiche erlebt; aber mit völlig anderen Gefühlen, anderen Eindrücken und anderen Schlußfolgerungen.
Katie zweifelt ständig und mißtraut selbst ihren Gefühlen. Peter dagegen weiß genau, was er will und wie er es bekommt. Er ist von der Richtigkeit seines Handelns völlig überzeugt. Doch Peter ist ein Psychopath. Seit Jahren spioniert er Katie aus. Ihr Zusammentreffen war kein Zufall. Er sieht Katie als seine spätere Frau, malt sich ihr gesamtes gemeinsames Leben bis ins kleinste Detail aus. Er hat alles geplant, alles vorbereitet, muß nur ihr das noch klar machen, und zwar so, daß auch sie davon überzeugt ist, nur mit Peter in einer glücklichen Zweisamkeit leben zu können.
Katies Gedanken gehen in ganz andere Richtungen. Peters Inszenierungen versteht sie als freundliches Gesprächsangebot eines netten Kumpels, der sie in einer schwierigen Phase ihrer Beziehung tröstet und berät, denn es zieht sie trotz allem zu Andy.
Dann ist Andy plötzlich tot, ermordet.
Die Polizei stellt merkwürdige Fragen.
Einer von Andys Mitbewohnern gerät in Verdacht. Der sucht eine Aussprache mit Katie. Kurz darauf wird auch er ermordet.
In Katie keimt ein fürchterlicher Verdacht, doch die Polizei hält sie für eine hysterische Zicke. So flüchtet sie zurück aufs Land, zu ihren Eltern, geradewegs in die Arme ihres Mörders.
 
Ein meisterhaft schauerliches Buch. Jason Starr tariert den Spannungsbogen geschickt aus. Der Leser ahnt, was als nächstes passieren wird, doch es geschieht nicht – noch nicht. Unmöglich, das Buch aus der Hand zu legen, man muß weiter lesen, bis zum bitteren Ende.
Der Verlag schreibt: „Die Kombination von rasiermesserscharfen Dialogen, schwarzem Humor und tödlicher Spannung jagt einem einen Schauer nach dem anderen über den Rücken:“ Das wird so sein; aber hier von Humor zu sprechen, ist mehr als verfehlt.
Leider gibt es tatsächlich noch Polizisten, die verängstigte Frauen wie Katie nicht ernst nehmen. Dieser Roman sollte ihre Pflichtlektüre werden.

Beispielbild

Jason Starr
Stalking
 
© Mai 2009 Diogenes Verlag AG Zürich
 
Diogenes Taschenbuch, 522 Seiten
ca. € 12.90 (D) / sFr 22.90 / € 13.30 (A)
ISBN: 978-3-257-86185-3
 
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