Matchstickmen

Wolfgang Stiller in der Galerie Epikur, Wuppertal

von Frank Becker

Foto © Frank Becker
Wolfgang Stiller – Matchstickmen
 


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ie Erfindung des Streichholzes, auch Zündholz oder Schwefelhölzchen genannt, geht – wie auch anders – auf die Chinesen zurück, die ja bekanntermaßen auch das Papier, den Druck mit beweglichen Lettern, den Magnetkompaß, angeblich die Spaghetti (aber die reklamieren viele für sich) und das Schießpulver erfunden haben. Eine praktische Erfindung, wird jeder einräumen.
 
Durch die mittels Reibung auf einer geeigneten Reibfläche (Sie sehen das im Großversuch hier an der stehenden Schachtel) erzeugte Hitze führt zur Entzündung des Streichholzkopfes, der aus Chemikalien einer Mischung aus Antimon(III)-sulfid, Kaliumchlorat, Gummi, Stärke und Phosphor besteht. Der Hamburger Henning Brand -(aha!) - , der Franzose Claude-Louis Berthollet, der Engländer John Walker, der Franzose Charles Sauria, der Deutsche Jacob Friedrich Kammerer, der Ungar János Irinyi und die beiden Schweden Gustaf Erik Pasch und Karl Frantz Lundstöm experimentierten vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, bis der deutsche Chemiker Rudolf Christian Boettger im Revolutionsjahr 1848 das Sicherheitszündholz erfand und – nach Schweden verkaufte. Der dortige Zündholzkönig Ivar Kreuger setzte ein Monopol durch, das in Deutschland von 1930 bis immerhin 1983 Herstellung und Handel reglementierte. Sie erinnern sich vielleicht noch an diese beiden Schachteln  -  Welthölzer  und  Haushaltszündhölzer  -  , die in jedem Haushalt präsent waren, am Rand des Gasherdes, neben dem Kerzenleuchter und auf dem Rauchtisch lagen. Benutzte, abgebrannte Hölzchen lagen mit verkohlten, gebeugten Köpfen und angeschmorten Körpern im Aschenbecher, wurden verkehrt herum zurück in die Schachtel geschoben, auf die Straße geschnippt oder am unverbrannten Ende noch mal als Zahnstocher eingesetzt.
 
Wir Mitteleuropäer, zumal die etwas älteren und da wieder die Männer unter uns, haben noch das vertraute Klappern der Streicholzschachtel im Ohr, die einst beinahe jeder in der Tasche mit sich

Foto © Frank Becker
herumtrug – denn fast jeder war damals einmal Raucher. Wo nicht, hatte der Herr sie bei sich, um Feuer an die Zigarette der rauchenden Dame und später Hand an dieselbe legen zu können. Die praktischen aber unromantischen Einwegfeuerzeuge kamen ja erst viel, viel später. Man konnte mit dem Inhalt der handlichen Schächtelchen, den Zündhölzern, spielen, auf den Schachteln mit den Fingerspitzen einen Takt trommeln, aus den leeren Döschen wie auch die Hölzchen selber Tausenderlei Lustiges basteln (z.B. den Kölner Dom, eine schwimmfähige Galeere oder einen Adventskalender mit einem Döschen pro Tag zum Aufschieben – wer hätte das nicht irgendwann getan), ein Kaminfeuer anstecken oder einen Reichstag. Bücher und Menschen wurden mit ihnen angezündet und verbrannt. Ein sehr dunkles Kapitel. Der Mensch wurde schuldig, doch das Streichholz selbst konnte ja nichts dafür.
 
Wolfgang Stiller hat dieses durchschnittlich vier Zentimeter lange, schlichte Stückchen Holz belebt, ihm menschliche Größe verliehen, ohne seine eigentliche Form zu verändern und es auf Augenhöhe

Foto © Frank Becker
zum Betrachter seiner Installationen gebracht. Das mögen Sie bitte ganz wörtlich nehmen, denn auch er hat das Wort „Streichholzkopf“ wörtlich genommen: seine Streichholzköpfe sind in der Tat welche: Köpfe mit Gesichtern. Gesichter, denen er chinesische Züge verliehen hat – hier steht Ihnen frei, an die sogenannten „Blauen Ameisen“ der chinesischen Arbeitsbrigaden zu denken – ein wenig näherliegend aber ist die Ähnlichkeit dieser Streichholz-Armee mit ihren individuellen Gesichtern mit den bei Xian aufgefundenen Tausenden Soldaten der Terrakotta-Armee Kaiser Qín Shǐhuángdìs aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert. Der Künstler will vermeiden, was ich Ihnen hier gezeigt habe: Marken-Identifikation. Wie Sie sehen, sind die nicht abgebrannten Hölzer hier neutral rotbraun. Dennoch ist Wolfgang Stillers Installation zündend.
 
Wolfgang Stiller hat gut zwei Jahre in China gelebt und gearbeitet. Auch das schlägt sich in der Gestaltung seiner Streichholz-Objekte und Installationen nieder. So legt er spielerisch – wie Sie vielleicht das Haus vom Nikolaus – das Schriftzeichen „Men“ – das Zeichen für das Wort „Tor“.
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Seine künstlerische Vita ist umfangreich – nur ein paar Stationen:
1961 geboren in Wiesbaden

Foto © Frank Becker
1981- 84 Studium Kommunikationsdesign, GHS Wuppertal
1984 - 89 Studium Freie Kunst, Kunstakademie Düsseldorf
 
Seit 1984 eine Vielzahl von Ausstellungen u.a. im Von der Heydt Museum Wuppertal, beim Kunstpreis Junger Westen in Recklinghausen, im Karl-Osthaus-Museum Hagen, bei der Tuchfühlung in Langenberg (1997), in Berlin, Mannheim, Dortmund, in Museen und Galerien in Kyoto, Fokuoka, Tokyo und Osaka/Japan, in Belfast und Linz/Österreich, Erfurt und Zwickau, vielfach in Beijing/China, und in Watermill/USA
 
2007 Beginn eines Lehrauftrags an der NYU (NEW York University in Shanghai)
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Wolfgang Stiller möchte Sie amüsieren, ohne das Ernste aus dem Blick zu verlieren. Natürlich denken wir angesichts seiner faszinierenden Arbeiten auch gleich an den Menschen, der mal eben

Foto © Frank Becker
durch einen raschen Griff und eine Reibung verheizt, verbraucht wird. Aber wir denken auch an die eigenen Kinderspiele, Basteleien, Langeweile-Beschäftigungen (wie gut war es doch manchmal, eine Schachtel Streichhölzer in der Tasche zu haben). Er läßt ein Transport-Fahrrad durch das Beladen mit den überdimensionierten Streichhölzern winzig erscheinen, richtet ein Chaos zwischen Versehrtem und Unversehrtem an oder stellt seine Matchstickmen-Group auf wie Zinnsoldaten. Ich dachte, als ich die Hölzer mit den blauen Köpfen sah, sogleich an die Blue Man Group, mußte mir aber eine rasche Abfuhr einfangen: an die hat Wolfgang Stiller dabei nicht mal zu allerletzt gedacht, denn er mag sie überhaupt nicht. Vielleicht geht es Ihnen ja wie mir und Sie schauen ganz ohne Urteil, staunen, amüsieren sich und schütteln ab und zu bewundernd den Kopf: „Da muß man erst mal drauf kommen...“.