Musikstunde

Eine Plauderei über Lärmschutznormen und andere musikalische Kuriositäten

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Konrad Beikircher
Musikstunde

Poe, Wagner, Wilhelm Busch und Berlusconi
 
Guten Tag, liebe Musenblätter-Leser, geschätzte Freunde der Musikstunde!

Haben Sie nicht auch manchmal den Eindruck, daß das Werk eines Künstlers sein Leben beeinflußt? Edgar Allan Poe ist da so ein Beispiel, das einem direkt einfällt: sein Leben lang hat er über die dunkle Seite geschrieben, über Delirien und Tollheit, bis er schließlich selber von diesem Maelstrom aufgesogen wurde. Man weiß noch nicht mal, ob der notorische Quartalssäufer im Vollrausch gestorben ist oder vielleicht sogar an den Folgen der Tollwut, die er auch gehabt haben soll. Übrigens: ob Berlusconi auch die Tollwut ... weiß man nicht genau! Manchmal aber geht es aber sogar so weit, daß sich ganze Generationen nicht vom Werk ihres Ahnen trennen können und das, was der geschrieben hat, immer weiter leben. Ja, Sie ahnen sicherlich, worauf der Beikircher hinaus will: na klar, Bayreuth, die größte Soap-opera in der Welt der Musik, d.h. der Festspiele. Wie im Ring Wotan mit seinen Walküren umgeht, geht Wolfgang Wagner mit den seinen um. Oder ist es umgekehrt? Haben die Walküren Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier ‚ihrem’ Wotan nicht schon längst den Ring durch die Nase gezogen? Und warum liegt Nike Wagner nicht auf feuerumlodertem Hügel, der Erlösung durch den Helden harrend?
Ich darf zu diesem Zirkus um Macht, Intrigen, Familiengezeter und vermeintlicher Weltgeltung den großen Wolfgang Neuss zitieren. Der sagte über Helmut Kohl: „Über Helmut Kohl mache ich keine Witze mehr, über den lache ich direkt!“. Genau so sollten wir Bayreuth sehen, oder?!
 
Musik wird oft nicht schön gefunden,
Weil sie stets mit Geräusch verbunden.
Aus: Dideldum! "Der Maulwurf" (1872)
 
So das richtige Wilhelm – Busch – Zitat: aus gutem Grund bringe ich es wieder mal in Erinnerung. In München kam es voriges Jahr nämlich zu einem kleinen Eklat: der schwedische - israelische Komponist Dror Ellimelech Feiler hat wieder mal zugeschlagen, kompositorisch natürlich. Allerdings kann man das bei manchen seiner Kompositionen durchaus auch körperlich verstehen, stammt ja der Satz „Lassen Sie sich liebkosen, aber nicht von mir“ von ihm selbst. Man liebt die Musik des Ex-Fallschirmjägers als zwar laut und anarchisch, aber damit eben auch erfrischend. Nun können wir leider nicht feststellen, ob die Komposition „Halat Hisar“ erfrischend ist, sie wurde nämlich nicht aufgeführt. Jetzt sollte man von einer Komposition, die ‚Belagerungszustand’ heißt, schon erwarten dürfen, daß es da nicht um Zephyrsgesäusel geht, bei Belagerungszustand denkt man schon an Handfesteres, Lautes. Wie laut genau aber bleibt uns vorenthalten. Im Rahmen der Konzertreihe „musica viva“ sollte es aufgeführt werden – im Herkulessaal der Residenz in München.
 
Was aber aufgeführt wurde war eine Posse: Der Orchester-Manager kam auf die Bühne und teilte mit, das Stück sei so laut, daß er sich genötigt gesehen habe, die neue EU-Lärmschutznorm anzuwenden, die einen Schalldruck von mehr als 85 Dezibel am Arbeitsplatz verbietet. Nein, nicht in der Disco, denn das ist ja kein Arbeitsplatz sondern eine Freizeitstätte. Und seit man weiß, daß man 120 Dezibel locker aushält, wenn man die Musik mag, 100 Dezibel aber bereits als äußerst schmerzhaft empfunden werden können, wenn man sie nicht mag - gut, taub wird man in jedem Falle, aber im einen Fall muten wir es uns zu und im anderen wird es uns zugemutet, was ein entscheidender Unterschied ist - seit man dieses also weiß gibt es Lärmschutzbestimmungen. Europaweit. Nun sollen bei den Proben zu dem Stück „Belagerungszustand“ 123 dB und mehr gemessen worden sein – ich frage mich: stehen da die Orchestervorstände mit dem Schalldruckmeßgerät herum und messen? Was ist dann bei Mendelssohns Schottischer Symphonie, letzter Satz, oder Bruckner? – und deshalb könne man das Stück leider nicht aufführen, es gefährde die Musiker. Ich mein: hat man das nicht schon bei den Proben gemerkt? Hätte man da vielleicht auch an Ohrstöpsel denken können? Ist es nicht ein bißchen blamabel und spät, wenn man das erst mitteilt, wenn das Publikum schon da ist?

Und sieht das nicht ein bißchen danach aus, als hätten da so einige Musiker ganz grundsätzlich das Stück als eine Zumutung empfunden? Wie auch immer, meine geschätzten Damen und Herren: zeitgenössische Musik war immer auch, oft gewollt, öfter nicht gewollt, Provokation. Wer nun dagegen und wie protestiert, ist eigentlich zweitrangig. Ich finde es toll, daß es in einer Zeit, in der die größten Provokationen einen nur noch zu langweilen scheinen  - selbst Berlusconi nötigt uns nur noch ein Gähnen ab -  eben doch noch zu handfesten Skandalen kommen kann. Ein Dank dem, wie er sich selber gerne nennt, „Saxofon-Schreier“ Dror Feiler. Das Gelärm um dieses Stück hat mich so neugierig gemacht, daß ich sehen muß, wo ich es erleben kann!
 
Ihr Konrad Beikircher


© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2009
Redaktion: Frank Becker