Schokolade + Lebensart = Turin

Edle Schokoladen, Eiscreme und ein ganz besonderes Getränk: Turin – Metropole der Kaffeehaus-Kultur und süßer Genüsse

von Frank Becker

Foto © Frank Becker
Ein Loblied höchster Genüsse:
 Die Turiner Confiserien

Edle Schokoladen, Eiscreme, Ristretto
und ein ganz besonderes Getränk:
Turin - Metropole der Kaffeehaus-Kultur
und süßer Genüsse


Daß süße Massenartikel wie die Kinder-Schokolade (die so heißt, weil Signore Kinder sie erfunden hat), der von Konditor Pietro Ferrero 1940 kreierte unvergleichliche Nougat-Brotaufstrich „Nutella“ und die Praline mit der „garantiert echten“ Piemont-Kirsche, die nicht unbedingt im Piemont wuchs, aus der norditalienischen Metropole Turin kommen, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Ebenso die traurige Wahrheit, daß Claudia Bertani ein Phantom der Werbe-Industrie ist. Doch der Trost, den man in der bezaubernden Stadt am Flusse Po findet, ist weit köstlicher als die zerstörte Illusion – er wird in allen berückenden Variationen der Schokolade und ihrer Aggregatzustände so allein hier und in ihren Tempeln gespendet.


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Im 19. Jahrhundert für immerhin vier Jahre Hauptstadt des vereinigten Italien, hat Turin zwar politisch erst gegen Florenz und dann gegen Rom in den Schatten treten müssen, von der Lebensart und der Kenntnis weltlicher Genüsse steht es seinen Konkurrentinnen sicher nicht nach. Mehr noch, die einstige Hauptstadt der Savoyer kann für sich reklamieren, mit ihren süßen Delikatessen den Ruhm Italiens weltweit gemehrt zu haben. An keinem anderen Ort huldigt man mit so viel Liebe, Hingabe und Kreativität der Göttin Schokolade, nirgendwo sonst gehen Kakao und Kaffee, Nüsse und Phantasie


Foto © Frank Becker
so harmonische Verbindungen ein, wie in der Stadt mit ihren ungezählten Konditoreien, Cafés, Confiserien und Süßwarengeschäften. Sicher nicht ohne Grund haben die großen Schweizer Chocolatiers ihre Kunst hier erlernt.  Wer als Fremder in der Osterzeit nach Turin kommt, wird überwältigt vor Schaufenstern voller mit hoher Fertigkeit von Konditoren und Patissiers gestalteten Schokoladen-, Marzipan- und Nougat-Eiern aller Größen stehen.

Wenn auch der sinnenfrohe und Italien-begeisterte Altmeister Goethe 1786 auf seiner Flucht vor Charlotte von Stein Turin erst rechts und auf der Heimreise von Rom links liegen gelassen und somit die einzigartigen Spezialitäten dieser Region versäumt hat - das nach ihm benannte große deutsche Kulturinstitut empfiehlt ausdrücklich den Besuch der pittoresken und eleganten Cafés in der Stadt, in


Ricreazione - Foto © Frank Becker
denen bereits der Aufenthalt ein sinnliches Vergnügen ist. Wer einmal die prachtvollen großen und versteckten kleinen Plätze der Stadt erkundet hat und beim Bummel durch wenigstens einen Teil der etwa 18 Kilometer schattiger Arkadengänge in die Kultstätten der Schokolade eingekehrt ist, in denen die Kunst von Caffé und Cioccolata, vor allem aber der „pausa di ricreazione“ zelebriert wird, dankt der Empfehlung.

Denn das ist es, was den wahren Genuß überhaupt ausmacht: in eines dieser edlen Lokale eintreten, die verglaste Pforte zum Paradies am poliertem Messinggriff leise hinter sich schließen und Wetter, Lärm, Hektik und Pflicht vor der Tür lassen. „Ricreazione“ ist mehr als nur ein Päuschen. Das hat man im beneidenswerten Italien dem ewig emsigen Norden voraus. Einmal alles stillstehen lassen und mit Hilfe eines Caffé, besser noch eines „Ristretto“ – so heißt hier schlicht das schwarze, starke, kräftig gesüßte heiße Getränk in kleinen Tassen, das in Deutschland „Espresso“


Caffé Fiorio - Foto © Frank Becker
genannt wird, und „Giandujotto“, der berühmten Nougat-Schokolade-Praline, Spezialität Turins, der Seele Nahrung geben. Da nimmt man gerne auch zwei Täßchen, denn aromatischer und köstlicher wird er nirgends geboten. Die Namen der zugehörigen Lokale sind Legenden, sie zergehen auf der Zunge wie die schmelzenden Pralinen, die man zum duftenden Caffé nascht. „Caffé San Carlo“, „Caffé Mulassano“, „Caffé Fiorio“, „Liquoreria Caffé Platti Confetteria“, „Confetteria Baratti & Milano Liquoreria“, „Caffé Torino“, „Malabar“, „Confetteria Avvignano“, „Confetteria Pasticceria G. Pfatisch“, „Pasticceria Abrate Calvi“ oder „Confetteria Caffé Stratta“ sind nur einige der besonders empfehlenswerten und

