Shakespeares Sämtliche Werke (leicht gekürzt) in Essen

Erfolgreiche Wiederaufnahme zu Ostern - nur noch wenige Vorstellungen!

von Frank Becker
 Platzverweis für König Lear



Shakespeares Sämtliche Werke (leicht gekürzt)
Eine Komödie von Adam Long, Daniel Singer und Jess Winfield
Deutsche Fassung von Dorothea Renckhoff

Inszenierung:
Thomas Gimbel - Ausstattung: Julia Ströder - Licht: Angela Koffler
Besetzung:
Hardy Kistner (Peter Caspar) - Dietmar Pröll (Jon Melchior) - Thomas Glup (Chris Balthasar)

Eine kalte matte Schauder...

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as braucht man für Shakespeares sämtliche Werke in einer komplexen Bühnenfassung eigentlich? Eine Krone, einen Ohrensessel, einen Dolch, eine Phiole, ein Paar Strumpfhosen, eine
 
Dietmar Pröll - Thomas Glup - Hardy Kistner (v.l.) - Foto: Theater
Gesamtausgabe. Schlechte Perücken, wenige Tücher, Phantasie. Ein Geniestreich ist das quicklebendigen Stück von Adam Long, Daniel Singer und Jess Winfield, das
in der kongenialen deutschen Übersetzung von Dorothea Renckhoff wahr macht, wovon alle gequälten Literatur-Schüler und Shakespeare-Komödien-Geschädigten, Schauspieler eingeschlossen, träumen: Den ganzen Shakespeare in zweieinhalb Stunden „abzufackeln“ und dabei auch noch Spaß zu haben. Ein Schabernack erster Güte ist es. Die Essener Inszenierung von Thomas Gimbel mit den Kostümen von Julia Ströder erlebte gestern am Ostersonntag eine gefeierte Wiederaufnahme. Von der ersten bis zur letzten Minute (man hätte kaum eine missen mögen) war das Publikum – Kritiker eingeschlossen - der herrlichen Humor-Attacke wehrlos ausgeliefert.

Von der Leine gelassen


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rei Personen haben drei Autoren gefunden, drei Schauspieler, die von der Leine gelassen voller Übermut durch das Werk des Theater-Propheten, des Bühnen-Gottes William Shakespeare

"...oder durch Widerstand sie enden?" - Dietmar Pröll - Foto: Theater
kabolzen, parodieren, konterkarieren und – als Komödianten wie als Charakterdarsteller brillieren. Solch einen intelligenten Jux, wie er auf der beinahe leeren Bühne des Essener Theaters im Rathaus vor rotem Vorhang, mit genialen Auftritten und Abgängen durch drehende Spiegeltüren und mit überschäumendem Humor von Hardy Kistner (Peter Caspar), Dietmar Pröll (Jon Melchior) und Thomas Glup (Chris Balthasar) in scheinbar selbstverständlicher Leichtigkeit und im extemporierenden Dialog mit dem Publikum geboten wurde, wünscht man sich als Osterei – und als genreüberschreitendes Boulevard mit Format.

Titus Wilmenrod

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in funky Othello-Rap á trois, sämtliche Königsdramen in einem Aufwaschen (inkl. dem schottischen Stück (Pssst...), die im Grunde irrsinnige Tragödie „Titus Andronicus“ als das (aber)witzigste Gemetzel seit Clemens Wilmenrod oder die unter dem Motto „Wozu, Herr Shakespeare, haben sie 16 Komödien geschrieben, wenn eine gereicht hätte?“ zu einem zum Brüllen komischen Gesamttext zusammengefaßten besagten eigentlich ja saublöden Komödien - es ist ein Hochgenuß in der Tradition von „Kentucky Fried Chicken“, zugleich eine Herausforderung an die drei Schauspieler, die diesen ambitionierten Theaterspaß mit Tiefgang über die Bretter bringen, welche die Welt bedeuten. Kistner, Pröll und Glup tun das scheinbar schwerelos, beherrschen jede Facette des schweren Spiels und lösen tränentreibende Lachsalven aus.

Ich, Es und Über-Ich

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enn Thomas Glup neben dem Thybalt in Katernberger Fassung: „Ich bin am kaputt gehen...“ eine Julia von Gnaden gibt und überhaupt zuckersüß alle Frauenrollen lispelt oder Kistner mit dem Running Gag „Isch fühle eine kalte matte Schauder rinnen durch meine Adern...“ urkomisch ins Gras beißt, ist
 
"Kann sein, kann nicht sein..." - Thomas Glup - Foto: Theater
kein Halten mehr. Szenenapplaus vom ausverkauften Haus begleitete die sprühende und zu 100% gelungene Aufführung dieser in lässiger Perfektion präsentierten Kunst des höheren Blödsinns von „Romeo und Julia“ zu Beginn über einen Dolch-gespickten „Julius Cäsar“ und „Antonius und Kleopatra“ (mit niedlicher Schlange) – bis hin zum freudianisch aufgedröselten Hamlet. Mit Publikumsbeteiligung als Ophelias Ich, Es und Über-Ich („Kann sein, kann nicht sein...“), Geist im Spannbettuch, Prölls Hamlet-Monolog („...macht mich noch wahnsinnig“), der knappen Feststellung, daß es zwischen Himmel und Erde dies und das gibt, was man nicht verstehen kann und Horatio sich gefälligst verpissen soll, ist Hamlet mit einem Mal verständlich. Dietmar Prölls markante Stimme vermochte zudem, im Handumdrehen ernste, gesetzte Momente zu schaffen, in denen Wert und Gewicht von Shakespeares großen Dramen offenbar wurde. Wer da noch Trübsal blies, dem mochte man zurufen: „Schminke ins Gesicht!“ oder ernstlich:  „Geh´ in ein Kloster!“.
 


Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt)
gibt es in Essen noch dreimal: heute, 13.4.09, morgen und übermorgen, jeweils um 19.30 Uhr. Es gibt noch Karten für das herrliche Vergnügen!
Weitere Informationen unter: www.theater-im-rathaus.de