Baratti & Milano
Foto © Frank Becker
innenarchitektonisch ebenso delikaten Refugien unter diesen Tempeln der Sinnenlust, auf deren Altären manche feine Dame und ebenso mancher Herr (seufz!) seine schlanke Linie geopfert hat. Die gediegene, oft kostbare historische Ausstattung, Vitrinen mit verlockenden Torten und Kuchen, Spiegelwände mit aufgereihten Köstlichkeiten in verführerischen Verpackungen und kaum zu überschauender Auswahl an bunten Bonbongläsern, Konfekt und Aperitifs, Samtpolster, kristallne Lüster, Seidentapeten, Fresken, Stuckarbeiten und Marmor verleihen den edlen Räumen Würde. Der Atem des Fin de siecle weht durch die Räume, deren Decken in ihrer kunstvollen Ausgestaltung mit Savoyer-Schlössern, Kathedralen und Opernhäusern wetteifern, und die Eleganz des Jugendstils

Fiorio - Foto © Frank Becker
bezaubert in prachtvollen Intarsien, wunderschönen Stühlen, Geländern und Balustraden und in der einen oder anderen Ladenkasse, die vielleicht mehr Wert repräsentiert, als sie enthält. Denn die Preise sind gering, volkstümlich. Die Caffés von Turin sind für die Bürger – und werden mit Grandezza angenommen. Die Turiner sind eben vornehme Menschen, die sich einen angemessenen Rahmen für die kleinen Genüsse geschaffen haben.  

Das gedämpfte Gespräch, untermalt vom Fauchen der Kaffeemaschinen und Aufschäumer sowie dem dezenten Klappern von Löffelchen auf Porzellan vermittelt Ruhe und ein Gefühl von der Poesie und Philosophie, die in diesem Moment und an diesem Platz Besitz vom Gast ergreift. Das Wort ist


Caffé San Carlo Foto © Frank Becker
mit Bedacht gewählt, denn hier ist der Gast noch wirklich einer. Auserlesen höflich und mit wacher Aufmerksamkeit bedienen die weiß beschürzten oder in dunkle Anzüge und blütenweiße Hemden gewandeten Kellner, die man respektvoll „Signore“ ruft.
Turin-Kenner vermissen jetzt in der Aufzählung noch einen Namen, der ihnen und denen, die einmal dorthin reisen möchten, natürlich nicht vorenthalten werden soll. Das „Caffé Confetteria Al Bicerin“, bescheiden und unauffällig seit 1763 an der Piazza della Consolata liegend, mit Blick auf die herrliche Wallfahrtskirche, in der eine Kopie des Turiner Grabtuchs gezeigt wird, ist ein winziges Lokal mit großer Geschichte. Nietzsche soll hier eingekehrt sein und Alexandre Dumas d.Ä. hat „Al Bicerin“ und seine gleichnamige Spezialität lobend erwähnt:

Al Bicerin - Foto © Frank Becker
ein heißes Getränk, aufgeschichtet aus je einem Drittel flüssiger Schokolade, starkem Kaffee und aufgeschäumter Milchcreme, das in einem hohen Glas serviert wird. Göttlich – aber Vorsicht! Ein Bicerin hat vermutlich mehr Kalorien als ein mehrgängiges Menü! Und wer noch dazu die freundlich offerierte Bicerin-Torte nimmt, wird zwar Wohlbehagen verspüren, sich aber anschließend kaum noch bewegen können.  

Vergessen wir nicht die zahlreichen Eisdielen mit ihrer Sortenvielfalt und darunter eine ganz besondere Empfehlung: ein besseres Nocciola und Crema als bei „Pepino“ an der Piazza Costello gibt es vielleicht nirgends auf der Welt – alleine ein Eishörnchen aus der Gelateria, in der vor mehr als hundert Jahren das Eis am Stiel erfunden worden sein soll, wäre eine Reise nach Turin wert. Und


Foto © Frank Becker
wenn man dann am Abend völlig erschöpft, aber glücklich nach all den Genüssen und den langen Wegen – in Turin geht man natürlich zu Fuß, um die Stadt mit allen Sinnen aufzunehmen – in sein Hotel zurückkehrt, kann es durchaus sein, daß auf dem Kopfkissen als Betthupferl und freundlicher Gruß eines der in Goldfolie eingewickelten „Giandujotti“ liegt.

Informationen über Turin und die Region, Anreise, Hotels und Programme gibt es bei:

- Agenzia Regionale per la promozione Turistica del Piemonte, Via Viotti 2,  
   I-10121 Torino,
  Tel. 0039-011-554111, Fax 0039-011-5627176 oder unter
   www.regione.piemonte.it/turismo
E-Mail atrinfo@atr.piemonte.de

- ImaTur Italia Marketing Touristik Service GmbH -
  Hohenstaufenring 63 - 50674 Köln
Tel. 0221/921 34 30, Fax: 0221/921 34 39,
  E-mail: info@imatur.de


Literaturtip: Chiara Ronchetta (Hrsg.), "Le botteghe a Torino", Centro Studi Piemontesi, Torino 2001